Zukunft der Arbeit:Die Unbequemen

Gleiche Chancen für Frauen? Nur auf dem Papier: Natürlich gibt es Frauen, die kaum Ehrgeiz in ihre Karriere legen. Doch es gibt auch die hervorragend Ausgebildeten und Ehrgeizigen, die an einem bestimmten Punkt der Laufbahn an eine gläserne Decke stoßen.

Daniela Kuhr

Es ist ein sonniger Morgen in Berlin-Mitte. Eine Personalberatungsfirma hat ins Café Einstein eingeladen. Buchautorin Bascha Mika und ein Gewerkschafter diskutieren die Frage: "Frauenquote - überfällig oder ungerecht?" Der Saal ist voll, das Thema hochaktuell, doch die Diskussion läuft zäh. Zu oft hat man schon gehört, dass es im Berufsleben nur wenig Frauen nach ganz oben schaffen, dass sie zum Teil selbst schuld seien, dass ihnen aber auch viele Steine in den Weg gelegt würden. Das Übliche. Bis das Publikum zu Wort kommt und von eigenen Erfahrungen berichtet.

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Zehn Jahre ist es her, dass die deutsche Wirtschaft mehr Chancengleichheit versprochen hat. Es sind zehn Jahre, in denen sich kaum etwas bewegt hat - obwohl Deutschland über so viele gut ausgebildete Frauen wie nie zuvor verfügt.

(Foto: picture alliance / dpa-tmn)

Karl Jurka etwa, Politik- und Marketingberater aus Österreich, sucht regelmäßig hoch qualifizierte Mitarbeiter. So auch vor kurzem, und deshalb schaltete er einen Headhunter ein. "Anfangs standen etwa gleich viel Männer wie Frauen auf der Liste", erzählt er. Als jedoch nur noch etwa sechs Kandidaten übrig waren, begannen auf einmal die Anrufe. Aus Politik, Wirtschaft, selbst aus der Medienwelt meldeten sich namhafte Personen, um für den ein oder anderen Bewerber ein gutes Wort einzulegen. "Es wurden Kompetenz, Durchsetzungskraft und Auftreten gelobt", sagt Jurka und macht eine Pause. "Aber nur von den Männern." Er könne sich an keine einzige Empfehlung für eine Frau erinnern.

"Wirtschaft kann es sich nicht leisten"

Jurka ist ein kleiner Mittelständler. "Aber in großen Firmen läuft es vermutlich nicht anders ab", sagt Henrike von Platen, Präsidentin des internationalen Frauennetzwerks Business and Professional Women (BPW). "Es ist immer mit einem Risiko verbunden, eine Stelle zu besetzen. Geht es schief, fällt das auf den zurück, der den Kandidaten ausgewählt hat." Daher sei es logisch, dass man auf Empfehlungen höre. "Wenn ein einflussreicher Mensch sich für jemanden stark macht, rutscht dessen Name natürlich ein Stück nach oben auf der Liste", sagt von Platen. Ein System, das Frauen noch viel zu selten nutzten. Allerdings hätten sie es auch schwer, "solange sich auf den einflussreichen Posten vorwiegend Männer befinden".

Zehn Jahre ist es her, dass die deutsche Wirtschaft mehr Chancengleichheit versprochen hat. Zehn Jahre, in denen sich kaum etwas bewegt hat. Obwohl Deutschland über so viele gut ausgebildete Frauen wie nie zuvor verfügt, sucht man sie in den Chefetagen meist vergebens. Gerade mal jeder 30. Vorstandsposten in den 160 größten börsennotierten Aktiengesellschaften ist mit einer Frau besetzt. Auf den Ebenen darunter sieht es zwar besser aus, doch von Gleichstellung kann auch dort keine Rede sein. Laut Statistischem Bundesamt ist in Firmen mit mehr als 50 Beschäftigten nicht einmal jede vierte Führungsstelle mit einer Frau besetzt. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Gesellschaft.

