Süddeutsche Zeitung

Zum Weltlehrertag:Entschuldigung!

Wir waren jung, unverschämt und rücksichtslos. Heute tut uns das leid. Ehrlich! Worum wir unsere Lehrer schon immer um Verzeihung bitten wollten.

Lieber Herr Jonas,

immer, wenn ich Sie auf meinem Weg zur Arbeit um die Ecke schleichen sehe, in gebeugter Haltung und dünn wie eh und je, plagt mich mein schlechtes Gewissen. Nicht, dass ich etwas für Ihren krummen Rücken kann oder Ihre ausgezehrte Figur - zumindest nicht ich allein. Das haben wir alle zusammen geschafft: 31 hormongesteuerte Gymnasiasten, die Ihren Unterricht dazu benutzten, sich gegenseitig in der Disziplin "Horror-Schüler des Jahrgangs" zu übertrumpfen.

Während Sie versuchten, uns den Begriff der Nächstenliebe in der Moderne nahe zu bringen, lachten wir uns kringelig, nutzten jedes Atemholen zum Platzieren eines Witzes, unterhielten uns von Bank zu Bank.

Irgendwann ging es für Sie nicht mehr um die Vermittlung von Unterrichtsstoff, sondern darum, uns zu überbrüllen. Gegen Ende des Jahres versuchten Sie nur noch, die Doppelstunde irgendwie zu überstehen. Schließlich sind Sie gar nicht mehr gekommen.

Der Zeitpunkt war aber auch denkbar ungünstig: Sie waren jung und bereit zum Dialog, wir in der Pubertät und ohne Bock. Mit anderen Worten: Sie hatten keine Chance. Und am Ende des Schuljahres waren Sie um Jahre gealtert und verstummt.

Sicher hatten Sie sich Ihren Beruf anders vorgestellt. Aber wer, bitte, hat von diesem Job schon eine realistische Vorstellung... Die meisten Menschen sehen nur, dass Lehrer unkündbar sind, bis mittags arbeiten, ständig Ferien haben und weniger Abgaben zahlen. Wenn ich ehrlich bin - selbst fürs doppelte Gehalt möchte ich Ihren Job nicht machen. Jedenfalls nicht, wenn ich es mit Schülern zu tun hätte, die älter als zehn sind.

Wenn Sie heute in Ihrem Religionsunterricht auf Dialog und Diskussion verzichten und nur noch Ihr Programm herunterspulen, so ist das auch unser Verdienst.

Das tut mir heute aufrichtig Leid. Für Sie, und ebenso für Ihre Schüler.

Ihre Violetta Simon

Liebe Frau Post,

Sie... halt! Ich muss ja "Du" sagen, das durften wir damals ja auch schon. Zwar nicht im Klassenzimmer, aber privat. Du warst nämlich die einzige Lehrerin, die nicht nur Stoff gepaukt hat, sondern auch versucht hat, einen Draht zu den Schülern zu bekommen. Auch privat. Das war nicht nur cool, sondern auch richtig mutig. Denn Deine Kollegen haben das nicht so gern gesehen.

Und was haben wir Elftklässler getan? Wir haben Dein Vertrauen missbraucht! Du hast einmal die ganze Klasse abends in die Schule eingeladen, um zwei Filme zu sehen. Sogar die Pizza hast Du bezahlt. Und wir hatten nichts besseres zu tun, als völlig betrunken aufzutauchen und die Pizza im Zimmer zu verteilen. Die Schuld bekamst natürlich Du, nicht wir.

Dann haben wir Dir die Fragen einer Ex geklaut - fast jeder schaffte eine Eins (Ich frage mich heute noch, welcher Tiefseetaucher da eine "Zwei" bekommen konnte...). Zum Rapport beim Direktor musstest Du, wir durften die guten Noten behalten.

Und natürlich haben wir Dich auf jede Klassenfete eingeladen - weil wir jemanden brauchten, der uns stockbesoffen nach Hause fährt und unseren Eltern ein Alibi liefert. Dabei hast Du Dich so gefreut, weil wir Dich dabeihaben wollten.

Wir waren richtige Vollidioten. Und Du warst die einzige Lehrerin, die richtig cool war. Nach einem Jahr haben sie Dich an eine andere Schule geschickt.

Ich hoffe, Du hast uns trotzdem nicht vergessen. Wir würden uns nämlich gern entschuldigen...

