Süddeutsche Zeitung

Akademiker-Laufbahn:Reformen und die Freiheit unbequemen Denkens

Lesezeit: 4 min

Eine wissenschaftliche Karriere anzustreben, ist oft mit viel Unsicherheit behaftet. Über die Wege, dies zu ändern, gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Zu "Der Flaschenhals" vom 17. Juni:

Doktor geht nicht nebenbei

In dem Artikel wird geschildert, wie junge Wissenschaftler ein Dutzend Jahre (noch länger durch Drittmittelverträge) hingehalten werden, um sie dann erst rauszuschmeißen, wenn sie keine Professorenstelle "ergattern konnten". Dem kann ich meine persönlichen Erfahrungen aus 25 Jahren Tätigkeit als Universitätsprofessor gegenüberstellen. In dieser Zeit hatte ich etwa 40 Doktoranden, ich nahm ein bis zwei neue Studierende pro Jahr als Doktoranden an. Sie bearbeiteten in meinen Laboratorien ein naturwissenschaftliches Thema. Nachmittags traf man sich bei einer Tasse Kaffee zu einer Besprechung der Arbeitsergebnisse und einer Möglichkeit einer Publikation in einer Fachzeitschrift, die man je nach Bedeutung der Ergebnisse auswählte. Auf diese Weise konnte man sehen, ob das Ziel der Promotion, "die Befähigung zu selbständiger vertiefter wissenschaftlicher Arbeit" (Promotionsordnung) erreicht war oder nicht. Der geschilderte Arbeitsablauf während der circa vierjährigen Forschungszeit erlaubte eine Beurteilung der wissenschaftlichen Qualifizierung und der Motivation zu weiterer Forschung.

In dem Artikel steht zu Recht, dass die Flaschenhälse auf dem Weg zu einer Dauerstelle die Folge einer universitären Fehlentwicklung seien. Der Autor des Artikels, Gustav Seibt, fordert zu Recht eine "Neuausrichtung des Promotionswesens". Eine Doktorarbeit so nebenbei anzufertigen (oder anfertigen zu lassen) ist in der Tat eine universitäre Fehlentwicklung, wie die diversen Plagiatsfälle Guttenberg, Giffey und andere zeigen.

Was ist das für eine Betreuung, wenn zeitgleich 20 oder 30 Doktoranden angenommen werden? Zu Recht wird im Artikel festgestellt, dass eine "Selektion (...) heute oft erst im zweiten Drittel eines wissenschaftlichen Berufslebens stattfindet. Ein heutiges Forscherleben sollte zu seinem Beginn knapper und zielgerichteter eingeleitet werden." Wie das geht, wollte ich zeigen.

Prof. Dr. Konrad Löffelholz, Wiesbaden

Forschung ist keine Titelfabrik

Es tut gut, Klartext zu lesen und dass der Autor die Markt-Lügen benennt. Es geht um Lügen und Marktversagen. Offenbar erleben manche Akademiker (auch ich) Schwierigkeiten, die auch gut ausgebildete Migranten kennen. Von "Brain waste" war schon die Rede. Meines Erachtens zieht der Schreiber aber falsche Schlüsse. Frühere Selektion würde helfen? Gerade umgekehrt. Wir brauchen mehr Forschende, denn nicht ein Zuviel an Wissen gefährdet den sozialen Frieden, bedrängt das echte Glück und den Zustand der Umwelt, sondern eine verkrustete Politik und eine veraltete Wirtschaft in "neuen Schläuchen" (Neoliberalismus).

Echte Forschung ist nicht in erster Linie eine Titelfabrik, sondern eine Praxis der Neugierde und des unbequemen Denkens. In diesem Sinn darf man die Messlatte gerne anheben. Der Sputnik-Schock hatte eine Bildungsoffensive ermöglicht. Die heutigen Sparrunden und die Verpflichtung zur allgemeinen sozialen Verunsicherung ist eine direkte Folge der fehlenden Systemkonkurrenz. Dem gilt es entgegenzustehen, zum Wohle aller.

