Angela Merkel:Was bleibt

Im Buch Zwei haben Autorinnen und Autoren jüngst die Zeit mit Kanzlerin Merkel Revue passieren lassen, und in einer Außenansicht wurde die "Blackbox Merkel" beschrieben. Leserinnen und Leser haben dazu einige Anmerkungen.

Angela Merkel: Merkel im Schnee. SZ-Zeichnung: Jan Rieckhoff

Merkel im Schnee. SZ-Zeichnung: Jan Rieckhoff

"Blackbox Merkel" vom 7. Dezember und "Aus und nicht vorbei" vom 1./2. Dezember:

Ein Lob der Physik

Wieder einmal ist es der naturwissenschaftliche, speziell physikalisch geprägte Stil, mit dem Bundeskanzlerin Angela Merkel angeblich Politik betreibt, der zur Zielscheibe von Kritik wird. Laut der Außenansicht "Blackbox Merkel" von Thea Dorn mangelt es im politischen Entscheidungsprozess am argumentativen Ringen um die beste Position. Die Kanzlerin, sie ist ja gelernte Physikerin, wertet nur Daten aus und ermittelt aus ihnen eine alternativlose Handlungsempfehlung.

Man kann diesen Stil natürlich kritisieren, aber mit Physik hat er nun wirklich nichts zu tun. Richtig ist , dass die Geschichte der Physik voll von Auseinandersetzungen um den richtigen Weg zur Überwindung von Problemen ist. Es sei erinnert an Newton und Huygens, die im 17. Jahrhundert um die Natur des Lichts stritten, oder an die legendäre Diskussion zwischen Einstein und Bohr um die Vollständigkeit der Quantenmechanik. Diese Debatten werden offen und auch mit großer Härte geführt,es kommt sogar vor, dass zwei Wege zur Lösung führen. Dies war der Fall in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, als die Göttinger Physiker um Max Born mit dem Österreicher Erwin Schrödinger erbittert um das Verständnis des Atoms rangen. Die beiden vorgelegten Konzepte erwiesen sich als gangbar, ja, es gab Alternativen. Also mehr physikalische Debattenkultur in die Politik.

Wolfgang Dubberke, Hamburg

Eingehend studieren

Haben Sie Dank für den Abdruck der Außenansicht "Blackbox Merkel" von Thea Dorn! Auf wenig Raum eine so luzide, gut belegte Analyse abzugeben, ist eine geistige Hochleistung. Künftige Bundeskanzler*innen sollten vor ihrer Amtseinführung diesen Text eingehend studieren müssen. Vielleicht gelingt es, die "schleichende Verwandlung der repräsentativen Demokratie in eine Demoskopie" umzukehren.

Hans Dammann, Solingen

Keine Angst vor Mathematik

Thea Dorn glaubt eine Erklärung für die Zurückhaltung der Kanzlerin bei der Begründung ihrer Entscheidungen letzten Endes darin gefunden zu haben, dass sie Naturwissenschaftlerin, speziell Physikerin, ist. Sie beruft sich dabei auf die Philosophin Hannah Arendt, die vor sechzig Jahren ein Unbehagen am naturwissenschaftlichen Denken ausmachte. Nach Arendt führe die Übertragung des formelgebundenen naturwissenschaftlichen Denkens auf die Sphäre der menschlichen Belange zum Verlust der Sprache und damit zum Verlust des Politischen. Infolgedessen blieben politische Entscheidungen unverständlich.

Dieses harte Urteil über die Konsequenzen des Gebrauchs von mathematischen Formeln in den Naturwissenschaften spiegelt aber nur den Horror vor mathematischen Formeln wider, wie er bei darin Ungeübten anzutreffen ist. Dabei wird übersehen, dass befriedigende Erklärungen in der Physik immer einen zweigleisigen Prozess erfordern, in dem neben der mathematischen auch die sprachliche Schiene aktiviert ist. Mathematische Schritte, das heißt Rechnungen, die nicht von verbalen Erklärungen begleitet sind, bleiben unverständlich und bilden keine Grundlage für weitergehende Diskussionen. Der sprachliche Aufwand mag allerdings im naturwissenschaftlichen Fall niedriger sein als im geisteswissenschaftlichen, da die Notwendigkeit subjektiver Interpretationen entfällt.

Prof. Josef Jäckle, Konstanz

Die Geschichte wird es ihr danken

Laut Thea Dorn macht Bundeskanzlerin Angela Merkel "Politik wie ein Algorithmus". Nur in der Flüchtlingspolitik hält sie es für möglich, dass Merkel aus rein humanitären Gründen handelte. Ich halte dies nicht nur für möglich, sondern es war genauso. Merkel war 2015 die einzige Politikerin, die öffentlich bekannte, dass sie die Situation in den Flüchtlingslagern total unterschätzt habe. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hatte schon lange vorher mehrmals dramatisch die Staatengemeinschaft aufgerufen, Geld zu geben. Es geschah nichts. Auch Privatpersonen reagierten nicht. Das UNHCR erhielt 2015 von deutschen Bürgern im Durchschnitt 19 (neunzehn) Cent! Die Versorgung in den Flüchtlingslagern rund um Syrien brach zusammen. Die Flüchtlinge machten sich auf den Weg.

