Zukunft der Arbeitswelt:Bin ich Entwickler oder Anwender?

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Wer in welchem Maße technikbegeistert ist, hängt vom Alter und Geschlecht ab. Wer sie grundsätzlich ablehnt, steht sich selbst im Weg - privat wie im Job. (Foto: Rawpixel.com/Unsplash)

Unternehmen und Behörden unterscheiden noch immer "Technische Berufe" und "Nicht-technische Berufe". Das ist absurd - und es wird Zeit, dass wir uns damit auseinandersetzen.

Von Katharina Kutsche

Kürzlich blamierte sich der AfD-Politiker Alexander Gauland im ZDF-Sommerinterview, weil er zu wesentlichen Zukunftsfragen keine Antwort geben konnte. Auf die Frage etwa nach einer Strategie seiner Partei für den digitalen Wandel erklärte er, von einer Digitalisierungsstrategie könne nicht die Rede sein "und ich wüsste im Moment auch keine." Er habe, das sei bekannt, keine enge Beziehung zum Internet. Die Kritik an den Äußerungen des 77-Jährigen war groß - zu Recht, denn eine Partei, die keinen Plan vom und für den digitalen Wandel hat, kann so oder so keine Alternative für Deutschland sein.

Nun ist Gauland - ohne ihn in irgendeiner Form in Schutz nehmen zu wollen - bei weitem nicht der einzige Mensch in Deutschland, der es nicht so mit der Technik hat. Um eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln, muss man verstanden haben, was Digitales leisten kann und wo seine Grenzen sein sollten. Das betrifft Bürger und Volksvertreter gleichermaßen.

Im Technik-Radar 2018, einer repräsentativen Studie der Akademie der Technikwissenschaften und der Körber-Stiftung, sagen 21,5 Prozent der Befragten, sie seien sehr an Technik interessiert, weitere 32,5 Prozent "eher interessiert". Fast die Hälfte der Teilnehmer hat also mäßiges bis gar kein Interesse. Und mehr als die Hälfte gibt an, sie sei mäßig bis gar nicht über Technik informiert. Das muss sich dringend ändern.

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Der Mensch ist in Technik-Fragen gespalten. Es gibt etwas Neues? Dann entstehen drei Gruppen: Eine ist sofort begeistert, einer ist es völlig egal, die dritte lehnt die Entwicklung ab. Obwohl Technik noch nie unser Leben so bestimmt hat wie jetzt, obwohl wir seit der Industrialisierung viele Erfahrungen haben mit ihren guten und schlechten Folgen, ist unser Verhältnis zu ihr immer noch widersprüchlich. Das ist aber höchst unglücklich, denn im selben Technik-Radar sagen neun von zehn Menschen, man könne den technischen Fortschritt nicht aufhalten. Soll also nur eine kleine, freiwillig interessierte und informierte Gruppe bestimmen, in welche Richtung dieser Fortschritt geht? Das darf nicht passieren.

Bürger müssen Technologien zumindest grob verstehen

Wer wie technophil, also technikbegeistert ist, hängt vom Alter und Geschlecht ab, aber nicht nur. Auf einer Skala von -0,7 (Technikdistanz) bis +0,7 (Technophilie) haben Männer zwischen 16 und 64 Jahren die höchsten Werte. Frauen ab 35 Jahren sind dagegen distanziert bis ablehnend. Nach Berufsfeldern aufgeschlüsselt zeigt sich, dass Menschen in naturwissenschaftlich-technischen und Ingenieursberufen sich (wenig überraschend) für Technik begeistern. Jene in sozialen Berufen, etwa medizinisch-pflegerischen Bereichen, sind technikdistanziert. Letztere sind oft Tätigkeiten mit hohem Frauenanteil.

Man kann daraus zwei Schlüsse ziehen: Frauen interessieren sich nach wie vor weniger für Technik. Und generell setzen sich vor allem Menschen mit Technik auseinander, bei denen es zum Beruf gehört. Technologien haben aber Einfluss auf die gesamte Gesellschaft - und er war noch nie so groß und umfassend wie jetzt.

