Süddeutsche Zeitung

Zufriedenheit am Arbeitsplatz:Schluss mit der Würfelhusten-Einrichtung!

Grelles Licht, zweckmäßig und viel Resopal: Büros sind architekturfreie Zonen, geprägt von Verordnungsterror und Billigeinrichtung. Ganz schön dumm von den Chefs.

Von Gerhard Matzig

Das Neonlicht ist grell, die Luft trocken, der Kollege gegenüber schreit ins Telefon. Man kann in einem Raum produktiv sein. Oder krank werden. Je nachdem. 1390 Stunden verbringt ein durchschnittlicher Büroangestellter in Deutschland im Jahr im Büro. Bei 35 Arbeitsjahren sind das 48 650 Stunden oder durchgehend 2027 Tage. Angesichts dieser Zahlen des Statistischen Bundesamtes sollten wir die Frage stellen, ob wir unter optimalen Bedingungen arbeiten.

"Erst bauen Menschen Häuser - dann bauen Häuser Menschen", hat Albert Schweizer gesagt. Der Raum prägt uns, Architektur ist essenziell für unser Wohlbefinden. Raumpsychologen wissen das sehr genau, sie können es messen. Explizit gilt das für die Büro-Architektur. Wobei das Büro ein Habitat für Hunderte von Millionen Menschen ist. Und es werden immer mehr, denn wir befinden uns in einer Ära der Dienstleistungsgesellschaft mit einem gigantischen Bedarf an Verwaltungs- und Büroräumen.

Es geht um Milliardengewinne

Wenn es aber darum geht, diese Arbeitsräume benutzerfreundlich zu machen, schlafen viele Chefs den Schlaf der Ignoranz. Was außerordentlich dumm ist: Denn hier geht es nicht allein um eine Wohltat des Unternehmens, sondern um viel Geld. Eigentlich müssten die Bosse für diese Argumente empfänglich sein. Sie sind es aber nicht. Oder nur selten. Weitblick gehört offensichtlich nicht zur Stellenbeschreibung. Dabei geht es nicht nur darum, viele Millionen Euro zu sparen - sondern darum, viele Milliarden Euro zu gewinnen.

Womit? Mit der mitarbeiterfreundlichen Gestaltung von Büroräumen. Dafür muss die Firma kein Abenteuerspielplatz werden. Oder ein durchdesigntes Kunstwerk. Oft reicht schon: die richtige Beleuchtung. Die richtige Akustik. Die richtige Temperatur. Ein solides angenehmes, gesundes Material. Also schon mal nicht Resopal. Arbeitsplätze, die jenseits der Arbeitsstättenrichtlinien und ihres elenden Verordnungsterrors sowie schäbigster Billigeinrichtungen endlich einmal für Wohlbefinden sorgen. Die menschenfreundlich sind.

Dieses Nichtdenken grenzt an Sabotage

Es geht um das Wohl der Büroinsassen, die üblicherweise mehr Zeit in ihrer Zelle oder (so schlimmsten- wie üblichenfalls) im Großraum als zu Hause verbringen. Nine to five: Das ist so etwas wie "lebenslänglich", wenn das Büro kein Lebensraum, sondern nur ein Büro ist, das vor allem dürftig und eine architekturfreie Zone ist. "Zweckmäßig", wie das in der Sprache der Chefs heißt. Denn der Zweck ist es: nicht groß darüber nachdenken zu müssen.

Dieses Nichtdenken grenzt an Sabotage. Gut proportionierte, klug eingerichtete, intelligent belichtete und belüftete Büros, die auch Privatheit und Persönlichkeit zulassen, führen nicht nur zu zufriedenen Untergebenen. Sondern: zu produktiven und kreativen Mitarbeitern. Und das ist die wichtigste Ressource unserer Wirtschaft. Deutschland soll, gemäß einer Kampagne der Bundesregierung, ein "Land der Ideen" sein? Es ist eher ein Land ideenloser Bürochefs, die nicht in der Lage sind, für produktiven Arbeitsraum zu sorgen.

Schon vor Jahren hat die Bosti-Studie (Buffalo Organisation for Social and Technical Innovation) bei 6000 Beschäftigten in 70 US-Unternehmen ermittelt, dass allein durch Verbesserung der Arbeitsplatzumgebung bei Führungskräften 15 Prozent und bei Sachbearbeitern 17 (!) Prozent Produktivitäts-Zugewinne möglich wären. Einer Studie der Fraunhofer-Gesellschaft zufolge sehen 40 Prozent der 1165 Befragten ein enormes Optimierungspotenzial bei der Gestaltung ihres Büros. Gleichzeitig haben Mitarbeiter mit sehr geringer Zufriedenheit mit ihrer Arbeitsumgebung eine deutlich schwächere Bindung an das Unternehmen. In einer anderen Untersuchung von Fraunhofer gaben knapp 57 Prozent der Mitarbeiter an, das Licht in ihrem Büro nicht oder nur eingeschränkt an ihre individuellen Bedürfnisse und wechselnde Arbeitssituationen anpassen zu können.

Es stellt sich also sehr wohl die Frage, ob wir im Büro unter optimalen Bedingungen arbeiten können, produktiv sind, effizient, gesund - und ideenreich. Oder ob wir behindert werden von einer Architektur, die sich Klötzchenbauer als Würfelhusten-Interieur ausgedacht und Chefs unter Kostengesichtspunkten abgesegnet haben, weil es, scheinbar (!), billig ist. Tatsächlich ist so ein Denken letzten Endes nur eines: verdammt teuer.

Zum Beispiel das Großraumbüro. Chefs lieben es - vor allem die, die selbst ein 60-Quadratmeter-Büro für sich allein haben. Mitarbeiter hassen jedoch den Großraum. Zu Recht. Gerade hat der Büromöbel-Hersteller Steelcase eine Umfrage zur Privatsphäre am Arbeitsplatz veröffentlicht. Erhoben in 14 Ländern. Mit 10 000 Menschen. 95 Prozent davon wünschen sich "ruhige, private Bereiche zum Arbeiten" - 41 Prozent sagen, "dass ihnen solche Umgebungen nicht zur Verfügung stehen". Privatsphäre ist demnach ein Schlüsselfaktor für Zufriedenheit und Engagement am Arbeitsplatz.

Chefs, die am Büro sparen, sind ungeeignet

Seltsamerweise entstehen dennoch immer mehr Arbeitsplätze ohne Privatsphäre. Und Büros, in denen man sich eben nicht konzentrieren kann. Die schlecht eingerichtet sind. Mit zu trockener Luft oder zu wenig Licht. Arbeitsplätze, die man keinem Hamster zumuten würde. Natürlich, es geht um Kostenfaktoren. Mit Blick aber auf die Produktivität kann man sagen: Chefs, die hier sparen, sind einfach ungeeignet, um Chef zu sein.

"Man kann", sagt der Architekt Rem Koolhaas, "in jedem Gebäude glücklich oder unglücklich sein. Aber manche Häuser machen einen depressiver als andere." Viele davon sind genau die Arbeitsverwahranstalten, in denen wir dem Land der Ideen zum Erfolg verhelfen sollen.

Wobei es vielleicht eine erste gute Idee wäre, jene Gähn-Chefs, die die Bedeutung des Arbeitsraumes für das Unternehmen noch immer nicht begriffen haben, zu feuern. Sie gefährden ernsthaft das Unternehmensziel und verstoßen gegen die Geschäftsinteressen, die sie selbst formuliert haben.

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