Antisemitismus:Präzisieren und differenzieren

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Äußerungen des Verfassungsschutzpräsidenten Haldenwang zur BDS-Bewegung in einem SZ-Interview stoßen bei einigen Lesern auf Widerspruch.

Zu " Der alte Hass wird salonfähiger", Interview mit Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vom 8./9. August:

Ungleiche Machtverhältnisse

Die Ausführungen von Verfassungsschutz-Chef Haldenwang sind, soweit sie BDS betreffen, meines Erachtens aus mehreren Gründen unzureichend und irreführend. Erstens: Der politische Kontext der BDS-Gründung, das heißt, die Machtverhältnisse zwischen Palästinensern im besetzten Westjordanland und Israelis, werden außer Acht gelassen. Es handelt sich nicht um ein Verhältnis zwischen gleichberechtigten Akteuren (Asymmetrie der Machtverhältnisse).

Die israelische Besatzungsmacht verstößt seit 1967 gegen das Völkerrecht und missachtet die Menschenrechte. Im Parteiprogramm der regierenden Likud-Partei heißt es ohne Einschränkungen, es dürfe niemals einen palästinensischen Staat geben. Auf Landkarten des Tourismusministeriums wird die seit 1967 Jahren völkerrechtswidrig besetzte Westbank als Teil des israelischen Staatsgebiets ausgewiesen. Die Staatenwelt tut dagegen nicht mehr als immer wieder ihre Besorgnis zu äußern. Genau diese Tatsachen sind der Grund, dass in Israel und in anderen Staaten NGO' s und BDS gegründet wurden. Wenn der israelische Staat die Menschenrechte der Palästinenser respektieren und nicht massiv gegen das Völkerrecht verstoßen würde, und die EU und die Bundesregierung sich für die Menschenrechte und das Völkerrecht in Israel/Palästina einsetzen würden, wären gewaltfreie zivilgesellschaftliche Bewegungen nicht notwendig. Allein daraus wird deutlich, dass sich die Kritik von BDS nicht gegen die Juden richtet, sondern gegen die Politik der israelischen Regierung.

Zweitens: Wenn BDS Sanktionen gegen Israel fordert, ganz egal ob gegen Waren aus Israel oder auch gegen eine Zusammenarbeit auf kulturellem und wissenschaftlichen Gebiet, hat das ebenfalls nichts mit Antisemitismus zu tun. Oder sind die Sanktionen der EU gegen Russland Zeichen einer antirussischen und die Sanktionen der USA gegen den Iran Zeichen einer antiislamischen Einstellung?

Im Übrigen fordert der UN-Sonderbeauftragte für das Besetzte Palästina am Ende seines Berichts Sanktionen gegen Israel. Ist auch er antisemitisch? Drittens: BDS ist keine monolithische, sondern eine heterogene, in vielen Ländern aktive Bewegung. Selbst Herr Haldenwang weist darauf hin, der "Ableger" von BDS in der Bundesrepublik halte sich "ersichtlich zurück". Allein aus diesem Grund verbietet es sich, zu urteilen, BDS sei "weltweit ... eine antisemitische Bewegung" und Ziele, die nicht von allen Gruppen in BDS geteilt werden, zum Anlass zu nehmen, BDS Antisemitismus vorzuwerfen.

Es wäre zudem förderlich gewesen, wenn im Informationsteil unter dem Interview zwei Informationen nicht unterschlagen worden wären: In mehreren Gerichtsurteilen wurde die Behauptung, die BDS-Bewegung sei antisemitisch, zurückgewiesen (Bonn, Frankfurt, München, Oldenburg), und in einer rechtsverbindlichen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Köln am 18.9.2019 festgestellt, dass die Bundestagsresolution vom 17. Mai 19 rechtlich unerheblich ist (Az. 14L 1747/19, S. 5).

Dr. Götz Schindler,Mitglied im Vorstand des Bündnisses für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V., Aßling

Kennzeichnung ist legitim

Erstens: Woher kommen die Produkte, aus Israel - oder aus den völkerrechtswidrigen jüdischen Siedlungen? Im Blick auf die Israel-Verträge mit der Europäischen Union wird von manchen darauf hingewiesen, dass Siedler-Produkte gekennzeichnet werden sollten. Hinzu kommt, dass Israel (vielleicht bewusst?) Firmen mit Sitzen in Israel und in der Westbank hat. Warum sollte man nun "Siedler-Produkte" nicht boykottieren? Ich persönlich achte darauf und weise andere auf die Problematik der "Siedler-Produkte" hin.

Zweitens: Was die Künstlerinnen und Künstler betrifft, achte ich darauf, wie jemand sich menschlich und politisch gibt, zum Beispiel in Fragen von Umwelt und Rassismus. Jüdische Künstlerinnen oder Künstler, welche die Annexionspläne Israels und die Siedlungspolitik unterstützen, "boykottiere" ich.

Karl-Heinz Fuchs, Markt Schwaben

© SZ vom 15.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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