SZ-Werkstatt:Wahlbeobachter

Alexander Mühlauer in München, 2017

Alexander Mühlauer, 37, berichtet als Korrespondent aus der EU-Kapitale Brüssel für die SZ.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Alexander Mühlauer berichtet aus Brüssel - von Wahlen und von Politblasen, denen er so oft es geht zu entfliehen versucht.

Vor den Brüsseler Schulen und Gemeindehäusern lächeln sie schon seit ein paar Wochen um die Wette: die Kandidaten für die Wahl am Sonntag. Ihre Fotos sind auf metallenen Stellwänden zu begutachten, Wahlprogramme werden verteilt. Um Europa geht es darin allerdings nicht. In Brüssel gibt es ganz offensichtlich Wichtigeres als die EU: Die Belgier wählen zwar auch ein neues Europäisches Parlament, in der öffentlichen Debatte dreht sich aber so gut wie alles um die nationalen Parlaments- und Regionalwahlen, die ebenfalls an diesem Sonntag stattfinden. Kein Wunder also, dass man überall die Plakate dieser Kandidaten sieht. Selbst im Europaviertel findet sich kein Konterfei von Manfred Weber oder Ska Keller oder den anderen ziemlich unbekannten europäischen Spitzenkandidaten.

Der Europawahlkampf findet in der EU-Kapitale vor allem in einer Polit-Blase statt, die sich "Brussels Bubble" nennt. Und von denen, die innerhalb dieser Blase Politik machen, sie beeinflussen wollen oder einfach nur darüber reden, glauben nicht wenige, dass sie den Mittelpunkt Europas bilden. Als Korrespondent, der über das Blasen-Gesums berichtet, kann man diesem Gefühl leicht verfallen. Schließlich bewegt man sich die überwiegende Zeit des Tages (und oft auch nachts) in dieser Blase. Man trifft sich mit Blasen-Bewohnern, sprich Politikern, Diplomaten, Beamten, und redet über Blasen-Themen. Zurzeit ist das zum Glück nicht der Brexit oder irgendeine andere Krise, sondern die Europawahl - besonders das Postengeschacher danach.

Wer in Brüssel so etwas wie ein europäisches Gefühl sucht, der sollte das Europaviertel am besten verlassen, mit dem Bus nach Ixelles oder Saint-Gilles fahren und dort auf einen der Wochenmärkte gehen - abends dann in eine Bar. Dort hört man ein wunderbares Sprachen-Wirrwarr aus allerlei EU-Ländern. Blasen-Bewohner sind natürlich auch da. Man erkennt sie aber nicht gleich, weil sie ihren Ausweis, den Bubble-Badge, der sonst an einem Bändchen um den Hals baumelt, ausnahmsweise mal nicht tragen. Dafür haben sie endlich Zeit, über die wirklich wichtigen Dinge zu reden.

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