Afrika-Berichterstattung:Kongo Belle

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Wohin geht die Reise? Philipe Yatshi blickt von Bord seines Frachtkahns, der MB Nathasha Belle. SZ-Korrespondent Bernd Dörries fuhr eine Woche lang auf Yatshis Schiff den Kongo-Fluss hinunter. (Foto: Bernd Dörries)

Jeder weiß es: Afrika ist kein Land, sondern ein Kontinent mit 55 Ländern. Für 49 davon ist der SZ-Korrespondent zuständig. Manche sind fortschrittlich, andere zutiefst korrupt. Afrika ist der ärmste Kontinent, aber vielfältig, modern, und überraschend ist er auch.

Von Bernd Dörries

In den Wochen davor schlich sich ein ungutes Gefühl ein. Ich hatte wohl zu viele dieser Videos auf Youtube angeschaut, auf denen verrückte Kähne den Kongo-Fluss hinunterfahren. Aneinander getäute Barkassen, vollgeladen mit Containern, Kühen, Geländewagen und Motorrädern. Dazwischen ein paar Ritzen Platz für eine Matratze. Genau auf so einem Schiff werde man auf keinen Fall fahren, erzählte ich mir und den anderen zu Hause. Und ahnte zugleich, dass es genau auf so ein Schiff, oder wie man es nennen will, hinauslaufen würde. Ich kaufte noch eine sich selbst aufblasende Rettungsweste.

Eine Woche dauerte die Fahrt den Kongo hinunter, die Rettungsweste ging schnell im Chaos verloren, viel wichtiger erwies sich der zusammenklappbare Campingstuhl, da es auf dem Boot nichts zu tun gab, außer zu reden, ein bisschen Backgammon zu spielen und vor allem auf den Fluss zu schauen und auf das Ufer, an dem man hin und wieder an ein paar Resten der belgischen Kolonialgeschichte vorbeikam: Hafenkräne, Lagerhäuser und ein paar Schienen. Länger als ein paar Minuten konnte man selten sitzen, weil ständig jemand vorbeiwollte in dieser Enge, weil man ständig aufstehen und den Stuhl zusammenklappen musste.

Es war die Reise ins "Herz der Finsternis", wie sie von Joseph Conrad beschrieben wurde. Nur in umgekehrter Richtung, von Kisangani den Fluss hinunter. Und finster war die Reise auch nicht, es wurde gelacht und getrunken. Conrads Buchtitel muss immer herhalten, wenn es um ein Afrika geht, wie man es sich vorstellt, mit Krisen, Krankheiten und Korruption. Dabei meinte Conrad damals etwas ganz anderes, er fuhr den Kongo hinauf, aber vor allem mitten hinein in das Grauen des belgischen Kolonialismus, der im Kongo Millionen Tote forderte.

Der Kongo bei Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. (Foto: Bernd Dörries/imago)

Es mangelt auch heute nicht an schlechten Nachrichten vom afrikanischen Kontinent. Hunger in Somalia, Terror in Nigeria und die elende Korruption in Südafrika. Für viele Menschen in Deutschland ist Afrika letztlich ein Klumpen, ein einziges Land, aus dem es wenig Gutes zu berichten gibt - zumindest die Tierwelt soll aber ganz schön sein.

Seit fünf Jahren bin ich nun Afrika-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung mit Sitz in Kapstadt, zuständig für 49 Länder südlich der Sahara, 41 davon habe ich besucht, viele Dutzend Male: Ich habe mir Weingüter in Äthiopien angeschaut und einen Putsch in Simbabwe. Ich war bei Diamantengräbern in Sierra Leone und habe Bauern beobachtet, die in Niger die Wüste erblühen lassen. Ich habe voller Hoffnung über Revolutionen berichtet, die dann nicht das brachten, was sich viele erhofft haben. Und über Menschen, die im Kleinen Großes schaffen, obwohl ihnen der Staat nur Steine in den Weg legt. Ich habe in Somaliland eine junge Nation kennengelernt, die ein erstaunlich gut funktionierendes Land aufgebaut hat, obwohl sie keine Entwicklungshilfe bekommen hat - oder gerade deshalb.

Als ich vor zwanzig Jahren Redakteur der SZ wurde, war die häufigste Frage, die mir neue Bekanntschaften gestellt haben, wie denn mein Kürzel laute. Ich weiß bis heute nicht, warum das so viele Leute interessant fanden. Mittlerweile wollen die meisten wissen, ob ich mir meine Themen selbst aussuche. Manchmal schwingt in der Frage etwas mit wie: Darfst du schreiben, was du willst? Oder gibt es so etwas wie einen Meinungskorridor?

Letztlich entstehen viele Geschichten recht banal. Man sitzt an seinem Schreibtisch, sucht aus Twitter oder den großen Medien der einzelnen Ländern nach Geschichten, schaut, was so los ist. Dann schreibt man eine E-Mail an die Zentrale, mit einem Vorschlag, wie lange die Reise dauern wird, wenn man vor Ort recherchiert, und was sie kostet. Ein Nein habe ich bisher noch nie gehört. Pass gut auf dich auf, wünscht die Münchner Zentrale. Danach ist man auf sich allein gestellt, mehr oder weniger.

