Angst vor Flüchtlingen:Darüber reden - oder schweigen?

Lesezeit: 5 min

Ulrike Heidenreich hat kürzlich in einem Leitartikel die aus ihrer Sicht berechtigte Furcht von Frauen vor sexuellen Übergriffen durch Flüchtlinge thematisiert. Daraufhin bekam sie zahlreiche Leserbriefe - zustimmende und ablehnende.

"Berechtigte Sorge" vom 20. September:

Schwarze Schafe gibt es überall

Es ist sehr bedauerlich und bedenklich, dass Ulrike Heidenreich in obengenanntem Leitartikel die sogenannte Flüchtlingskrise mit dem Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen verknüpft. Natürlich ist jede Vergewaltigung einer Frau durch einen Asylbewerber ein unverzeihliches Vergehen, und das Leid, das dadurch ausgelöst wird, will ich überhaupt nicht kleinreden. Allerdings fehlt mir bei der Aufstellung der "Meldungen nur aus der vergangenen Woche" als Vergleich die Liste der durch einheimische Männer begangenen Gewalttaten gegen Frauen. Auch und gerade jetzt während des Oktoberfestes.

Tatsache ist doch, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft nach wie vor präsent ist. Inwieweit die Kleidung von Frauen dazu beiträgt, ist vielleicht an anderer Stelle zu diskutieren, aber der wesentliche Punkt ist, dass die meisten Sexualstraftaten in diesem Land von Deutschen oder Europäern begangen werden. Auch und gerade diese brauchen einen Integrationskurs in puncto Wohlverhalten innerhalb einer gleichberechtigten Gesellschaft. Und vielleicht brauchen die Frauen, die nachts Befürchtungen haben, sich alleine auf der Straße zu bewegen, einen Kurs für selbstbewusstes Auftreten und Selbstverteidigung. In fast drei Jahren intensiven Kontaktes mit Flüchtlingen in verschiedenen Kontexten habe ich noch keinerlei Situation erlebt, wo ich mich auf irgendeine Art bedroht gefühlt hätte. Sicher gibt es ein paar schwarze Schafe in der ganzen Herde, aber diese sind nicht zahlreicher als die schwarzen Männerschafe in der deutschen Herde. Dr. Uta Lenk, Vilsbiburg

Unsicherheit und Sorge

Ich beobachte an mir genau diese Unsicherheit und Sorge, die Ulrike Heidenreich beschreibt, wenn ich Männergruppen begegne, die wie Flüchtlinge aussehen. Ich bin sehr froh über das in unserer Gesellschaft Erreichte, was die Gleichberechtigung von Frauen betrifft und finde es unerträglich, wenn ich höre, dass geflüchtete Männer nicht gewillt sind, Anweisungen von Frauen als Amtspersonen (Polizistinnen, Angestellte in Ämtern) zu akzeptieren, von unverschämtem Verhalten jeder Frau gegenüber ganz zu schweigen. Leider habe ich keine Idee, wie man erreichen kann, dass geflüchtete Männer unsere europäische Kultur akzeptieren und finde es sehr gut, dass das Thema in der SZ aufgegriffen wurde. Hoffentlich ist das eine Anregung, dass es auch an verantwortlicher Stelle bearbeitet wird. Sigrid Raschke, Dortmund

Bedroht vom deutschen Mann

Es schwirrt ja nun schon seit einiger Zeit die unausgesprochene, implizite Forderung herum, man möge in der gesellschaftlichen Mitte doch bitte akzeptieren, dass sämtliche Flüchtlinge sexuell unreif seien und deshalb potenzielle Vergewaltiger. Oben genannter Leitartikel trägt diesen Gedanken nun ganz offen vor. Schon der Titel deutet an, der Schutz von Frauen und der von Flüchtlingen würden konkurrieren. Dieser gedachte Zusammenhang ist aber nur haltbar, wenn man unterstellt, dass Flüchtlinge in erheblichem Maße Frauen bedrohen. Aber ist das wirklich der Fall? Die Autorin zählt eine Reihe von Straftaten auf, die natürlich allesamt schockierend sind. Im Verhältnis zur Gesamtzahl männlicher Flüchtlinge in Deutschland dürfte die Anzahl von Vergewaltigungen, bei denen der Täter ein Flüchtling ist, aber eher im Promillebereich liegen. Die Autorin fordert, Frauen vor den Flüchtlingen zu schützen, aber wer schützt die Frauen vor der viel größeren Gefahr, in der Familie, im Bekanntenkreis oder bei der Arbeit Opfer weißer deutscher Männer zu werden?

Ich stimme der Konstruktion einer nationalen Gefahrengroßlage nicht zu. Undifferenzierte, öffentliche Schuldzuweisungen tragen nur dazu bei, den Druck auf (oft sowieso schon traumatisierte) Flüchtlinge zu erhöhen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies zu erhöhter Gewalt führt. Sowohl gegen, als auch ausgehend von Flüchtlingen. Christian Scheler, Viersen

