Süddeutsche Zeitung

75 Jahre Kriegsende:Befreiung und Leid

Soll der 8. Mai ein Gedenktag bleiben oder ein nationaler Feiertag werden? Dazu äußern sich SZ-Leser sehr unterschiedlich. Viele Menschen wurden damals vom Nazi-Regime befreit, aber für einige war auch die Zeit nach der Stunde Null mit bitterer Not verbunden.

Zu "Tag des Verlustes" und "Düsteres Geschichtsbild", beide vom 7. Mai:

Gedenken, aber nicht feiern

In meinem Tagesplaner ist der 8. Mai rot eingezeichnet als Jahrestag der Befreiung. Es gibt Bestrebungen, diesen Tag zu einem nationalen Feiertag zu machen. Dazu einige Überlegungen: Es ist richtig, dass die deutsche Kapitulation am 8. Mai 1945 das Ende der schrecklichen Nazi-Herrschaft bedeutete, das Ende der totalitären Diktatur und somit Befreiung auch für Deutschland. Es ist richtig, dass dieser Tag das Ende des schrecklichen Krieges bedeutete. Es ist richtig, dass dieser Tag das Ende der fürchterlichen Verbrechen der Nazis bedeutet, vor allem, aber nicht nur, der Ermordung von Millionen Juden, und Befreiung für all die Menschen, die noch in den Konzentrationslagern waren. Es ist richtig, dass dieser Tag Befreiung für die Völker bedeutete, die von Deutschland überfallen worden waren. Nationaler Gedenktag sollte dieser Tag daher bleiben.

Aber nationaler Feiertag? Es ist auch richtig, dass dieser Tag die tiefste Demütigung des deutschen Volkes war. Das Deutsche Reich brach zusammen, Deutschland wurde besetzt und verlor seine Souveränität. Das war wohl unvermeidlich und selbst verschuldet. Aber ein Grund zum Feiern? Gott sei Dank, dass die Alliierten nicht den Fehler von Versailles wiederholten und, vor allem unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika, Deutschland in sehr großzügiger Weise wieder auf die Beine halfen. Es ist aber auch richtig, dass Deutschland ein Viertel seines Staatsgebiets verloren hat. Millionen Menschen wurden vertrieben.

Sicher, das war ebenfalls von Deutschland selbst verschuldet. Dass Polen die deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße erhielt, hat Polen entschädigt und Frieden ermöglicht zwischen Deutschland und Polen, das selbst einen großen Teil seines Gebietes an die Sowjetunion verlor. Die darauf beruhende Aussöhnung ist ein Grund zum Feiern. Aber die wurde erst später vollzogen.

Schließlich führte der Krieg dazu, dass Deutschland für mehr als 40 Jahre geteilt wurde. Ein Drittel des Landes blieb unter kommunistischer Herrschaft. Grund zum Feiern? Die deutsche Kapitulation als nationaler Feiertag? Sie bedeutet das Ende von sehr viel Unheil. Aber sie bedeutet auch Unheil, das Deutschland selbst über sich gebracht hat. Ein nationaler Gedenktag ist angebracht, ein Feiertag nicht.

Dr. Karl-Hermann Mühlhaus, Zorneding

Bittere Erinnerungen achten

Ich war bei Kriegsende neun Jahre alt, bin in Ostpreußen geboren. Ich habe einiges an Kriegsgräueln mitbekommen. Für meine Mutter und die vielen Tausend Frauen in Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Berlin war das Kriegsende wahrlich kein Feiertag, und betrachtet man die Plünderungen, die Vertreibungen und die Amputation des deutschen Staatsgebiets, dann kann man das alles als Bestrafung ansehen. So wie es der damalige sowjetische Staatsrundfunk seinen Soldaten zurief: "Tötet, tötet, brecht den Stolz der deutsche Frau." Dass Polen, Russen, Juden, politische deutsche Gefangene Grund zu großer Freude hatten, als der Krieg zu Ende war, ist ja klar. Aber die Millionen kleinen Deutschen? Für sie begann, jedenfalls in den russisch besetzten Gebieten, eine Zeit des Grauens und bitterer Not. Davon betroffen waren zirka fünf Millionen.