Jürgen Schmieder

Lieber Herr Beil,

wir waren eine bankvoll dummer Mädchen. Nein, stimmt nicht, eine von uns hatte es voll drauf in Chemie. Sie hat bei Ihnen sogar Abitur gemacht. Aber sie saß ganz links außen - zu weit weg, um ihren Freundinnen rechts außen aus der Patsche zu helfen.

Es ging um Alkohole. Sie sagten: "Die heißen wie die Alkane, nur muss man am Ende ein -ol dranhängen. Also, Meike, wie heißen sie?" Mist. Wir schon wieder. Wir wussten so etwas doch nicht. Deshalb blieb Meike stumm. Ich saß direkt neben ihr, kramte in meinem Hirn nach den Alkanen - und - Überraschung - ich fand sie auch. Schnell noch ein ol ergänzen und los geht die stille Post. "Methol, Ethol, Propol", flüsterte ich auf die Schnelle Meike zu. Sie war so verdattert, dass ich etwas wusste und plapperte laut nach: "Methol, Ethol, Propol."

"Voll hohl", konterten Sie.

Richtig. Wir waren einfach zu doof für Sie. Wir haben Ihre Zeit verplempert und den Unterricht mit unserer Dummheit auf Minimalgeschwindigkeit heruntergebremst.

Dafür möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen. Und mich auch bedanken. Denn wir lachen noch heute über ihren genialen Konter. Und das Beste, wir können noch knapp 20 Jahre später die Alkohole unfallfrei im Schlaf aufsagen: Methanol, Ethanol, Propanol. Sehen Sie, geht doch.

Viele Grüße von der chemischen Nulpe, Eike Schrimm.

Lieber Herr Ewers!

Allein für den Spitznamen Pongo, den Sie bereits von den älteren Schülern erhalten und den wir in bösartiger Schülertradition übernommen hatten, möchte ich mich hiermit in aller Form entschuldigen!

Pongo ist der erste Teil des lateinischen Namens des Orang-Utan (Pongo pygmaeus). Doch selbst wenn es tatsächlich eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit gegeben hat ... Es tut mir Leid, Herr Ewers!

Leider hören die Gründe, sich bei Ihnen zu entschuldigen, damit noch nicht auf. Sie hatten als Deutschlehrer einen immensen Wissensschatz, jedoch nur äußerst selten Gelegenheit, uns etwas davon zu vermitteln. Statt von Ihnen zu lernen, wetteiferten wir Schüler lieber darum, Sie in möglichst große Verwirrung zu stürzen.

Erinnern Sie sich noch? Einmal verließ die gesamte Klasse kurz vor Unterrichtsbeginn geschlossen den Raum. Als Sie ihn leer vorfanden, begaben Sie sich im Zustand völliger Verwirrung schnurstracks zu einem anderen Gymnasium in der Nähe, wohin wir wegen Raummangels hin und wieder ausgewichen waren.

Natürlich kehrten Sie unverrichteter Dinge wieder in den richtigen Unterrichtsraum zurück, in dem wir uns inzwischen wieder vollzählig versammelt hatten. Wir leugneten mit aller Vehemenz, die Plätze in der letzten halben Stunde verlassen zu haben. Und Sie ... begannen wieder einmal an Ihrem Verstand zu zweifeln, statt unsere Behauptung in Frage zu stellen.

Verzeihung!

Ihr Markus C. Schulte von Drach

Lieber Herr Nefzger, zwei links!

Es lag nicht, zwei rechts, an ihrem Englisch-Unterricht, zwei links, der war mit das Beste, zwei rechts, was die Kollegstufe zu bieten hatte, zwei links. Es lag auch nicht an Ihnen, eins links, hoppla, das müssen zwei sein. Sie waren kompetent, engagiert, zwei rechts, statt dem steifen Kollegiaten-Sie boten Sie uns das "Du" an, zwei links, und sagten: "Aber ich heiße halt Alois." Ich war einfach jung, zwei rechts und brauchte - nein, mein Freund, zwei links, dem war immer so kalt, zwei rechts, der brauchte dringend Pullover, und zwar viele Pullover. Moment, jetzt kommt die schwierige Stelle mit dem Zopfmuster - geschafft.

Und Sie waren tolerant, zwei rechts. Beim Stricken, zwei links, braucht man ja eigentlich, zwei rechts, keine Konzentration, im Gegenteil, da werkeln die Finger von ganz alleine, Nadelwechsel, und das Gehirn wird wach und frei. Politikerinnen brachten damals sogar Farbe, zwei links, in öde Fraktionssitzungen, warum dann nicht auch in einen Leistungskurs, zwei rechts? Sie hatten nichts dagegen und blickten fortan, zwei links, auf gesenkte Scheitel und Lippen, die lautlos Maschen zählten, statt sich, zwei rechts, am Unterricht zu beteiligen. Dem Freund war irgendwann warm genug und dass ich Ihr pädagogisches Können mit der Stricknadel torpediert habe, tut mir heute leid. Garnwechsel. Entschuldigung.

