Zukunft der Arbeit:Mittags in die Sonne, nachts an den Schreibtisch

Arbeitnehmer müssen schon lange flexibel sein, was ihre Arbeitszeiten angeht. Jetzt sind die Unternehmen gefordert. Stechuhr und feste Altersgrenzen haben im Berufsalltag der Zukunft keinen Platz mehr. Es wird mehr Spielraum für die Angestellten geben - aber auch weniger Freizeit.

Alexandra Borchardt

Es ist einer der härtesten Jobs, die Deutschland zu vergeben hat. Einsatzbereitschaft rund um die Uhr, Sitzungen bis spät in die Nacht, ständige Kontrolle von Wort und Mimik, Schlafmangel, Jetlag, keine Zeit für sportliche Bewegung, dafür üppige Gelage - wer Bundeskanzler ist, muss einiges auf sich nehmen.

Zukunft der Arbeit: Berufliche Telefonate auch im Urlaub: Privatleben lässt sich immer weniger vom Berufsleben trennen.

Berufliche Telefonate auch im Urlaub: Privatleben lässt sich immer weniger vom Berufsleben trennen.

(Foto: ap)

Der SPD-Mann Peer Steinbrück ist einer, dem einige den Job zutrauen - und er wäre die wandelnde Mahnung an seine Partei, dass die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht bei der von vielen Sozialdemokraten nur widerwillig akzeptierten Rente mit 67 aufhören muss. Wenn im Jahr 2013 der Bundestag neu gewählt wird, wäre der Kandidat Peer Steinbrück immerhin schon 66 Jahre alt.

Ruhestand mit 65, Feierabend um 17 Uhr - in der Berufswelt verändern sich die Zeitgrenzen. Statt der Uhr, dem Kalender werden zunehmend Aufgaben, Ziele und Kräfte, manchmal tatsächlich sogar die Lust den Arbeitseinsatz bestimmen.

Vormittags raus in die Sonne gehen, dafür nachts am Schreibtisch sitzen; in den Dreißigern den Feierabend mit dem Schulschluss der Kinder takten, dafür in den Sechzigern noch einmal richtig aufdrehen - für die Stechuhr-Generation kann das wie ein süßes Versprechen klingen. Nach Freiheit, zum Beispiel.

Es kann. Aber in der Konsequenz wäre das Ende des Nine-to-Five-Jobs eine kleine Revolution. Denn die moderne Gesellschaft ließe mit den festen Arbeitszeiten auch Errungenschaften los, die Gewerkschaften und Sozialpolitiker mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und später für viele Generationen von Arbeitnehmern erstritten hatten.

Der Unterschied zwischen Arbeitszeit und Freizeit, so mickrig letztere auch in den Anfangszeiten ausgefallen sein mag, ist eng verknüpft mit der Entstehung der Fabrik. Anders als in der Landwirtschaft, wo Leben und Arbeiten an einem Ort stattfanden, wo die Tiere, das Wetter und die Jahreszeiten die Arbeitszeiten bestimmten, gab die industrielle Revolution der Erwerbs- und der Hausarbeit getrennte Räume.

Da die Arbeiter in der Fabrik nicht schlafen konnten, musste es irgendwann einen Feierabend geben. Ein Privileg, dass Bauern und Hausfrauen niemals hatten. Nach und nach wurden die Freizeiten ausgeweitet, es gab Urlaub. Sowohl von der Erkenntnis getrieben, dass der Mensch ohne Ruhephasen vorzeitig verschleißt und zuweilen zum Protestieren neigt sowie zur Auslastung der Maschinen wurde der Schichtbetrieb erfunden.

Der Deal war, dass der Mensch Stücke seiner Lebenszeit an den Arbeitgeber verkauft, sie wurde damit zur Arbeitszeit. Genau dies spiegelt der englische Begriff Work-Life-Balance wider, der eigentlich genau das Gegenteil meint. Denn dessen Zielrichtung ist, dass die zwei getrennten Welten wieder zusammenfinden. Dass die Zeit mit den Kindern, im Haushalt, bei der Pflege der Eltern wenn nicht gleichgewichtig, so doch gleichberechtigt steht neben der Zeit im Büro, an der Maschine, in der Werkstatt.

Arbeit als Lebensaufgabe

Mehr Work-Life-Balance, die Forderung impliziert für die meisten, dass die Zeit für das Leben wieder mehr Gewicht bekommen soll, jene für den Job weniger. Aber in diesem Modell ist es wie bei einer Waage: Die Waagschalen werden niemals zusammenfinden.

Zeitumstellung

Der Nine-to-five-Job wird zum Auslaufmodell. Es wird länger gearbeitet, dafür aber auch flexibler, was die Arbeitszeiten angeht.

(Foto: dpa)

Was aber, wenn sich Arbeit und Leben verschränken? Wenn der Mensch die Arbeit als Leben begreift, die Lebensaufgabe in der Arbeit sieht? Das betrifft nicht nur Künstler oder Unternehmer, die mit Leidenschaft ihre Geschäfte verfolgen. Auch wer eine Familie versorgt, arbeitet so - unentgeltlich zwar, aber dafür im Notfall rund um die Uhr. Er ist verantwortlich dafür, dass alle satt und versorgt sind, die Wohnung aufgeräumt, das Einkommen gesichert ist.

