Apple:Sitte, Anstand - ach was!

Der Brief des SZ-Chefredakteurs Wolfgang Krach an Apple-Chef Tim Cook hat nach Meinung eines Lesers einen Nerv getroffen. Er glaubt nur nicht, dass er auch antworten wird.

"Ihr Verständnis von Demokratie" vom 10. November:

Mit seinem Brief an Apple-Chef Tim Cook hat Wolfgang Krach einen Nerv getroffen. Fragt sich nur, ob der sanfte Druck auf die "Moral-Drüse" einen Bewusstseinswandel bei Cook einleitet.

Bisher jedenfalls haben sich Großkonzerne wenig um Moralappelle und steuerlichen Anstand gekümmert. Eher hat sich bei den "Steuerdeals" klammheimliche pubertäre Freude unter den Beteiligten breitgemacht, wie bei Halbwüchsigen, die sich über den Klau eines Apfels diebisch freuen, die Welt und die "dummen" Steuerzahler mal wieder genarrt zu haben. Aber solange diese Herrschaften auf tatkräftige Unterstützung durch die politischen Führungseliten zählen dürfen, wird sich wohl kaum etwas ändern. Warum sollte es auch?

Es kommt einem vor, als hätte man es mit einer Anhäufung moralisch neutraler Moleküle zu tun, die eine enge Verbindung miteinander eingehen. Es bleibt der bittere Beigeschmack zurück, dass Sitte und Anstand nur für das einfache Volk bestimmt bleiben. Demut und Entsagung heißen dessen "Tugenden" und das soll auch so bleiben, da sind sich Religion und Politik ausnahmsweise mal einig!

Keiner profitiert von der Freiheit mehr als die Global Player. Sie verfügen über die besten Ressourcen, sie zehren von bereitgestellter Infrastruktur, von breiter Bildung an Schulen und Universitäten und Hochqualifizierten; nun sind sie am Zuge, dem Gemeinwesen etwas zurückzugeben, nicht nur an Solidarität und Gemeinsinn, sondern auch in barer Münze. Wer sich dem verweigert, trägt die Verantwortung dafür, wenn es immer schwieriger wird, Menschen von den Vorzügen freier Märkte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu überzeugen und für die Freiheit zu votieren. Das belegen nicht nur die letzten Wahlergebnisse bei uns, sondern auch die zunehmende Tendenz nationaler und nationalistischer Umtriebe, Sezessionsbestrebungen in Europa und anderen Teilen der Welt. Von der immer größeren Aufspaltung der US-Gesellschaft in Arm und Reich ganz zu schweigen. Dahinter verbirgt sich auch der Unmut vieler Menschen darüber, vom Wohlstand abgehängt, von der Wirtschaft übervorteilt und von der Politik alleingelassen zu sein. Diese Schraube sollte man nicht überdrehen.

Wolfgang Gerhards, Berlin

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