Ihre Daniela Dau

Liebe Frau Jages,

es lag nicht an Ihrem Rock. Außerdem hatten Sie ja sicherlich nicht nur einen. Aber immer trugen sie dasselbe Modell: ewigvorgestrig mit zu vielen Falten, in zu dunklen Farben und aus zu dickem Stoff. Sogar im Sommer.

Es lag auch nicht an Ihrer Körpergröße. Sie waren klein, sicher. Sehr klein. Aber das ist selbst für 15-jährige Schüler nicht Grund genug, auf jemanden herabzusehen.

Es lag vielleicht ein wenig an Ihrer Stimme. Sie war dünn wie graues Seidenpapier und irritierend hoch. Wenn wir Sie zur Verzweiflung brachten, was leider sehr häufig der Fall war, erreichte sie Frequenzen, die für ein menschliches Organ absolut rekordverdächtig waren. Das war nicht schön für uns.

Es lag sicher mit an Ihrem Fach. Auch gestandene Lateinlehrer waren zuvor daran gescheitert, unser Interesse an dieser toten Sprache zu wecken. (Lieber Herr Geier, Verzeihung! Sie hatten sich wirklich Mühe gegeben. Geradezu liebevoll, mit verzückt gespitztem Mund, sprachen sie uns Worte und Marken lateinischen Ursprungs vor: V- o - l - v- o. Und was taten wir? Versteckten ein Aufnahmegerät in einer Kuchenschachtel.)

Sehen Sie, Frau Jages, Glück gehabt: Das haben wir mit Ihnen nie gemacht. Dabei waren Sie nur Referendarin. Aber daran lag es eben auch. Es gab Fächer und Jahre, da gaben sich die Referendare die Klinke in die Hand. Die wenigsten verfügten über pädagogisches Geschick. Und vielen schien das Interesse, den ihnen anvertrauten Schülern, etwas beibringen zu wollen, völlig abzugehen. Unsere Rache war prompt, und manchmal fürchterlich. Das Schlimmste, was wir taten, war mit einer anderen Klasse vor Unterrichtsbeginn das Zimmer zu tauschen. Leider war es der Tag der Lehrprobe.

Jetzt sind Sie bestimmt froh, Frau Jages, dass das Ihnen nicht passiert ist. Auch wenn wir Sie manchmal fast zum Weinen gebracht haben mögen. Das tut mir Leid. Das war nicht fair. Aber vielleicht ist es auch nicht fair, Lehrerin werden zu wollen, nur weil man Latein mag. Verzeihung, ich wollte mich ja eigentlich bei Ihnen entschuldigen, aber irgendwie kann ich es nicht.

Ich wollte mich auch dafür bedanken, dass ich immerhin mein Latinum geschafft habe, was mich davor bewahrt hat, es später für die Uni nachholen zu müssen. Aber auch dass kann ich nicht. Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich das Latinum ohne Sie geschafft habe.

Wissen Sie was, Frau Jages? Ich wünsche Ihnen, dass Sie inzwischen einen Beruf haben, der besser zu Ihnen passt, in dem Sie glücklicher sind. Tut mir Leid, das ist alles.

Ihre Nicola Holzapfel

Liebe Frau Baske,

ich möchte mich für ein paar unerfreuliche Vorkommnisse in der 10. Klasse entschuldigen.

Dafür, dass wir im Geschichtsunterricht Papierkugeln und Kaugummis in Ihre Tasche geworfen haben. Dafür, dass wir den nassen Schwamm an die Tafel geklatscht haben, als Sie gerade was darauf schrieben. Dafür, dass wir Sie mit unseren Schulbänken umzingelt haben.

Es tut mir Leid. Wir waren 16. Das Pubertäre in uns war nochmal voll zum Ausbruch gekommen.

Ich hoffe sehr, dass Sie den Lehrerberuf nicht wegen uns an den Nagel gehängt haben. Sie waren damals ja noch Referendarin. Ich habe mich auf jeden Fall weiter für Geschichte interessiert, später sogar den Leistungskurs belegt. Die Geschichte interessiert mich noch heute. Und diese alten Geschichten sollten wir einfach vergessen.

Mit aufrichtigem Gruß

Bernd Oswald

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