Deutschland etwa hat viel vor. Mittelfristig werden Gebäude und Stromnetze intelligent gesteuert (Smart Home, Smart Grid) und Städte und Regionen vernetzt (Smart Citys). Autonomes Fahren in seiner Endstufe bedeutet, dass die Fahrzeuge mithilfe von Sensoren und Handydaten erkennen, ob sich ein Mensch am Fahrbahnrand befindet, dem sie gefährlich werden könnten. All diese Prozesse greifen mehr oder weniger stark in unsere Privatsphäre ein. Deswegen müssen Bürger die Planungen kritisch begleiten, in Kommunalvertretungen, Bürgerinitiativen und individuell. Dafür müssen sie zumindest grob wissen, wie die Technologien funktionieren und woraus sich Probleme ergeben können.

Wir brauchen ein neues Verständnis und Bewusstsein für Technik und das, was sie uns bringen kann, sonst stehen wir uns selbst im Weg. Skepsis und Unwissen hält Menschen davon ab, sich wirklich mit dem Thema zu beschäftigen. Das wäre aber nötig, um mitzugestalten, wie und wo wir Technik einsetzen.

Was man im privaten und beruflichen Alltag wahrnehmen kann, ist ambivalent und von Unsicherheiten und Missverständnissen geprägt. 80 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen ein Smartphone. Drei von vier Internet-Nutzern erledigen ihre Bankgeschäfte online. Gleichzeitig glauben nur 20 Prozent, dass ihre Daten im Internet sicher sind. Wir diskutieren, dass Kinder und Jugendliche auf die digitale Welt vorbereitet werden müssen.

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Gleichzeitig beschäftigt uns die Frage, ob sie und wir alle nicht viel zu sehr an Smartphone und Tablet hängen. Dann macht man "Digital Detox". Das ist ein Trend, bei dem man sich bewusst eher offline bewegt und der schon sprachlich ein Offenbarungseid ist: digitale Entgiftung - als wäre die mobile Technik eine Krankheit, die uns schleichend befallen hat. Dabei hat es nach wie vor jeder Einzelne selbst in der Hand, wie oft und für was er das Smartphone nutzt.

In der Arbeitswelt ist es nicht anders. Immer noch unterscheiden Unternehmen und Behörden ihre Arbeitsbereiche in "Technische Berufe" und "Nicht-technische Berufe". Das ist absurd. Es gibt so gut wie keine Tätigkeit mehr, in der man ohne digitale Kompetenzen auskommt. Handwerksbetriebe brauchen eine Website, Büroarbeiter müssen Texte, Verträge und Abrechnungen in Softwareprogramme speichern. Ärzte und Pflegepersonal nutzen komplizierte Apparate, und eine hochdotierte Medizintechnik-Branche sorgt dafür, dass die Geräte immer ausgefeilter werden.

Wer heute Landwirt werden will, wird sich nicht auf einem romantischen Bauernhof wiederfinden, auf dem er das Futter aus der Hand und jedem Tier persönlich anreicht - das erledigen Futtermisch- und Fütterungsmaschinen in automatisierten Ställen, deren Raumtemperatur von speziellen Belüftungsanlagen geregelt wird. Wer Menschen heilen oder ihnen helfen, sie unterrichten oder beraten will, tut das mithilfe von Computern, Apparaten und Maschinen. Heute ist jeder Beruf technisch. Der einzige Unterschied ist: Bin ich Entwickler oder Anwender?

Arbeitnehmer müssen zum lebenslangen Lernen bereit sein

Zur Klarstellung: Jeder der Widersprüche hat für sich genommen seine Berechtigung. Niemand sollte Technik uneingeschränkt toll finden. Aber zusammengefügt ergeben sie ein Bild der Inkonsequenz im Denken und Handeln. Drei von vier Menschen sagen, sie seien dann für technische Neuerungen, wenn diese im Einklang mit sozialen Werten wie Umweltschutz oder Gerechtigkeit stehen. Das ist lobenswert, aber der Erfolg der großen Plattformen wie Amazon, Facebook und Airbnb, sowie von Herstellern wie Apple zeigt, dass viele nicht danach handeln. Entweder haben sie nicht verstanden, worin die negativen Folgen bestehen, oder sie sind ihnen egal. Beides ist ein Problem.

