Zukunft der Arbeit:Das Büro ist immer dabei

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Früher war die Erreichbarkeit vorbei, wo das Telefonkabel endete, heute sind Beschäftigte immer und überall greifbar. Dieser Arbeitsrealität kann sich niemand mehr verweigern. Der Wandel bietet aber auch jede Menche Chancen - man muss sie nur nutzen.

Sibylle Haas

Angelika Gifford hat ihr Büro immer dabei. Notebook und Mobiltelefon, mehr braucht die 45-jährige Managerin nicht. Für Geschäftspartner, Kunden und Mitarbeiter ist sie immer und überall erreichbar. Das erleichtere die Beziehungen, sagt Gifford, seit 2003 in der deutschen Geschäftsleitung des Software-Konzerns Microsoft.

Ohne Handy geht im Arbeitsleben nichts mehr. (Foto: Reuters)

Für Thomas Straubhaar, den Wissenschaftler aus Hamburg, ist das der Trend der Zukunft. Der Direktor des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts (HWWI) erwartet, dass Notebook und Handy bald für die meisten höher qualifizierten Menschen in den westlichen Industrieländern zentrale Arbeitswirklichkeit sein wird. Abschätzend von den "Newsfreaks" zu sprechen und sich selbst aus Überzeugung die Teufelsdinger vom Leib zu halten, das wird sich dann kaum noch jemand leisten können.

Der technische Fortschritt kennt kein Pardon, und die IT-Firmen sind dank ihrer Produkte Vorreiter in der Arbeitswelt. Erst durch die neuen Kommunikationsmittel ist Mobilität effizient geworden. Während die Erreichbarkeit früher dort vorbei war, wo das Telefonkabel endete, spielt dies heute keine Rolle mehr. Erreichbar ist, wer ein Mobiltelefon hat.

Das "elektronische Büro" bedeutet nicht, dass man "rund um die Uhr" zur Verfügung stehen muss. Microsoft-Managerin und Familienfrau Gifford weiß Grenzen zu ziehen: Dann bleibt das Handy aus. Sie gilt dennoch als Vorzeigefrau und wurde 2009 "Managerin des Jahres"; den Titel vergibt der westfälische Großbäcker Mestemacher seit 2002 an Managerinnen, die sich neben ihrer Karriere auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen.

Angelika Gifford ist das wichtig. Die Arbeitsweise bei dem Software-Konzern kommt ihr daher sehr entgegen. Allein das Ergebnis zähle. "Wann jemand seine Arbeit macht und wo, ist zu einem Großteil ihm selbst überlassen. Bei uns gibt es keine Stechuhr-Mentalität und auch keine Anwesenheitslisten", sagt sie. Das Unternehmen biete flexible Arbeitszeitmodelle an wie etwa Teilzeit- und Heimarbeit und helfe bei der Suche nach einer geeigneten Kinderbetreuung.

Der Arbeitsplatz verliert damit seine klare Abgrenzung vom Wohnort. "Ein neues Zeitregime entsteht in den Grauzonen zwischen Arbeits- und Freizeit, mit Teilzeit und Gleitzeit, mit neuen Freiheitschancen und Abhängigkeiten", schrieb schon vor mehr als zehn Jahren der Historiker und damalige Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jürgen Kocka.

Wissenschaftler Straubhaar schätzt, dass Individualität und Mobilität weiter zunehmen werden. Doch nicht nur die räumliche Bewegungsfreiheit wird größer. Auch die lebenslange Bindung an einen einzelnen Betrieb wird zum Auslaufmodell. "Heute bleiben die jungen Leute nicht mehr ihr ganzes Leben am selben Ort beim selben Arbeitgeber. Sie sind individueller und flexibler als ihre Eltern", sagt Straubhaar.

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Über die sogenannten atypischen Arbeitsverhältnisse wird viel geklagt, für Straubhaar sind sie Teil der Normalität. "Befristete Verträge und Teilzeitarbeit werden zunehmen", meint er. Außerdem würden Beschäftigte stärker als bisher für ihre soziale Absicherung selbst sorgen müssen. Dies liege daran, dass immer mehr Erwerbstätigkeiten nicht mehr auf einem klassischen Arbeitsvertrag beruhen, sondern auf Honorar- oder Pauschalverträgen.

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"Berufliche Flexibilität und lebenslanges Lernen ist heute schon normal, vor allem für Jüngere", sagt der Arbeitssoziologe Markus Promberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, der auch Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ist. Weiterbildung während der ganzen Berufsphase werde daher wesentlich für die Karriere. Es gehe darum, lebenslang beschäftigungsfähig zu bleiben und sich selbständig auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen.

Auslaufmodell Fabrik

Mobilität prägt also die Arbeitswelt von heute. Noch vor 100 Jahren war dagegen die Fabrik geographisches Zentrum im Dasein der Arbeiter: Die Menschen blieben ihr Leben lang am gleichen Ort. Nur die Reichen konnten mit dem Zug fahren oder sich eine Schiffspassage leisten. Die Arbeit in den Fabriken war hart. Die Menschen arbeiteten sechs Tage in der Woche - die 35-Stunden-Woche war in weiter Ferne. Immerhin übernahmen Unternehmer soziale Verantwortung. Sie bauten Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser.

