Süddeutsche Zeitung

Abgeordnete:Bei der Prozession

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Früher waren Abgeordnete oder Minister ihren Wählern näher, meint ein Leser. Zum Beispiel Georg Leber.

"Nichts ist unmöglich" vom 14. März:

Wahlforscher (meist von den Parteien beauftragt) liefern unzählige Argumente, warum die demokratischen Bürger nicht zur Wahl gehen oder eine "Alternative" wählen. Ich behaupte, dass die Volksvertreter gar nicht mehr wissen, was ihr Volk denkt, das sie vertreten sollen. Als ich in Frankfurt am Main das Gymnasium besuchte, konnten die Bürger in der Kirche (sogar wir Jugendliche) "den Lebber Schorsch", Bundesminister Georg Leber, nach dem Gottesdienst auf Bundestagsentscheidungen ansprechen. In Rüsselsheim habe ich Hermann Schmitt-Vockenhausen erlebt, wie er - ohne Presse - mit demonstrierenden Opel-Arbeitern diskutierte oder sich nach der Fronleichnamsprozession in Flörsheim mit anderen Teilnehmern unterhielt. Er wusste, was das von ihm vertretene Volk politisch dachte und wünschte. In München hatten die Wahlkreisabgeordneten Herbert Frankenhauser und Albert Schottenheim immer ein offenes Ohr für ihre Wähler.

Was meines Erachtens die heutigen Wähler frustriert (und vielfach zu Nicht-Wählern macht), ist einmal die Nicht-Erreichbarkeit ihrer Volksvertreter, die sich lieber Vorträge vor erlauchtem Publikum teuer honorieren lassen. Zum anderen aber auch, dass politische Entscheidungen von den Politikern nicht mehr verständlich vermittelt werden (hier bewundere ich die Kunst der Journalisten, die öfter als einmal "auf der Glatze Locken drehen"). Oder dass Politiker nur noch etwas sagen, wenn sie ein Mikrofon sehen oder wenn die Medien eine Sache zum Thema gemacht haben.

Wenn sich unsere Politiker weiter nur mit sich selbst beschäftigen, könnte der Wähler künftig - trotz aller Analysen - verstärkt "Alternativen" wählen, um der gängigen Polit-Praxis einen Denkzettel zu verpassen.

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SZ vom 22.03.2016
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