Wichtig ist daher, dass wir eine Haltung entwickeln und schärfen: Wie gehen wir mit Technik um? Was gestehen wir der Tech-Industrie zu, mit uns umzugehen? Das muss auf Wissen, nicht auf Vermutungen und Bauchgefühl aufbauen.

Auch beruflich. Es steht außer Frage, dass die Digitalisierung andere Anforderungen an Arbeitnehmer stellen wird als bisher. Sie wird Jobs kosten, aber neue schaffen. Manche Experten rechnen damit, dass gerade Arbeitskräfte im Niedriglohnbereich gefährdet sind. Andere Forscher vermuten, dass es eher im mittleren Qualifikationsbereich kritisch wird. Einigkeit herrscht aber darin, dass gegen die Bedrohung vor allem eines hilft: lebenslanges Lernen. Das müssen Arbeitgeber anbieten und fördern. Und ihre Mitarbeiter müssen es annehmen.

Auch das funktioniert aber derzeit nur bedingt. Da berichtet etwa der IT-Dezernatsleiter einer großen Behörde von Kollegen, die sich auf ihrem privaten Tablet höchst virtuos durchs Internet wischen, Reisen online buchen und ihre Energiekosten auf Vergleichsportalen checken. Als die Behörde jedoch dienstliche Tablets beschafft, wünschen die gleichen Kollegen eine offizielle Einweisung in das Endgerät - mit einer Bestätigung für die Personalakte natürlich.

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Dem gegenüber steht der Präsident einer anderen großen Behörde, der eine neue Software einführte, ohne die Mitarbeiter gezielt darauf vorzubereiten. Und der hinterher einräumt, die Kollegen damit komplett überfordert zu haben und auf deren Beschwerden hin alle aufwändig nachschulen ließ. (Beides findet in Unternehmen genauso statt, es ist kein Behördenproblem.) So wird der digitale Wandel holperig.

Die Angst vor oder Zurückhaltung gegenüber der Technik lässt sich auch historisch nur schwer herleiten. Ja, die industriellen Revolutionen haben jede für sich Jobs vernichtet und Leben verändert. Dass jemand, der keine oder nur geringe Bildung hat, plötzlich Elektrizität und Eisenbahnen erlebt, muss gleichermaßen wundervoll wie erschreckend gewesen sein.

Maschinen bedienen zu können, gibt neues Selbstbewusstsein

Doch Historiker berichten auch von einem neuen Selbstbewusstsein, dass Menschen daraus ableiteten, komplizierte Maschinen zu bedienen können. Technologien haben den Menschen enorme Vorteile gebracht. Wer das früher einfache, weil nicht-digitale Leben preist, übersieht, welche Herausforderungen Menschen anstelle der Technik zu überwinden hatten.

Auch die schlimmen Folgen der Industrialisierung, Umweltverschmutzung etwa, sind kein Argument gegen Technologien. Zu damaliger Zeit fehlten den Menschen breites Wissen und die Erfahrung, so etwas vorauszusehen und zu vermeiden. Heute ist das anders. Nie war der Bildungsstand in Deutschland und der Welt so hoch wie jetzt. Gerade die Technik hat einen neuen Zugang zur Bildung geschaffen: das Internet. Ob auf Medien-Websites, in Foren oder direkt auf den Seiten von Einrichtungen und Initiativen - wie Technik funktioniert, was für oder gegen sie spricht, lässt sich alles dort nachlesen.

Gerade deswegen ist es an der Zeit, dass sich viel mehr Menschen mit Technik auseinandersetzen - unabhängig von Geschlecht, Alter, Parteizugehörigkeit und persönlichen Vorlieben. Lebenslanges Lernen ist in diesem Thema privat, beruflich und gesellschaftlich essenziell. Angst vor der Technik lähmt. Die Menschen müssen endlich anerkennen, dass Technik zum Leben gehört und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten begreifen lernen.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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