Zustelldienste:"Wer nicht alles im Zeitrahmen schafft, arbeitet abends länger"
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Angetrieben von der Zentrale, ferngesteuert mit GPS: Der Druck auf Paketbotinnen und Kurierfahrer wächst. Wieso finden sich immer noch genug Zusteller, die den Job machen?
Von Miriam Hoffmeyer
"Paket!" schallt es in vielen Haushalten mehrmals täglich aus der Gegensprechanlage oder durch das Treppenhaus. Wegen des Booms im Onlinehandel werden Zusteller dringend gesucht. Trotzdem sind ihre Löhne niedrig, die Arbeitsbedingungen schlecht. Was die Digitalisierung damit zu tun hat, untersucht seit 2018 der Soziologe Klaus Schmierl vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München. Die Studie "Digitale Logistik, Arbeitsstrukturen und Mitbestimmung" (DiLaMi) im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung läuft noch bis zum Jahr 2022.
SZ: Die Kurier-, Express- und Paketdienste, abgekürzt KEP, stecken 90 Prozent ihres Investitionsvolumens in die IT. Machen intelligente Drohnen und Roboter menschliche Zusteller bald überflüssig?
Klaus Schmierl: Nein, für den Transport auf der "letzten Meile" wird man noch lange Menschen brauchen. Hauptzweck der IT-Investitionen ist es, die Routen weiter zu optimieren, um noch mehr Pakete in kürzerer Zeit zustellen zu können. Zugleich ermöglicht die Digitalisierung den Einsatz von Arbeitskräften, die außer dem Pkw-Führerschein praktisch keine Qualifikationen mitbringen. Früher kannten die Kurierfahrer und Paketbotinnen ihre Touren, heute werden sie durch Anweisungen über mobile Endgeräte gelenkt. Die Routen werden zentral ausgerechnet und häufig kurzfristig geändert, um garantierte Zeitfenster bei den Lieferungen einzuhalten.
Den Zeitdruck sieht man den Paketboten ja auch an.
Der Druck ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Das liegt daran, dass die Zusteller durch GPS, schnelles Internet und moderne Smartphones jetzt ständig erreichbar sind und aus der Zentrale angetrieben werden. Wer nicht alles im Zeitrahmen schafft, arbeitet abends länger oder lässt die Pause ausfallen. Wenn die Zusteller nach der Menge der ausgelieferten Pakete bezahlt werden, kann der Mindestlohn durch unrealistische Zeitvorgaben unterlaufen werden.
Warum finden die Unternehmen überhaupt noch Zusteller, wenn die Löhne und Arbeitsbedingungen so schlecht sind?
Es gibt in diesem Feld sehr viele Bewerber, die kaum Alternativen haben, darunter viele Migranten mit teils sehr schlechten Deutschkenntnissen. Die Routenanweisungen können sie mithilfe von Übersetzung-Apps verstehen. Die Unternehmen haben deshalb wenig Veranlassung, etwas zu verändern. Bei DHL sind die Bedingungen noch vergleichsweise gut, dort haben die Zusteller unbefristete Verträge. Andere KEP-Dienste beschäftigen teils gar keine eigenen Angestellten, sondern nutzen Werkverträge oder beauftragen Ketten von Subunternehmern.
Wie lässt sich die Situation verbessern?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Zum einen, dass Gewerkschaften und Betriebsräte bessere Bedingungen aushandeln. Allerdings ist der Organisationsgrad - außer bei DHL - sehr niedrig, die Ansprache der Mitarbeiter wegen der mobilen Natur des Berufs und der Sprachbarrieren schwierig. Zum Zweiten sind strengere gesetzliche Vorgaben nötig, etwa die Einschränkung von Werkverträgen und der Beschäftigung von Subunternehmen. Es ist hilfreich, dass die Paketdienste mittlerweile dafür haften müssen, wenn ihre Subunternehmen keine Sozialabgaben bezahlen. Das muss gut kontrolliert werden.
In Ihrer Studie haben Sie auch die Lage der Lkw-Fahrer untersucht. Geht es denen besser?
Ja, Berufskraftfahrer sind grundsätzlich in einer besseren Verhandlungsposition als Mitarbeiter von KEP-Diensten. Ihre Arbeitsbedingungen, zum Beispiel die Lenk- und Ruhezeiten, sind wesentlich strikter gesetzlich geregelt. Viele Speditionen bilden ihre Angestellten regelmäßig weiter. Und nicht zuletzt haben Lkw-Fahrer bisher noch mehr Autonomie in der Arbeitsgestaltung. Allerdings dürften ihre Handlungsspielräume durch die Digitalisierung ebenfalls kleiner werden, weil Routen und Arbeitsabläufe immer stärker vorgegeben werden.