Süddeutsche Zeitung

Architektur:Schwierige Hochhaus-Demokratie

Lesezeit: 4 min

Erst durften Investor und Architekten munter entwerfen, nun will die Politik doch noch einen grundlegenden Wettbewerb ausschreiben. Die Lesermeinungen dazu sind geteilt: Beteiligung ist nötig, heißt es - sie stört aber auch, rufen andere.

Zu "Faxen Sie uns Ihre Vorschläge" vom 29. September:

Doppelter Schattenwurf

Bei der Beurteilung des Projekts Paketposthallen-Areal (in München) legt Gerhard Matzig einen Maßstab an, der völlig aus der Zeit gefallen ist. Die Feudalzeit ist sein Orientierungsrahmen, in den er die für einen Großteil der Stadtbevölkerung bedeutsame Frage der Stadtentwicklung setzt. "Demokratietauglich" und "partizipatorisch" sind seine Schmähworte. Das spricht jedenfalls für sich, aber nicht für eine Planung, die beim Tiefstand der Sonne im Winter den Menschen in Neuhausen täglich für Stunden einen Aufenthalt im doppelten Schattenwurf der beiden geplanten Türme aufzwingen würde. Es ist alles andere als eine "Posse", wenn sich die Stadtgesellschaft einschließlich Stadtrat Gedanken machen müssen über ein Projekt, bei dem der Investor die zugunsten seiner Gewinnmarge realisierbare Nutzfläche zum entscheidenden Kriterium macht. Auch die Auswirkungen auf das Klima wegen des großen Einsatzes von Beton, Stahl und Glas sowie des aufwendigen Unterhalts (zum Beispiel für Heizung und Klimatisierung) verbieten in unserer Zeit eine Planung im Stil von König Ludwig II.

Klaus Ried, München

Zu kurz gedacht

Der ansonsten durchaus geschätzte Architekturkritiker lässt seine geschätzte Leserschaft mit ironischen Worten im Feuilleton-Stil und einem herablassenden Blick auf die Architekturlandschaft der Stadt München sowie auf ihre Bürger und Bürgerinnen an seinem Missbehagen mit dem Umgang mit dem Entwurf von Herzog & de Meuron auf dem ehemaligen Paketposthallen-Areal teilhaben. Nicht thematisiert werden dagegen die realen Folgen, die die beiden Hochhaustürme (von sage und schreibe 155 Meter Höhe), über deren Ästhetik hier nicht zu streiten ist, hätten: die immense Zunahme des Verkehrs in bereits dicht besiedelten Stadtgebieten, die Verschattung der umliegenden Gebäude, die Blickachsen sowie der Verbrauch von Stahl und Beton und den damit zusammenhängenden Umweltschäden. Völlig im Dunkeln bleibt aber vor allem die Herangehensweise an das Jahrhundertprojekt seitens der Stadt und des Bauträgers.

Hat etwa die Stadt dem Bauträger eine an vergleichbaren Stadtquartieren orientierte Geschossflächenzahl zugestanden und der Bauträger in der Folge dem Voreigentümer, der Deutschen Post, einen daran orientierten, überhöhten Preis für das Grundstück bezahlt, der sich nur "rechnet", wenn der Bau unangemessen in die Höhe strebt, zumal die Fläche, die die denkmalgeschütze Paketposthalle einnimmt, für eine Bebauung nicht zur Verfügung steht, sondern im Gegenteil unter Inkaufnahme erheblicher Kosten vom Projektträger unterhalten und "bespielt" werden soll? Und das ohne Stadtratsbeschluss, von einer vom Autor inkriminierten Bürgerbeteiligung ganz zu schweigen, und ohne Architektenwettbewerb. Das wäre ein Skandal.

Wolfgang Barth, München

Architektonische Provinz

München versinkt architektonisch in der absoluten Provinzialität - und der biedermeierliche Geist der Stadt schlägt sich in vielfältiger Weise nieder: Ob Werkbundviertel, Konzerthalle, Renovierung des Hauses der Kunst und jetzt die beiden Türme an der Paketposthalle. Es sind alles Verhinderungsdebatten, die da geführt werden. Ein weiteres Leuchtturmprojekt soll nun gestoppt werden. Architektonischer Aufbruch findet in anderen Städten statt, und hier stecken wir in der Diskussion um sogenannte demokratische Partizipation und Etagenhöhen fest, während offensichtlich ist, dass die immer gleichen Architekturbüros und die immer gleichen Bauträger unsere Stadt in den letzten Jahren kein bisschen aufregender, interessanter, zukunftsweisender und urbaner gemacht haben. Es ist der gleiche Stillstand, der unser Land seit Jahren lähmt.

