Süddeutsche Zeitung

Apotheken:Warum kaputtmachen?

Apotheker fühlen sich durch die Online-Konkurrenz enorm unter Druck. Daher kritisiert ein Leser, der selbst eine Apotheke leitet, die Fortschrittsgläubigkeit von Kommentatoren, auch in der SZ. Bald, so meint er, werde man sich ins Zeitalter der guten alten Apotheken zurücksehnen.

"Ein großes Trostpflaster" und "Jetzt doch online" vom 12. Dezember:

In letzter Zeit irritiert uns als Apotheker sehr, wie fortschrittsgläubig und vermeintlich modern alle Probleme unserer Zeit mit dem digitalen Zauberstab zu lösen sind. Auf dem Land schwirren Lieferdienste umher, um die dort lebende Bevölkerung mit Medikamenten zu versorgen, nachdem die "letzte Apotheke" geschlossen wurde. Weder Geschäft noch Arzt um sich herum, werden die Menschen natürlich sehr gerne eine App herunterladen, um bequem auch auf dem Medikamentensektor ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Das, was man will, nämlich den Lieferverkehr in den Städten zu reduzieren, soll auf dem Land gefördert werden?

Unserer Meinung nach herrschen im Moment divergierende Strömungen vor, die auch in Ihrem Blatt genüsslich ausgebreitet werden: auf der einen Seite das Lamentieren über eine immer menschenfeindlichere Umwelt, der Verlust von alten Handwerkstraditionen, das Jammern über fehlende wirtschaftliche Strukturen besonders auf dem Land, die gesichtslose Verstädterung der Dörfer und, auf der anderen Seite, die unkritische Begeisterung über alles "Neue", Internetapotheken, Pflegeroboter, Flugtaxis etc.

Es ist doch so, dass es nichts Effektiveres und auch für den Staat Praktischeres gibt, als zum Beispiel eine inhabergeführte Apotheke. Der Staat kann ständig dirigierend eingreifen, Vorschrift über Vorschrift erlassen, der Apotheker muss sich ständig neu erfinden, aber das finanzielle Risiko trägt er allein. Es gibt Dörfer, da schieben Apotheker wochenlang Nacht- und Notdienst, sie sind oft alleinige Ansprechpartner der Bevölkerung, wenn auch der letzte Arzt gegangen ist und nur noch das Ärztezentrum in der nächstgrößeren Stadt geblieben ist.

Natürlich ist uns Apothekern auch klar, dass der stetige Wandel auch unser Berufsbild verändern wird, aber uns stört gewaltig die einseitige und herablassende Berichterstattung. Warum erst alles kaputtmachen, was als Struktur jahrhundertelang gut funktioniert hat, um hinterher, wie so oft, festzustellen, dass man etwas Wichtiges verloren hat: Ansprache, persönliche Atmosphäre, Glaubwürdigkeit und Orientierung? Das wird eine Internetapotheke nie leisten können, und auch keine App.

Alfred Böhm, München

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Quelle:
SZ vom 02.01.2019
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