Natürlich gibt es Frauen, die von vornherein wenig Ehrgeiz in ihre Karriere legen. Ehegattensplitting sowie Anspruch auf Teilzeitarbeit und Babypause machen ihnen diese Entscheidung leicht. Doch es gibt auch die anderen: die hervorragend Ausgebildeten und Ehrgeizigen, die es trotz allen Engagements nicht schaffen, die an einem bestimmten Punkt der Laufbahn an die vielzitierte gläserne Decke stoßen. Auf Seiten der Arbeitgeber betont man, dass dieses Phänomen nichts mit bösem Willen zu tun habe. Es gebe einfach bislang nur wenige Frauen, die über die Erfahrung und Kompetenz für einen Spitzenposten verfügten. Das Problem werde sich lösen, wenn mehr Frauen zukunftsträchtige Studienfächer belegten und Karriere machten.

Doch für diese Argumentation fehlt Elke Holst die Geduld. "Die deutsche Wirtschaft kann es sich nicht leisten, so lange zu warten", sagt die Forschungsdirektorin für Geschlechterstudien vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Der geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen ist ein Zustand, mit dem niemand zufrieden sein kann." Ihrer Ansicht nach können "männliche Monokulturen" den Blickwinkel auf Produktivitätspotentiale und neue Absatzchancen verengen. "So zeigen Studien, dass gemischte Teams kreative und innovative Lösungen hervorbringen, die sonst nicht möglich wären", sagt Holst. Zudem sei das Signal verheerend, das von dem geringen Frauenanteil in der Chefetage ausgehe. "Unternehmen zeigen damit, dass Frauen bei ihnen keine echte Perspektive haben." Wer aber von vornherein aus einem Pool von Bewerbern die Hälfte ausschließe, reduziere die Chancen, die Besten zu bekommen. "Schon aus eigenem Interesse sollten die Betriebe daher darauf hinwirken, dass Frauen die gleichen Aufstiegsmöglichkeiten erhalten wie Männer."

Dazu aber, davon ist die Wissenschaftlerin überzeugt, sei noch sehr viel mehr nötig als eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Natürlich müssten Arbeitgeber darüber nachdenken, wie sie flexible Arbeitszeiten ermöglichen und Mitarbeiter bei dem Problem der Kinderbetreuung unterstützen können, sagt Holst. "Mindestens genauso wichtig ist aber, dass Klischees über die Fähigkeiten und Eigenschaften von Frauen und Männern überdacht werden. Sie basieren auf der traditionellen Aufgabenteilung im Haushalt, nach denen der Mann als Ernährer seiner Erwerbsarbeit nachgeht, während die Frau ihm zu Hause den Rücken freihält." Ein solches Stereotyp bliebe nicht ohne negative Folgen bei Einstellung und Beförderung, etwa wenn Arbeitgeber befürchteten, Frauen seien für den Betrieb weniger verfügbar als Männer und würden im Falle der Geburt eines Kindes und daraus erwachsender familiärer Verpflichtungen eher ein Loch in die Personaldecke reißen.

Auch BPW-Präsidentin von Platen glaubt nicht, dass es hierzulande an Frauen mangelt, die für Spitzenpositionen geeignet wären. "Wenn es beispielsweise um die Besetzung von Aufsichtsratsposten geht, verfügt allein unser Verband über zahlreiche Frauen, die qualifiziert dafür wären." Dass sie trotzdem nicht zum Zug kämen, müsse also andere Gründe haben als mangelnde Kompetenz.

"Ich war ein Fremdkörper"

Einen davon sieht DIW-Wissenschaftlerin Holst darin, dass aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit in Führungspositionen allein Männer definieren, was als "qualifiziert" oder "geeignet" gilt. "Nehmen wir an, für eine Stelle wird jemand gesucht, der Durchsetzungskraft besitzt", sagt Holst. "Dann wird das automatisch mit bestimmten als männlich geltenden Eigenschaften verbunden wie etwa Aggressivität, Konfliktbereitschaft, Ellenbogen und einem breiten Kreuz." Prompt komme nur noch ein Mann für die Stelle in Betracht. "Dabei gibt es ganz unterschiedliche Wege, zu führen. Hier fehlt oft einfach die Vorstellungskraft." Das sei fatal auch in der Auswirkung auf künftige Generationen, denn junge Frauen bräuchten dringend weibliche Vorbilder, denen sie nachstreben. Junge Männer hätten ihre "role models" bereits im Überfluss.

Einen weiteren Grund, warum Frauen sich so schwer tun, glaubt Heide Meyer gefunden zu haben. Die Vorsitzende des Landesverbands Deutscher Unternehmerinnen in Berlin/Brandenburg ist ebenfalls ins Café Einstein gekommen. Auch sie berichtet von einem Erlebnis. So war sie kürzlich mal wieder auf einer Veranstaltung mit Vertretern der Wirtschaft die einzige Frau. Sie habe sich zu einer Gruppe von vier Männern gesellt, die um einen Stehtisch versammelt waren. Schlagartig sei das Gespräch verstummt. "Ich war ein Fremdkörper", sagt Meyer, die als gestandene Geschäftsfrau durchaus ihren Spaß an solchen Situationen hat. "Als ich dann auch noch wagte, das Wort zu ergreifen, waren die Herren völlig verunsichert." Denn, so erzählt Meyer: "In ihren Augen gilt offenbar immer noch der Grundsatz: Eine Frau tut so etwas nicht. Sich einfach zu einer Männerrunde stellen und das Wort ergreifen. Es war ganz klar: Ich störte."

Viele Männer wollen immer noch ganz gern unter sich bleiben, glaubt auch von Platen. Natürlich sei das keine bewusste Entscheidung, genauso wenig wie Männer Frauen bewusst diskriminierten. "Aber hier läuft eben sehr viel unbewusst ab, und das ist mit ein Grund dafür, warum die Sache nur so schleppend vorankommt." Männer hätten ihre eigenen Codes. "Sie wissen, wie sie auf was reagieren müssen und wie sie miteinander umzugehen haben", sagt von Platen. "Frauen denken anders, kommunizieren anders und reagieren anders." Das könne einen Mann schon mal verunsichern. Doch statt sich das einzugestehen, erkläre er die Frau dann womöglich einfach für anstrengend. "Und schon hat sie keine Chance mehr auf eine Beförderung", sagt von Platen.

Holst, von Platen, Meyer und auch der Unternehmer Jurka, sie alle waren früher entschieden gegen eine Frauenquote - und sie alle haben ihre Meinung geändert. "Natürlich ist das ein gewaltiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit", sagt von Platen. "Aber ich glaube, wir kommen nicht drum herum". Jurka sieht das ähnlich. "Wir brauchen die Quote, weil sie Arbeitgeber dazu zwingt, ihre Verhaltensmuster zu überdenken." Natürlich - auch da sind sich die vier einig - darf die Quote nicht dazu führen, dass eine geringqualifizierte Frau einem hochqualifizierten Mann vorgezogen wird. Aber bei gleicher Qualifikation müssten Stellen so lange mit Frauen besetzt werden, bis die Quote erfüllt ist.

Von Platen weiß, dass längst nicht jede Frau das so sieht. Gerade unter den Erfolgreichen gibt es viele Quoten-Gegner. "Sie denken: Ich habe es ohne geschafft, also schaffen es andere auch." Doch das Problem sei, dass diese Frauen sich auf dem Weg nach oben oft "vermännlicht" hätten. "Sie haben sich den Führungsstil, die Ellenbogen und das Diskussionsverhalten von Männern abgeschaut." Damit aber sei nichts gewonnen. Solche Frauen trügen gerade nicht zur Vielfalt bei. "Wir brauchen ja Menschen, die die Dinge anders anpacken, die Althergebrachtes in Frage stellen, Mitarbeiter anders führen." Die aber seien vermutlich leider auf eine Quote angewiesen. "Wenigstens für eine gewisse Zeit, bis so viele es nach oben geschafft haben, dass die Spielregeln nicht mehr einseitig von Männern diktiert werden können."

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