Ausgerechnet an dieser humanitären Aktion der Flüchtlingsaufnahme scheitert nun Merkel in ihrer christlichen Partei. Was für ein Paradoxon! Selbst in der christlichen Union bleiben die Werte der christlichen Tradition des Abendlandes auf der Strecke. Gemessen an der Wirtschaftskraft leistet Libanon fünfzigmal mehr Hilfe für Flüchtlinge als Deutschland. Ich bin davon überzeugt, dass Frau Merkel als eine große Politikerin in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Artur Borst, Tübingen

Anschluss verpasst

Besser als in "Blackbox Merkel" kann man die Merkel-Ära - meine ich - nicht beschreiben. Hinzu kommt für mich der Reformstau. Die nüchterne, ruhige Art von Merkel kommt gut an. Den Reformstau - die Rückständigkeit Deutschlands auf vielen Gebieten - merkt so schnell keiner, er ist für die Nachkommenden aber eine fast nicht zu bewältigende Aufgabe. Der Reformstau unter Helmut Kohl konnte noch überwunden werden. Heute ist die Entwicklung so schnell, und USA und China sind so stark, dass es kaum möglich sein wird, wieder Anschluss zu finden bzw. führend zu sein.

Udo Peplow, München

Zu viel global gedacht

Zum Buch Zwei über Angela Merkel: bemerkenswert die Vielzahl treffender biografischer Einordnungen unserer Dauer-kanzlerin. Noch heute halte ich ihre Flüchtlingsentscheidung für grundsätzlich alternativlos. Keiner der Autoren streift leider folgende Punkte: Das Schwarze-Witwe-Geschwätz teile ich nicht, gleichwohl unterstelle ich der Kanzlerin über die Jahre der Kanzlerschaft mangelnde Menschenkenntnis, indem sie Parteifreunden zu Positionen verhalf, die diese niemals ausfüllen konnten bzw. können. Oder hat sie bewusst Mittelmäßigkeit gefördert, um durchregieren zu können? Auf der anderen Seite wurden Fachleute ausgebremst, die in Entscheider-Positionen Positives für unser Land hätten bewirken können, wie zum Beispiel Wolfang Bosbach oder - der frühe! - Friedrich Merz. Die Leitlinie der Kanzlerin manifestiert sich im "Think Global". Es ist bemerkenswert, wie viel sie in ihrer Regierungszeit weltweit "gerettet" hat. Da blieb keine Zeit, die sozialen und gesellschaftlichen Nöte in unserem Land zur Chefsache zu machen. Fast ist es zu spät, jetzt noch die gesellschaftlichen Verwerfungen durch die Wohnungsnot, den Pflegenotstand, das Alleinlassen der Alleinerziehenden und die Kinderarmut nachhaltig in den Griff zu bekommen.

Jochen Steinkamp, Neckartailfingen

Deutschlandweite CDU

Nachdem Angela Merkel und Horst Seehofer ihren Rücktritt von der Parteispitze angekündigt haben, ist es an der Zeit, nicht nur über einen neuen Parteivorsitz und eine neue Parteipolitik zu entscheiden, sondern auch das Verhältnis zur "Schwesterpartei", der CSU, neu zu gestalten. Wenn man sich fragt, wo auf der Welt gibt es einen Staat von einiger Bedeutung, dessen Regierungsparteien nur in zwei hart abgegrenzten Landstrichen gewählt werden können, so kann die Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis zur CSU nur darin bestehen, dass die CDU einen Landesverband Bayern gründet.

Bei der offensichtlich alsbald anstehenden Bundestagswahl würde die CSU dann unter fünf Prozent bleiben und müsste, um dem zu entgehen, deutschlandweit antreten. Man könnte dann CDU wählen, ohne ausschließlich bayerischen Interessen dienende Regelungen wie Ausländer-maut und Mütter-Betreuungsgeld verantworten zu müssen. Bei der Regierungsbildung müsste die CDU nicht, wie zuletzt, in Bayern anfragen, welche Regelungen ein Koalitionsvertrag haben muss und mit wem eine Koalition keinesfalls geschlossen werden kann. Die CDU könnte ihre Koalitionspartner frei wählen und eine ganze Legislatur ohne ständige Querschüsse aus Bayern für Deutschland regieren. Die Anwürfe aus München, die Deutschlandpolitik in Berlin diene nicht den von der CSU festgestellten Interessen Bayerns, gingen ins Leere.

Friedrich Riehm, Wiesbaden

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: