Zukunft der Arbeit:Mehr für Müllmänner, weniger für Manager

Der Unternehmer Götz Werner propagiert das bedingungslose Grundeinkommen für alle Bürger. Die Folge davon wäre, dass die Gehälter für harte, unattraktive Jobs deutlich steigen.

Caspar Dohmen

Schlachter, Müllmann und Hilfskraft in der Großküche bekommen einen deutlich höheren Lohn als heute, Manager, Lehrer oder Computerexperten müssen Abstriche hinnehmen. Was wie eine verkehrte Welt klingt, könnte die Einführung eines Grundeinkommens bewirken. Davon jedenfalls ist Götz Werner überzeugt, der landauf, landab Vortragssäle füllende Wanderprediger für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland. "Schlechte Arbeitsbedingungen würden kompensiert durch bessere Bezahlung", schreibt der Gründer der Drogeriemarktkette dm in seinem Buch "Einkommen für alle". Schließlich wäre niemand mehr gezwungen, harte Jobs zu übernehmen, allein um sein Auskommen zu haben.

Ginge es nach Werner, würde ein Bürger in Deutschland jeden Monat 1500 Euro Grundeinkommen vom Staat erhalten. Es würde alle anderen Sozialleistungen ersetzen und wäre an keine Bedingungen und keinen Arbeitswillen geknüpft. Hartz IV würde der Vergangenheit angehören. Finanzieren will Werner sein Alternativmodell über höhere Konsumsteuern. Schon seit Jahrhunderten haben Menschen darüber diskutiert, jedem Bürger einen Grundbetrag zu zahlen. Bereits 1526 regte der spanische Humanist Juan Luis Vives eine Grundversorgung für alle an. Der italienische Philosoph Tommaso Campanella griff den Gedanken in seiner Utopie "Der Sonnenstaat" auf, der Frühsozialist Thomas Paine leitete ein Anrecht auf einen Grundbetrag aus dem Naturrecht ab.

Die alten und jungen Modelle heißen Sozialdividende, negative Einkommensteuer oder Grundeinkommen. Im Kern geht es immer darum, dass der Staat jedem Bürger eines Landes ohne Bedarfsprüfung einen bestimmten Betrag auszahlt. Die Motive der Befürworter sind unterschiedlich: Der US-Ökonom Milton Friedman wollte so die Bürokratie abbauen und den Markt entfesseln; dagegen sah der Schriftsteller Erich Fromm darin einen Weg, die Abhängigkeit jedes Einzelnen vom Markt zu überwinden - gegensätzlicher geht es kaum. Bis heute kommen Befürworter und Gegner aus den unterschiedlichsten politischen Lagern. Götz Werner zum Beispiel ist überzeugter Unternehmer. Er machte vor 39 Jahren den ersten dm-Drogeriemarkt auf. Heute beschäftigt er in elf Ländern und 2400 Geschäften 38000 Mitarbeiter.

Dass er das Grundeinkommen unterstützt, hat einiges damit zu tun, dass er die Schriften von Rudolf Steiner, des Begründers der Anthroposophie, studiert hat. Ein zentrales Anliegen war Steiner, der in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden wäre, die Entwicklung jedes Individuums in Freiheit. "Mit einem Grundeinkommen, da können sie Lebensunternehmer werden", sagt Werner. Er steht an diesem sonnigen April-Morgen in einem Hörsaal der Universität Potsdam und redet vor einigen hundert, meist jungen Teilnehmern eines Kongresses für Gründer neuer Unternehmen aus dem sozialen und kulturellen Bereich.

Seine Botschaft: Ausgestattet mit einem Grundeinkommen könnten die Menschen jener Arbeit nachgehen, welche sie für sinnvoll erachten. Niemand müsse mehr arbeiten, um seine Existenz zu sichern. Sinnstiftende Jobs bräuchten weniger gut bezahlt zu werden, weil sie ohnehin gefragt sind. Unattraktive Arbeit dagegen, die heute schlecht bezahlt und wenig sinnstiftend sei, müsse fortan gut bis sehr gut bezahlt werden, damit sich noch Arbeitnehmer für diese Jobs finden, sagt Werner. Sicher stiege so auch der Anreiz für Unternehmen, einen möglichst großen Anteil dieser Arbeit von Maschinen erledigen zu lassen.