Peter Boller, Zürich

Akademiker-Mittelbau ist wichtig

Leider garniert Seibt seine in vielen Punkten (vor allem für die Geisteswissenschaften?) zutreffende Analyse des "akademischen Flaschenhalses" mit einer Diffamierung des akademischen Mittelbaus, den er als Sammelbecken "bedrückend unbrillanter, undynamischer" Leute sieht, "deren wissenschaftliche Blütenträume nicht gereift waren". Als Student, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Professor erlebte ich im Fach Mathematik - das nebenbei den Vorzug hat, nicht von teilzeitpromovierenden Politikern überrannt zu werden - genau das Gegenteil (von "Ausreißern", die es überall gibt, abgesehen).

Während meines Grundstudiums an der TU München wurde so manche "von sichtlich mehr an Forschung als an Lehre interessierten Professoren" (es waren seinerzeit meistens Männer) gehaltene Vorlesung erst durch hervorragend aufbereitete Übungen Akademischer Räte und Direktoren verdaulich. Selbst das Verständnis sehr guter Anfängervorlesungen, die es natürlich auch gab, wurde so wesentlich vertieft. Nicht wenige nach dem Besuch einer Vorlesung frustrierte Studierende dürfte allein das didaktische Geschick der Räte bei der Stange gehalten haben.

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter erfuhr ich dann, wie der geschmähte akademische Mittelbau den an einer Technischen Hochschule immensen Übungs- und Prüfungsbetrieb stemmte, der mit dem mathematischen Service für die Ingenieurstudiengänge verbunden ist. Pro Semester und Vorlesung ging es dabei um mehrere Hundert Studierende.

Als Professor in Karlsruhe profitierte ich schließlich - etwa bei Grundvorlesungen, die wegen der Raumsituation parallel von einem Professor und einem Akademischen Rat gehalten wurden -, von einer vorbildlichen kollegialen Zusammenarbeit und engagierten Mitarbeit. Zumindest an Technischen Universitäten bildet der Mittelbau das unverzichtbare Gerüst einer soliden Grundausbildung. Jede Reduzierung der Stellen gefährdet seine Stabilität.

Prof. i.R. Dr. Gunter Aumann, Bretten

Forschung braucht Freiheit

Eine vorverlagerte "Selektion" zur Promotion mit Aussicht auf eine spätere Festanstellung im Wissenschaftsbetrieb, um den beklagten arbeitsmarktlichen Flaschenhals für Habilitierte hinein in einen Professur-Auffangbehälter zu erweitern, diese Idee des SZ-Redakteurs Seibt bedeutet, einen akademischen Planwirtschaftsstaat zu schaffen! Es bedeutet nur eine Verschiebung der Phiolenverengung nach vorne, die dabei aber unser frei verhandelbares Promotionswesen - Beginn aller Innovation - dem Versorgungswunsch überwiegend von Geisteswissenschaftlern opfert!

Ein Abiturient oder eine Abiturientin, die sich zum Beispiel für Byzantistik oder Koptologie interessieren, werden vor den späteren lebensbiografischen Folgen einer derartigen Wahl des Studiengangs überall und auch frühzeitig gewarnt: vor allem vor den hohen Such- und Folgekosten für eine tragfähige, dem Studium nachgeschaltete, eigentliche Berufswahl.

Auch die Lehrenden weisen die Studierenden im ersten Semester bereits auf ein mögliches späteres Job-Prekariat hin. Und der Begriff "Zeitvertrag" besagt unmissverständlich "Vertrag auf Zeit" und nicht "einen Vertrag für eine schöne Zeit haben". Wenn überhaupt, dann sollten davon Betroffene konsequenterweise gleich Folgendes fordern: Weg mit der Weithalsflasche beim Studienzugang! Nur die Geeignetsten dürften zum Beispiel Komparatistik oder Germanistik studieren, und nur sie bekämen dann ihren Studienplatz mit einer damit realistischeren Chance auf eine niveau- und fachadäquate spätere Berufstätigkeit.

Ich meine aber: Freiheit und Forschung im Rahmen von Promotionen sind der Nährboden, der die Nutzpflänzchen entstehen lässt, die uns später alle ernähren! Davon bitte mehr als weniger und diese dann auf noch größere Äcker! Dünger, sprich Geld, fördert den Wuchs! Die im Verhältnis wenigen betrügerischen Dissertationen von Politikern sind doch als marginales "Unkraut" zu vernachlässigen und kein Grund, das Feld deswegen anders zu bestellen.

Dr. Klaus Wienecke, Hannover

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Quelle:
SZ vom 24.06.2021
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