Besteht wirklich ein Grund zum Feiern, wenn doch an einem solchen Tag, bei aller Genugtuung über das Ende eines barbarischen Regimes, bei so vielen Menschen bitterste Erinnerungen geweckt werden? Man sollte warten mit dem Vorschlag, aus dem 8. Mai einen Nationalfeiertag zu machen, bis der letzte Heimatvertriebene und Flüchtling aus den ehemaligen Ostgebieten gestorben ist.

Hermann Kaiser, München

Befreiung vom Nero-Befehl

In den Artikeln um die Einführung des Feiertags am 8. Mai fehlt mir der Aspekt, was der von Gauland beklagte Verlust der Gestaltungsmöglichkeit in der damaligen Zeit eigentlich hieß: Er bedeutete das Ende des "Nero-Befehls", der in den letzten beiden Kriegsmonaten galt und die Zerstörung der Lebensgrundlage der Bevölkerung anordnete. Ich als damals Elfjähriger erinnere mich daran, dass das auch für funktionsfähige Traktoren der Bauern galt. Jeder, der sich diesem Befehl widersetzte, konnte ermordet werden und fühlte sich am 8. Mai befreit, nicht nur die Überlebenden in den Konzentrationslagern.

Norwin Dwinger, Karlsruhe

Präsident muss sein Land lieben

Zu "Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben" vom 8. Mai: Ein Bundespräsident, der das Land, das er anführen soll, nur mit "gebrochenem Herzen" lieben kann, ist keiner. Der Höhepunkt einer Karriere gewissenhafter Pflichterfüllung hätte das Präsidentenamt sein können, aber den höchsten Staatsämtern wohnt nun mal eine emotionale Komponente inne und bezüglich dieser hat der Bundespräsident meines Erachtens versagt. Vom Staatsoberhaupt darf, ja muss man die uneingeschränkte Liebe zum eigenen Land erwarten dürfen; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Als Jahrgang 1984 und Enkel eines von Israel in Yad Vashem geehrten Großvaters erlaube ich mir nicht nur einen kritischen Blick zurück, sondern auch, Deutschland von ganzem Herzen zu lieben. Und das erwarte ich auch vom Staatsoberhaupt.

Florian E. Fladerer, München

Schuld anerkennen

Zu "Abwehren statt erinnern" vom 27. April: Der Gießener Historiker Samuel Salzborn hat völlig recht mit seiner Diagnose, dass sich die Deutschen zu einer "Erinnerungsabwehrgemeinschaft" bezüglich der Verbrechen zwischen 1933 und 1945 zusammengefunden haben. Es fehlte nach Kriegsende das große Erschrecken über das, was wir aktiv - oder passiv mittragend - angerichtet hatten. Unrecht hat Salzborn, dass erst aus dieser Abwehrhaltung hierzulande der Antisemitismus wieder aufgeblüht sei: Er war immer da! Wir sind wegen des fehlenden Erschreckens ein empathieloses Volk.

Im Übrigen fällt auch Salzborn auf das Wort "Aufarbeitung" rein, hierzulande seit Jahrzehnten selbstgerecht von allen Politikern und Meinungsträgern geäußert. Dabei unterstellt "Aufarbeitung", dass wir nur alles über die deutschen Verbrechen recherchieren und aufschreiben müssen, dann haben wir es hinter uns. Eine Aufarbeitung kann es aber nicht geben, nur die Anerkennung unserer monströsen Verbrechen, denn unsere unschuldigen Opfer leben ewig. Wer Deutschland wirklich liebt, muss diesen Schmerz aushalten können.

Niklas Frank, Ecklak

Der 30. April ist genauso wichtig

Eigentlich müssten wir auch den 30. April 1945 feiern als den Tag, an dem sich der österreichisch-deutsche Politverbrecher angesichts des von ihm verursachten Trümmerfelds und der Millionen Toten erschossen hat.

Hans Heinrich, Weilheim

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Quelle:
SZ vom 23.05.2020
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