Maschinen machen die Drecksarbeit

"Die Drecksarbeit würde bald von intelligenten Maschinen erledigt, um die hohen Löhne für menschliche Arbeit einzusparen. Die Arbeit würde sich also weiter verbessern", erwartet Werner. Nach der Einführung des Grundeinkommens hätten die Menschen den Kopf frei zum Nachdenken über den "tieferen Sinn von Arbeit, über Befriedigung und Lebenssinn, über Verantwortung in der Produktion, über die ökologischen Folgewirkungen unseres Tuns oder über nationale wie weltweite Verteilungsgerechtigkeit".

Das Grundeinkommen ist für Werner jedoch keine Einbahnstraße, er spricht von einem kategorischen Imperativ jedes Einzelnen in einer Gesellschaft. "Die Gemeinschaft gibt, nach dem Motto: Jetzt zeig' mal, was du kannst. Grundeinkommen ist nicht die Hängematte", sagt er. Fordern kann man viel, aber wie würden sich die Menschen tatsächlich verhalten? Im Auftrag von Werner hat der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Schneider, der mit seinen Studien zur Schwarzarbeit bekannt geworden ist, mehr als 2000 Bürger befragt, wie sie auf die Einführung eines Grundeinkommens reagieren würden: 31 Prozent antworteten, dass sie wohl gleich viel arbeiten würden. 45 Prozent gaben an, dass sie weniger arbeiten würden. Befürworter eines Grundeinkommens sehen sich durch die Umfrage bestätigt. Sie belege, dass die Menschen nicht scharenweise der Erwerbsarbeit den Rücken kehren würden. Andere Ökonomen halten aber die Methodik der Umfrage für zweifelhaft, weil den Befragten keine Höhe eines Grundeinkommens genannt worden sei.

Einige Wissenschaftler kritisieren die Idee eines Grundeinkommens grundsätzlich - so wie Clemens Fuest, der als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums die Regierung berät. Er spricht von "zwei grundlegenden Irrtümern" des Grundeinkommens: Es gebe in unserer Gesellschaft nicht zu wenig Arbeit; vielmehr gebe es viele Arbeiten, die unerledigt blieben, beispielsweise im Dienstleistungsbereich. Zudem rechnet er nicht damit, dass die Grundeinkommensbezieher - so wie von Werner vorhergesagt - beginnen, freiwillig kreativ und sinnstiftend zu arbeiten, wenn sie dazu wirtschaftlich nicht mehr gezwungen sind. Auch

der Wirtschaftswissenschaftler Richard Hauser geht davon aus, dass durch ein Grundeinkommen der Arbeitsanreiz deutlich sinken würde.

Werner widerspricht: "Alle sozialen Berufe würden sehr bald einen Boom erleben, und die Entlastung bei personalintensiven Aufgaben wäre dramatisch." Die "vielbeschworene Dienstleistungsgesellschaft" könnte endlich kommen. Er rechnet damit, dass viel mehr Menschen in Bereichen wie Bildung, Kultur und Pflege arbeiten würden. Er hält das ohnehin für nötig, weil er erwartet, dass ein Großteil der klassischen Erwerbsarbeit in den Industrien aufgrund von Produktivitätsfortschritten entfallen wird. Die Innovationszyklen neuer Produkte würden immer kürzer, die "absolute Neuheit von morgen wird meist schon übermorgen ein billiges Massenprodukt sein. So spricht aus meiner Sicht eher wenig dafür, dass neue Güter, ja nicht einmal dass gänzlich neue Industrien in großem Umfang neue Arbeitsplätze schaffen oder auch nur die alten ersetzen werden".

Auch der Schriftsteller Erich Fromm ging nicht davon aus, dass das Grundeinkommen den Arbeitsanreiz senken und dadurch Probleme schaffen würde. Mitte der 1960er Jahre schrieb er in seiner "Psychologie eines bedingungslosen Grundeinkommens": "Die allermeisten (Menschen) würden aber dringend darum bitten, arbeiten zu dürfen, selbst wenn sie nichts dafür bezahlt bekämen."

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