Angebliche Leichenschändung in Afghanistan:Wieso wir diese Bilder nicht zeigen wollen

Im Internet sind Aufnahmen aufgetaucht, die angeblich zeigen, wie US-Soldaten auf tote Taliban urinieren. Der Fall wirft wieder einmal die Frage auf, ob man Menschenunwürdiges zeigen muss, um es als menschenunwürdig zu enttarnen? Nein, ist unsere Antwort.

Stefan Plöchinger

Journalisten erzählen sich in ihrem berufsständischen Zynismus gerne folgenden Witz, der nur aus sieben Worten besteht: "Diese Bilder wollen wir nie wieder sehen."

Weil diesen Witz vermutlich nur Journalisten verstehen, muss man ihn erklären. Wenn ein Fotograf widerwärtige Dinge aufnimmt, dann ist uns Journalisten klar, dass eigentlich kein Leser das Widerwärtige sehen will. Eigentlich. Denn in Wahrheit schauen die meisten schon mal hin. Das ist der gleiche Gaffer-Effekt wie bei einem Unfall auf der Autobahn: Unheil zieht die Blicke an.

Wenn also zum Beispiel der gestürzte libysche Despot Gaddafi vor laufenden Kameras zu Tode gebracht wird, schauen sich viele Leute das zugehörige Video mit Abscheu und Empörung an. Wenn man sich als Journalist dafür rechtfertigen will, das Video zu zeigen, kann man entweder mit gewissem Recht sagen: Das sind historische Aufnahmen, die man zeigen muss. Oder man sagt in einer schmissigen Headline daneben: Schrecklich, diese Bilder - bitte, Libyer, so was wollen wir nie wieder sehen. So bedient man den Voyeurismus und gibt sich den Anstrich, nicht sensationsheischend zu sein. Ein alter Trick des Boulevardjournalismus.

In dieser Woche sind in den Weiten des Internets Aufnahmen aufgetaucht, die angeblich (da unüberprüft) zeigen, wie US-Soldaten auf tote Taliban urinieren. Der Fall wirft wieder einmal die Frage auf, ob man über Widerliches schreiben kann, ohne das Widerliche selbst zu dokumentieren. Muss man Menschenunwürdiges zeigen, um es als menschenunwürdig zu enttarnen? Nein, ist unsere Antwort, im Gegensatz zu anderen Nachrichtenportalen, die die Aufnahmen zeigen (und unter anderem die Geschlechtsteile der mutmaßlichen Marines unkenntlich gemacht haben, nicht aber die Gesichter der mutmaßlichen Toten).

Wir glauben erstens, dass im Digitalzeitalter jeder beispielsweise durch Google selbst entdecken kann, was wir ihm nicht zumuten mögen. Wer sucht, der findet heutzutage, aber nicht bei uns, wenn wir das nicht wollen.

Zweitens liefern die Bilder keine Erkenntnisse über die textliche Beschreibung hinaus. Man sieht Menschen in Uniform, die angeblich (da unüberprüft) Erschreckendes tun, mehr nicht.

Und drittens: Die jetzigen Bilder fügen sich (sofern sie authentisch sind) ein in eine traurige Tradition von Leichenschändungen, wie die Kriegsgeschichte sie seit Jahrhunderten kennt. Bringt es Opfern etwa Genugtuung, der Welt die Schändung ihrer Leichen zu zeigen? Und was bringt eine solche Zurschaustellung für die öffentliche Debatte? Vermutlich nichts. So traurig das sein mag. Das Video, das (sofern authentisch) zu Recht auf YouTube publiziert wurde, um den Fall bekannt zu machen, wird vielleicht zur Bestrafung von Tätern führen. Aber dafür muss es nicht noch auf Tausenden Nachrichtenseiten in aller Welt präsentiert werden. Die Bilder beschreiben ja keinen Skandal ungekannten Ausmaßes in der US-Armee, wie seinerzeit in Abu Ghraib im Irak - die Bilder von dort sind heute fast ikonographisch und mussten der Welt damals zugemutet werden.

Die Bilder jetzt nicht. Sie wollen wir wirklich nicht mehr sehen - der Menschenwürde wegen.

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