SprachdebatteWie man Armut nennt

Lesezeit: 2 Min.

Habseligkeiten eines Obdachlosen an der Isar in München: Was ändern hier Worte?
Habseligkeiten eines Obdachlosen an der Isar in München: Was ändern hier Worte? (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Eine Autorin in der SZ, selbst betroffen, ärgert sich über den Begriff „sozial schwach“ und plädiert für andere Begriffe. Eine müßige Sprachdebatte? So sehen es die Leser.

Gastbeitrag „Sozial Schwache gibt es nicht –nur Menschen ohne Geld“ vom 3. August:

Neue Begriffe, keine Lösung

Diese Form der Betroffenheitsprosa sollte sich die SZ sparen. Ob es den „sozial Schwachen“ wirklich hilft, wenn sie zu „Armutsbetroffenen“ werden, sei dahingestellt. Neue Begriffe lösen kein Problem. Ich kann mit der amtlichen Statistik leben, die von armutsgefährdet oder arm spricht.

Kein Jugendlicher muss heute ohne Frühstück zur Schule gehen, kein Kind Klassenfahrten aus finanziellen Gründen versäumen. Was hat fehlende soziale Kompetenz – und die gibt es in allen Gesellschaftsschichten, auch bei Armen – mit Charakter zu tun? Unmotivierte und Arbeitsunwillige gibt es in allen sozialen Schichten, leider aber auch bei armen Menschen. Und dann die grandiose Lösungsidee: Gebt den Armen mehr Geld!

Das wäre den Armen zu gönnen, aber es löst leider kein Problem dieser Bevölkerungsgruppe. Das Problem ist nur zu lösen durch bessere Bildungs- und Betreuungsangebote, durch familiengerechte Arbeitszeiten, existenzsichernde Beschäftigung. Nur so kann armen Menschen geholfen werden, ihre Lebenslage dauerhaft und positiv zu verändern.

Mit mehr Geld allein kann sich die Mehrheitsgesellschaft dieses Problems nicht entledigen. Es bewirkt im schlimmsten Fall, dass die Motivation zur Arbeitsaufnahme sinkt und aus Armut ein Dauerzustand wird.

Heinrich Alt, Bad Kreuznach

Luther ist nicht Calvin

Bravo! Celsy Dehnert bringt in ihrem Artikel treffend auf den Punkt, worum es Bemühungen um korrekte – man müsste sagen: angemessene – Sprache gehen sollte. Nämlich die Menschen, von denen man redet, zu respektieren und darüber hinaus erst einmal wahrzunehmen.

Allerdings etablierte der evangelische Reformator Martin Luther keinesfalls den „Anspruch, sich seine Position in der Gesellschaft, den Reichtum auf Erden und den Platz im Himmelreich durch harte Arbeit erst einmal verdienen zu müssen“. Gesellschaftlich war Luther im Mittelalter verwurzelt und ging davon aus, dass man an eine bestimmte gesellschaftliche Position gestellt ist, sei es als Adlige, Bäuerin oder Magd, als Mann oder Frau – und dort bleibt. Erst im 20. Jahrhundert sah der Soziologe Max Weber einen Zusammenhang zwischen der leicht späteren Schweizer Reformation des Genfers Jean Calvin und des Zürchers Huldrych Zwingli und dem bürgerlichen Leistungsideal vor allem puritanischer Auswandererinnen und Auswanderer in die USA, das schnell besser ohne Religion funktionierte. Dass Luther dabei der Not der Bauern als der Armutsbetroffenen seiner Zeit nicht gerecht geworden ist, bestätigt freilich, dass Letztere nur allzu selten eine Lobby im Establishment haben.

Dr. Lucas Graßal, Grasbrunn

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