Die Chancen sind groß, dass die Arbeitswelt von morgen der Agrargesellschaft von einst mehr ähneln wird als der Industrie- und Büroarbeitergesellschaft von heute. Dass der Arbeitnehmer nicht mehr seine Zeit verkauft, sondern seine Leistung. Dass nicht mehr die Stunden, die Tage, die Jahre zählen, die abgeleistet werden, sondern die Ergebnisse. So wie in der Landwirtschaft müssen die Aufgaben in Beruf und Familie erledigt werden - aber wann und wie das geschieht, wer diesen und wer jenen Teil übernimmt, das liegt in der Verantwortung des Einzelnen oder der Gemeinschaft, in der er lebt. Neue Technologien machen das zunehmend möglich.

Es wird mehr Gestaltungsfreiheit geben, aber weniger Feierabend. Und der 90-Jährige kann vielleicht nicht mehr auf drei Jahrzehnte als Rentner zurückblicken, sondern nur noch auf zwei oder eines - mit einem zweiten Karrierestart mit Mitte 50, wo es bislang ans Frühverrenten ging. Sollte der Fachkräftemangel kommen wie beschworen, wird das für solche Menschen eine schöne Perspektive sein, die heute in voller Kraft stehend ausgemustert werden würden.

Der schwäbische Werkzeugmaschinenbauer Trumpf gehört zu den ersten Unternehmen in Deutschland, die ihrer kompletten Belegschaft "maßgeschneiderte Arbeitszeiten" zubilligen. Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsführung, erklärte den Schritt bei der Einführung des Konzepts im Mai mit den veränderten Ansprüchen der Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz. "25-jährige Hochschulabsolventen möchten anders arbeiten als 40-jährige Väter oder Mütter. Wer auf den Hausbau spart, hat andere zeitliche Wünsche als jemand, der Angehörige pflegen muss", sagte sie.

Trumpf-Mitarbeiter können von nun an alle zwei Jahre selbst entscheiden, ob sie ihre Wochenarbeitszeit erhöhen oder absenken möchten. Und bis zu 1000 Arbeitsstunden können die Beschäftigten auf ein Konto einzahlen, und später abrufen. Das Modell klingt so bestechend, dass auch die Gewerkschaften mitziehen. Schon spezialisieren sich Versicherungen darauf, Arbeitszeitkonten abzusichern, so dass ein solches Guthaben auch im Pleitefall nicht verloren geht.

Muss ein Chef immer da sein?

Freilich, flexible Arbeitszeiten gibt es schon lange. Doch bislang verlangen sie die Unternehmen von den Mitarbeitern. Morgens kommen, mittags heimgehen, abends wieder präsent sein - in der Gastronomie und im Hotelgeschäft ist das eine Selbstverständlichkeit. Produktionen werden im Wechselschichtbetrieb gefahren. Und wer dienstlich viel reisen muss, darf die Feierabende nicht zählen. Es ist an der Zeit, dass die Mitarbeiter Flexibilität von ihren Firmen verlangen können.

Noch mehr Vertrauen erfordert die Heimarbeit. Viele amerikanische Unternehmen lassen schon einen Großteil ihrer Belegschaften von zu Hause aus arbeiten. Selbst Jobs wie interne Kommunikation oder Personalbetreuung lassen sich dort Tausende Kilometer entfernt vom Hauptsitz der Firma aus erledigen.

Die Unternehmen kalkulieren, dass der eingesparte Büroraum ihnen unter dem Strich mehr bringt als die Tatsache, dass ihre Mitarbeiter daheim nicht exakt auf 38,5 Wochenstunden reine Arbeitszeit kommen - zumal die "reine Arbeitszeit" ohnehin schwer zu bewerten ist. Gehören der Schwatz mit den Kollegen und die ausufernde Konferenz eigentlich dazu, oder hält beides so sehr von der Arbeit ab, dass die Produktivität im Heimbüro deutlich höher ist? Bei vielen US-Konzernen denkt man wohl so.

Auch dem neuen grünen Zeitalter kommt die flexible Arbeitsweise zupass. Der Weg zur Arbeit, vorzugsweise allein im eigenen Auto, gehört zu den größten Energiesünden des Privatverbrauchers. Bleibt er ab und an im ohnehin beheizten Heim, schont das Klima und Energiebilanz. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bringen flexible Arbeitszeiten nicht unbedingt weniger Stress, aber sie machen den Wunsch nach Kindern plus Karriere zur Möglichkeit.

Dazu gehört allerdings auch die Erkenntnis in den Führungsetagen, dass der Chef nicht nur Chef ist, weil er immer da ist - manchmal aus Furcht, ein anderer könnte allzu schnell seinen Platz einnehmen. Wenn Vorgesetzte nicht vorleben, wie sich Arbeitszeit den Lebensphasen und Alltagsbedürfnissen anpassen lässt, werden die Mitarbeiter das beste Konzept nicht kaufen. Da gilt es also, auch mal die Mutter nach (oder gar vor) der Elternzeit oder den Vier-Tage-Manager zu befördern.

Es ist nicht unbedingt und nicht für jeden eine schöne neue Arbeitswelt, die sich da ankündigt. Dienstschluss, Wochenende, Urlaub - seit dem Kindheitserlebnis der Sommerferien, in denen kein Lehrer einen plagte, ist die garantierte Freiheit von der Arbeit eine wunderbare Erfahrung. Die wird es weiterhin geben, aber sie wird einem immer seltener vorgeschrieben werden. Man muss sie sich selber nehmen.

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