Getarnt als Safaritourist zur Putschberichterstattung

Manche Länder sind einfach zu bereisen, manche eher nicht. Sehr oft reist man allein, manchmal mit einem lokalen Fixer, der Interviews arrangiert oder übersetzt, der ein Auto mietet und mit den Behörden verhandelt. Afrikaner beschweren sich oft darüber, wie schwierig es ihnen Europa macht, ein Visum für den Schengenraum zu bekommen. In Afrika ist es nicht anders. Manche Länder kann man einfach als Tourist bereisen, zum Putsch gegen Zimbabwes Diktator Robert Mugabe bin ich um drei Uhr morgens mit leichtem Gepäck und ohne Laptop in einem ansonsten fast leeren Flugzeug in Harare gelandet und habe der misstrauisch schauenden Grenzbeamtin eine kurz zuvor ausgedruckte Buchung für eine Safari hingehalten. Viele andere Länder sind deutlich schwieriger, nach Nigeria kommt man nicht, ohne bei der Botschaft eine Reihe spezieller Gebühren zu bezahlen, die in keinem offiziellen Verzeichnis zu finden sind, so kostet ein Visum schnell 800 Euro, für eine Woche.

Anderen Regimen geht es nicht ums Geld, sondern darum, möglichst die Kontrolle zu behalten über das, worüber man berichtet. Für mein erstes Äthiopien-Visum habe ich mehr als sechs Monate lang, nun ja, fast gebettelt, mit einem persönlichen Vorsprechen in der Berliner Botschaft, in dem ich mich sehr sensibel und aufgeschlossen für die Sichtweise des amtierenden Regimes zeigen musste. Anders als in Nordkorea bekam ich dann aber keinen ständigen Aufpasser an die Seite gestellt, das ist die positive Seite der autoritären Staaten in Afrika, manches ist dann doch zu anstrengend. Immerhin aber ließ sich die Botschaft in Berlin alle meine Texte übersetzen und rief hin und wieder an, um darüber zu reden, was nicht so gut ankam.

Im Sommer 2018 meldete sich die Botschaft freundlich und meinte, für meine nächste Reise bräuchte ich gar keinen Visum-Antrag mehr zu stellen. "Kommen sie einfach so", sagte der Mann von der Botschaft am Telefon.

In Äthiopien war gerade Abiy Ahmed an die Macht gekommen, ein junger Reformer, der Frieden und Demokratie versprach. Als ich in Addis landete, lächelten die Grenzbeamten, der Pass interessierte sie kaum. Ein paar Hundert Meter vom Flughafen standen riesige Schlangen vor einer großen Veranstaltungshalle, alle wollten dabei sein, wie Abiy mit Isayas Afewerki, dem Präsidenten des Erzfeindes Eritrea Frieden schloss. Der Rest der Welt schaute sich das WM-Finale an, in Addis feierten Zehntausende den Frieden. Ich hatte keine Karte für die Halle, lief aber einfach mal auf den VIP-Eingang zu und zeigte meinen Presseausweis. Wenig später saß ich etwa zehn Meter neben Abiy und Isayas auf der Ehrentribüne, trank äthiopischen Wein und aß feinstes Fleisch. Als Einziger trug ich keinen Anzug, sondern eine ziemlich lächerliche neongelbe Jacke. Es störte keinen, ich war völlig nebensächlich an diesem Tag. Später fuhr ich mit meinen Eltern durch Äthiopien, damit sie sehen, was ich sah. Dieses großartige Land, das endlich zu bekommen schien, was es schon so lange verdiente: Freiheit, eine Zukunft. Wir fuhren durch die Berge, standen in den Simien Mountains auf 4000 Metern und schauten in die Täler, die aussahen wie gemalt.

Zwei Jahre später war ich beruflich wieder an genau demselben Ort. Diesmal roch es nach Verwesung, lagen Leichen in Gräben und Mulden. Ein paar Tage später wurde ich von der Polizei verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, für einen Tag, weil mir angeblich die Genehmigungen fehlten für meinen Besuch. Die Lage in Äthiopien ist schlimmer als je zuvor in den vergangenen Jahren, die Träume, meine Träume, sie sind zum Albtraum geworden. Typisch Afrika halt?

Fünf Jahre Afrika, Hunderte Geschichten, 41 Länder. Was bleibt als Erkenntnis? Erst einmal eine ganz banale: Afrika ist kein Land, sondern ein Kontinent mit 55 Ländern. Die manches gemein haben in ihrer historischen Erfahrung, dem Kolonialismus, der Rolle in der Welt. Aber eben oft auch nicht viel mehr. Äthiopier sehen sich oft nicht als schwarz, sondern als etwas ganz Eigenes. Nigerianer gelten als laut und selbstbewusst, Simbabwer als die freundlichsten und Malawier sollen die besten Gärtner sein. Manchmal ist das so, manchmal nicht.