Gabriele Jahn, München

Kistkastkantkubistan

Ist Demokratie wirklich ein so schlechter Bauherr. Weil zu viele mitreden? Aber hier liegt der Fehler bei den Basler Architekten selbst oder bei ihrem Investor. Wie kann man einen Entwurf, in der ersten Simulation fast impressionistisch wirkend, von sich aus viel zu willfährig und daher völlig unnötig im Stile von Kistkastkantkubistan (etwa angepasst an das allgemein kritisierte Bauen in dieser Stadt) so banalisieren? Lange Feuerleitern als Lifte machen noch keine künstlerische Architektur. Die zitierte Elbphilharmonie ist eine Großplastik. Genau das war der erste Hochhaus-Entwurf mit dem sanften Schwingen der Kanten nach oben, was man sich ausgeprägter wünschen kann: von allen Seiten aufsteigend wie eine sich nach oben verjüngende künstlerische Großplastik. Welch ein Rückschritt! Jetzt sind es banale Schuhkartons in Wohnungsgröße, übereinandergestapelt wie ein Haufen Sonderangebote. Und das ausgerechnet in dieser Stadt. Dazu passend ist die Simulation zu Matzigs Artikel verdammt gemein. Gerade so, dass es weder dem "demokratischen Volk" noch den zu Recht sonst hochgelobten Planern selbst gefallen kann! Was spricht also gegen einen Wettbewerb? Ein schlechteres, weil banaleres Ergebnis, kann da kaum herauskommen.

Hier böte sich der Demokratie eine Chance, als mutiger Bauherr aufzutreten, der die Hochpunkte Münchner Baugeschichte tatsächlich endlich mal wieder mit Mut fortschreiben könnte!

Frank Becker-Nickels, München

Bitte mehr Wettbewerb

Demnächst werde ich Herrn Matzig eine Liste in die Redaktion faxen mit all den hervorragenden Bauwerken, die aus Wettbewerben hervorgegangen sind, darunter natürlich auch das Olympia-Areal - man erinnere sich an das Foto der Jury mit Hans-Jochen Vogel und Egon Eiermann vor dem Nylonstrumpf-Zeltdachmodell.

Kein Argument findet Herr Matzig, der sich wohl baukulturell in vordemokratische Zeiten zurücksehnt, warum eine Vielfalt an Entwürfen mit dem über Jahrhunderte bewährten Instrument Architektenwettbewerb nicht auch hier einen baukünstlerisch wie sozialen Mehrwert inklusive vom Autor despektierlich beschriebener demokratischer Beteiligung bringen sollte. Ein Wettbewerb über das gesamte Areal ist das einzig legitime Vorgehen! Und nicht - in Abwandlung des Autors früherer Lobeshymne - dieser Pferdekuss für München.

Heinz Grünberger, München

Schiefgelaufene Planung?

Spät, aber hoffentlich nicht zu spät, scheint sich ein gewisses Unbehagen an der geplanten Bebauung des Paketpostareals breitzumachen. Woher kommt das? Liegt es nur an der Gestaltung im Einzelnen oder doch eher an den schieren Dimensionen, an der außergewöhnlichen Dichte und Höhenentwicklung des Projekts? Ich gebe Gerhard Matzig recht, dass Architektur nicht unbedingt besser wird mit der Zahl der Beteiligten und Überarbeitungen. Wenn hier aber schon vom ersten Ansatz her etwas schief gelaufen wäre, dann drohte nicht nur "Verschlimmbesserung". Dann erfüllte der Vorschlag, jetzt eben noch einen Architektenwettbewerb nachzuschieben, den Tatbestand einer bewussten Irreführung der Öffentlichkeit.

Nachdem der Münchner Stadtrat den Masterplan von Herzog & de Meuron schon vor zwei Jahren anscheinend ohne größere Bedenken als Grundlage seines Beschlusses zur Aufstellung eines Bebauungsplans akzeptiert hat, sollte die Stadt nun klipp und klar sagen, wie viel davon aus ihrer Sicht überhaupt noch verändert werden kann.

Axel Lehmann, München

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Quelle:
SZ vom 05.10.2021
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