Die Arbeitswelt beherrschten große Industrieanlagen auf der grünen Wiese in der Nähe von Rohstoffquellen, oft auch an Flussläufen gelegen. "Unser Verständnis von Arbeit ist von den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts geprägt", schreiben die Historiker Kocka und Jürgen Schmidt in einem Aufsatz für das WZB. "Erwerbsarbeit auf eine bestimmte Lebensphase festzulegen, das Ideal eines Berufs fürs ganze Leben und die Trennung von Arbeitsplatz und Zuhause gehören dazu."

Wichtige Wissensarbeit

Heute ist Wissensarbeit zu einer dominierenden Form der Erwerbsarbeit geworden; die Bedeutung der Wirtschaftsbereiche hat sich drastisch verändert. Noch vor sechzig Jahren arbeitete gut ein Viertel aller Beschäftigten in Deutschland in der Land- und Forstwirtschaft und in der Fischerei. Heute sind es gerade noch knapp zwei Prozent. Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten arbeiten inzwischen in den Dienstleistungen. Damit hat sich der Anteil seit 1950 mehr als verdoppelt.

Deutschland ist im internationalen Vergleich zwar noch immer stark industrialisiert, etwa durch die Automobilbranche, den Maschinenbau und die Chemieindustrie. Allerdings, so IAB-Forscher Markus Promberger, spielt auch in diesen Industrien technologisches Wissen eine immer größere Rolle. "Komplexe, wissensbasierte Arbeiten werden hierzulande nach wie vor gebraucht. Einfache industrielle Arbeiten werden dagegen weiterhin in billigere Schwellenländer abwandern", sagt Promberger.

In seinem Buch "Die postindustrielle Gesellschaft" hat der amerikanische Soziologe Daniel Bell schon 1973 diesen Trend beschrieben. Die Wirtschaft sei auf dem Weg von einer produzierenden zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Theoretisches Wissen werde zur Basis von Innovation und Fortschritt, schrieb Bell. Die Chance liege darin, in den Wandel aktiv einzugreifen, sagt Straubhaar: "Wir haben die Option, selbst gestalterisch tätig zu sein." Die Gewerkschaften hätten eine besondere Verantwortung. "Sie kommen noch immer oftmals altbacken daher", meint der Ökonom. Es gehe heute aber nicht mehr um Verteilungsfragen, also darum, wie der Wohlstand zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgeteilt wird.

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Gewerkschaften sollten sich nicht gegen den Wandel stemmen, sondern dafür sorgen, dass die Beschäftigten nicht auf der Strecke bleiben, sagt der Ökonom. "Gewerkschaften könnten Firmen zertifizieren, beispielsweise nach ihrer Frauen- und damit Familienfreundlichkeit, ihren Weiterbildungsangeboten oder der Gesundheitsvorsorge für Ältere", meint Straubhaar.

Der IAB-Wissenschaftler Promberger schließt nicht aus, dass sich Beschäftigte neu organisieren werden. "Vielleicht entstehen andere Formen der Kollektivität", meint Promberger. "Bereits jetzt beobachten wir punktuell die Entstehung einzelner Berufsgewerkschaften, etwa bei Lokführern und Krankenhausärzten. Wenn Beschäftigte ihre Rolle mehr in der Selbständigkeit sehen, dann entstehen womöglich gewerkschaftsähnliche Selbständigen-Verbände", sagt der Arbeitssoziologe. Er hielte es jedoch für gefährlich, wenn sich die Sozialpartnerschaft auflösen würde. Die Gesellschaft könne dadurch in eine soziale Schieflage geraten.

Deutsche Solidarität

Der vertrauensvolle und kompromissorientierte Umgang von Arbeitgebern und Gewerkschaften habe in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass Deutschland eine solidarische Gesellschaft sei. Die Kurzarbeit, die in der zurückliegenden Wirtschaftskrise Tausende Arbeitsplätze gerettet hat, sei ein typisches Beispiel dieser Solidarität. "Das konservative Kapitalismusmodell, mitgestaltet von Sozialdemokratie und politischem Katholizismus, hat verhindert, dass sich in Deutschland ein neoliberaler Kapitalismus entwickelt hat", sagt Promberger.

Die westliche Welt befindet sich also im Übergang von der industriellen zur nachindustriellen Wirtschaft. Die digitale Revolution fordert die Menschen heraus - ähnlich, wie es bei der industriellen Revolution der Fall war. Doch der heutige Wandel ist schneller und globaler. Berufe entstehen und verschwinden wieder. Allerdings: Der Wandel vollzieht sich auf einem sozialen Fundament, das es vor 100 Jahren nicht gegeben hat. Darauf kann die Gesellschaft aufbauen, damit Menschen in neuen Arbeitsverhältnissen und Berufen gut arbeiten können.

15 Monate Auszeit - auch das geht

Angelika Gifford von Microsoft nimmt sich gerade eine Auszeit von 15 Monaten. Auch solche Freiheiten gehören zur modernen Arbeitswelt. Die Frau, die normalerweise mehr als zehn Stunden am Tag beruflich im Einsatz ist, will "den Kopf frei bekommen und später wieder mit mehr Kreativität zurückkehren".

Der Wandel der Arbeitswelt bietet neue Chancen: Arbeit und Freizeit sind leichter zu verknüpfen, Beruf und Familie ebenso. Die Gesellschaft hat es in der Hand, die Chancen zu nutzen. Sie muss sie nur ergreifen.

© SZ vom 24.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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