Als Staat gescheitert, aber Weltspitze in Sport, Unternehmertum und Kultur

Was immer gilt: Die Menschen sind mehr als das politische System, in dem sie leben müssen. Die DDR gilt gescheitert als System, die einzelnen Biografien und Leben sind es nicht. So ist es auch in afrikanischen Ländern. Nigeria gilt vielen als gescheiterter Staat, es gibt Terror, tägliche Entführungen, unglaubliche Korruption, Umweltverschmutzung im Niger-Delta. Nigeria ist aber nicht nur Weltspitze, was Korruption und Terror angeht. Sondern auch im Sport, in Unternehmertum und Kultur. Es hat Nobelpreisträger und Spitzensportler hervorgebracht. Die halbe Welt tanzt gerade zu Superstars wie Burna Boy und Davido.

Ich habe in den vergangenen Jahren keine Strichliste geführt, wie oft die SZ positiv über Afrika berichtet hat, und wie oft negativ. Ich habe aber versucht, die ganze Lebenswirklichkeit des Kontinents einzufangen. Aber natürlich schwingt in vielen Texten die Frage mit, warum Afrika so ist, wie es ist. Vielfältig und überraschend, modern und jung. Aber eben auch der ärmste Kontinent der Erde. Es gab zwar massive Fortschritte, die Zahl der Menschen, die von weniger als 1,90 Dollar pro Tag leben müssen, ist von 60 Prozent im Jahr 1995 auf heute 40 Prozent gesunken. Nur ist der Fortschritt eben viel langsamer als anderswo auf der Welt. In China waren es Anfang der Neunzigerjahre noch mehr als 70 Prozent der Menschen, die mit besagten knapp zwei Dollar auskommen mussten, heute ist deren Zahl auf null gesunken.

Warum? Viele Dinge liegen auf der Hand: Fast alle afrikanischen Länder sind Schöpfungen des Kolonialismus, die Eroberer zogen die Grenzen, Nationen fanden nicht zusammen, sie wurden in einen Staat gepresst. Die Folgen sieht man bis heute: In Nigeria leben 220 Millionen Menschen, die 500 Sprachen sprechen, der Norden ist muslimisch geprägt, der Süden christlich. Wie soll man da je richtig zusammenfinden? In manchen Ländern frisst das enorme Bevölkerungswachstum jeden Fortschritt auf. In anderen Ländern gibt es wenig Fortschritt, weil die politischen Eliten so korrupt wie inkompetent sind. Europa wundert sich, warum so viele Flüchtlinge übers Meer kommen, und fischt gleichzeitig die Küsten vor Westafrika mit leer. Oder schickt seine subventionierten Billighühnchen nach Ghana, wo die Geflügelzüchter pleitegehen. Als kleine Wiedergutmachung gibt es Entwicklungshilfe, die es aber in all den Jahrzehnten auch nicht geschafft hat, in Afrika zumindest eine stabile Stromversorgung herzustellen. Vielleicht wäre ein riesiger Staudamm im Kongo sinnvoller gewesen als Hunderttausende Miniprojekte, ein Brunnen hier, eine Grundschule dort.

Nicht einmal Südafrika schafft es, genug Energie für seine Bürger zu produzieren. Bis zu zehn Stunden fehlt zurzeit der Strom am Kap. Das hat wenig mit den Folgen des Kolonialismus zu tun oder den Nachwirkungen der Apartheid. Das Land muss von seinen Befreiern befreit werden, der ANC ist zu einer mafiösen Clique verkommen, die sich auf Kosten der Ärmsten bereichert. Aber dennoch immer wieder gewählt wird. Manche erklären das damit, dass alles andere Verrat wäre. Dass man die Partei genau so wenig wechseln kann wie die Kirche oder die Familie.

Aber ist das so? Der ANC hat das Land in die Dunkelheit gestürzt: Restaurants müssen schließen, Ärzte können die Patienten nicht behandeln, Geldautomaten spucken kein Geld mehr aus. Und was machen die Bürger? Nichts. Es gibt keine Demonstrationen, keine Proteste. Man lässt es mit sich machen. Resilienz sei einer der Schlüsselbegriffe dieses Landes, sagen die Südafrikaner. Wir haben alles erlebt, alles überlebt. Aber Resilienz kann auch gleichgültig machen. Der Anspruch und die Vorstellung, dass es auch anders sein könnte, sie gehen verloren. Typisch Afrika also?

Typisch ist wenig, höchstens, dass man dem Alltag hier unten trotz aller Herausforderungen oft mit einer freundlichen Gelassenheit begegnet, die vieles angenehmer macht. Afrika ist nun ein Teil von uns. Wir sind vor fünf Jahren zu zweit gekommen und gehen bald zu viert. Manchmal habe ich die Befürchtung, die beste Zeit meines Lebens schon hinter mir zu haben.

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