Kaum Solidarität für Frauen

Ich frage mich schon länger, warum nicht beides geht: Flüchtlingen helfen und gleichzeitig die Rechte der Frauen schützen. Mich sorgt, dass es offenbar keine echte Solidarität mit den Frauen gibt, weder in der Politik noch in den Medien, weder von den Männern und leider nicht einmal von den Frauen selbst. Das Thema wird verdrängt, weil man Angst hat, in die rechte politische Ecke gestellt zu werden, oder einfach, weil es unangenehm ist. Meine Freundinnen fahren nicht mehr öffentlich, sondern mit dem Taxi. Wenn sie abends weggehen, dann nur noch in Gruppen. Ein Freund hat mir erklärt, Frauen fühlen gegenüber Flüchtlingen nur eine subjektive Bedrohung, obwohl die objektiv gar nicht gegeben ist. Ein Bekannter erläuterte, dass man einzelne Gewaltakte hinnehmen muss, da die Zahl der Flüchtlinge, die wir retten, größer und damit wichtiger ist. Nachdem eine Studentin in München vor Kurzem um zwei Uhr morgens vergewaltigt wurde, sagte eine Bekannte vor versammelter Runde dazu: selber schuld, warum ist sie auch so spät unterwegs? Claudia Scheffler, München

Frust und Gesellschaft

Mir fehlt der Glaube daran, dass man durch forcierte Integrationskurse ein Frauenbild verändern kann. Dazu bräuchte man Hunderttausende fähige SozialarbeiterInnen. Diese gibt es nicht. Sie sind nicht ausgebildet und sie werden nicht ausgebildet werden können. Das ist eine Kosten- und eine demografische Frage. Zudem wird Frust gegenüber Frauen - Frust überhaupt - nicht nur kulturell generiert, sondern entsteht aus mangelnder gesellschaftlicher Teilhabe. Da die meisten Flüchtlinge über Jahre hinweg keine Arbeit und keine Partnerin finden werden, wird ihr Frust weiterhin vorhanden sein oder wachsen.

Beruflich betreue ich seit 13 Jahren überwiegend Migranten. Fast alles total liebe Menschen. Integration ist - bei vielen Fortschritten - jedoch nur in den wenigsten Fällen möglich gewesen. Andreas Schneider, Schorndorf

Spielregeln beachten

Endlich wurde das Problem einmal sachlich betrachtet. Ich unterstütze die Forderungen der Autorin nach Aufklärung voll und ganz. Ich finde, man kann auch erwarten, dass die Spielregeln des asylgewährenden Landes beachtet werden. Dr. Susanne Linder, Grafrath

Beide Gruppen sind zu schützen

Die Gleichrangigkeit von Rechten der Frauen und der Geflüchteten möchte ich nicht in Frage stellen. Diese Rechte bedingen einander, die Rechte der hier lebenden Frauen sind zu schützen durch unsere Gesellschaft, durch die Verwaltung und durch die Politik. Wenn dieses zeitlich vorher zu schützende Rechte offensichtlich gewährleistet ist, dann wird in unserer Gesellschaft auch das Recht der Geflüchteten wieder Raum erhalten. Stefan Thomass, Hamburg

Sich der Wirklichkeit stellen

Aus dem Bekanntenkreis weiß ich, dass einzelne Frauen nach 20 Uhr in München U- und S-Bahn meiden. Meine Beobachtungen von Gruppen junger Männer vor allem am Hauptbahnhof machen nicht nur mich in der Tat nachdenklich. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, dass junge Männer aus den benannten Herkunftsländern immer mehr frustriert, gewaltsam, (klein-)kriminell und gegenüber Frauen übergriffig werden. Die Zeit der Untätigkeit, der Abhängigkeit lässt zwangsläufig die Frustration stark ansteigen und die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung (einschließlich früherer Migranten) schwinden. Wenn dann noch Stadtteile sich zu "Molenbeeks" und "Haarlems" verwandeln, ist die Problemlage kaum mehr umkehrbar. Integrationskurse helfen dann nicht weiter. Die (Qualitäts-)Presse und die angeblich so differenzierenden "öffentlich-rechtlichen Anstalten" täten gut daran, sich der Wirklichkeit zu stellen - und sich auch noch an ihre Darstellung der Ereignisse vor zwei Jahren zu erinnern. Dazu gehört auch die Nennung der immensen Kosten des "Flüchtlingskomplexes" (Bund, Länder, Kommunen). Dass diese Mittel in den Herkunftsländern der "Flüchtlinge" eine immens größere Wirkung hätten, weiß man eigentlich. Sie haben in der SZ einen "aufrichtigen" Anfang gemacht. Dafür Anerkennung. Manfred J. Hoefle, München

Frauen werden instrumentalisiert

Man sollte die Flüchtlingsfrage und die Ankunft von traumatisierten Menschen aus anderen Kulturen sicher nicht naiv betrachten, genauso wenig möchte ich als Frau aber für das Schüren von Ängsten instrumentalisiert werden, die im Kern nichts mit sexueller Selbstbestimmung, dafür aber sehr viel mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben. Viele, die sich jetzt plötzlich für die Sicherheit und das Wohlbefinden von Frauen interessieren, haben sich vorher nur wenig an arschgrabschenden Oktoberfest-Besuchern gestört. Da geht es nicht um Emanzipation, sondern darum, wer den Körper der deutschen Frau besitzt - und das ist eben nicht der muslimische Flüchtling, das ist der deutsche Mann. Diese Sichtweise finde ich persönlich viel verstörender, als abends auf dem Heimweg Araber zu treffen. Und leider hat sich die Autorin - aus meiner Perspektive - zu wenig von den AfD-lern distanziert, die sich so vehement für mein Recht einsetzen, am Baggersee Bikini zu tragen...

Diskussion um sexuelle Selbstbestimmung? Ja bitte, aber nicht mit "den Flüchtlingen", sondern der Frau im Zentrum. Denn auch viele deutsche oder zumindest westlich geprägte Männer benötigen auf diesem Gebiet doch deutlich mehr Nachhilfe. Anne-Maria Fehn, Leipzig

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: