Süddeutsche Zeitung

Zertifikate erwünscht:Eine Frage des Vertrauens

In der Finanzbranche sind seriöse Berater gefragt. Mit den richtigen Fortbildungen und Qualifikationsnachweisen können sie Kunden von ihrer Kompetenz überzeugen.

Von Benjamin Haerdle

André Knies hat es geschafft. Der 31-Jährige leitet seit 2014 die Hauptgeschäftsstelle der Deutschen Vermögensberatung (DVAG) in Rietberg, einem Städtchen mit fast 30 000 Einwohnern im Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen. Knies führt dort ein Team von 20 Mitarbeitern, das Kunden bei allen Fragen rund um Aktien, Fonds, Bausparverträge, Versicherungen und zum Umgang mit Vermögenswerten berät. Dabei kam der Westfale zur Vermögensberatung "wie die Jungfrau zum Kinde", wie er sagt.

Knies, der die Schule mit der mittleren Reife abgeschlossen hatte, vollendete 2007 seine Ausbildung zum Tischler, arbeitete als Tischlergeselle und wollte eigentlich zur Bundeswehr, als ihn ein Bekannter ansprach, ob er nicht mal in die Vermögensberatung reinschnuppern wolle. "Ich interessierte mich für Wirtschaft und Finanzen, und viele meiner Freunde meinten, das würde gut zu mir passen", erinnert er sich. Knies sagte zu, fuhr zu Infotagen und machte nebenberuflich die Zertifikate zum Vermögensberaterassistenten und Agenturleiter, die vom Deutschen Berufsbildungswerk Vermögensberatung angeboten werden. Nachdem er ein halbes Jahr später beide Prüfungen erfolgreich absolviert hatte, sattelte er endgültig um, machte eine von der Industrie- und Handelskammer (IHK) anerkannte Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen und den Bachelor Business Administration an der privaten Fachhochschule der Wirtschaft im nordrhein-westfälischen Mettmann.

Die Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten hat der Gesetzgeber stark reguliert

Knies Karriere ist der Weg eines Quereinsteigers in die Branche der Finanz- und Vermögensberater. Zwar sind Zugänge in die Branche vielschichtig, doch die meisten eint: Um gute Berufschancen zu haben, ist die Zulassungsprüfung bei der IHK notwendig. Nachweisen lässt sich diese über Ausbildungsabschlüsse - etwa zum Bankkaufmann, Versicherungsfachmann oder Kaufmann für Versicherungen und Finanzen. Doch auch Fortbildungen, etwa zum Fachwirt für Versicherungen und Finanzen, zum Fachwirt für Finanzberatung oder zum Fachberater für Finanzdienstleistungen werden als Mindestvoraussetzung für die Zulassungsprüfung anerkannt, heißt es bei der IHK.

Die Aus- und Weiterbildungen, die auf die IHK-Prüfungen, etwa zum Fachwirt für Versicherungen und Finanzen, zum Fachwirt für Finanzberatung oder zum Fachberater für Finanzdienstleistungen oder Sachkundeprüfungen vorbereiten, bieten vor allem bundesweit tätige Akademien an. "Die Abschlüsse der IHK sind akzeptiert, da weiß der Kunde, was sie wert sind", sagt Frank Rottenbacher, der im Vorstand der Berliner Going Public Akademie für Finanzberatung und E-Learning-Angebote zuständig ist.

Ähnlich wie andere Bildungseinrichtungen, wie zum Beispiel die Studiengemeinschaft Darmstadt, die Deutsche Makler Akademie in Wiesbaden oder die Unternehmensberatung Tutor-Consult in Neumünster bietet die Going Public beispielsweise für fachfremde Quereinsteiger Vorbereitungskurse für sogenannte IHK-Sachkundeprüfungen zum Versicherungs- oder zum Finanzanlagenfachmann an. Die Lehrgänge können beispielsweise in Form von Seminartagen am jeweiligen Ort, in Gestalt eines Selbststudiums oder über einen hohen E-Learning-Anteil absolviert werden. "Wer zuvor eine Bankausbildung gemacht hat, kann die Lehrgänge aber überspringen und sich zum Fachberater oder Fachwirt fortbilden lassen", merkt Rottenbacher an.

Die Finanz- und Versicherungsbranche hat sich seit der Finanzkrise 2007 verändert. Viele der nebenberuflichen Vermittler, die an der Haustür oder per Telefon Versicherungen oder Fonds anboten, sind inzwischen vom Markt verschwunden. "Die Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten wurde vom Gesetzgeber stark reguliert", sagt Dirk Reiffenrath, der im DVAG-Vorstand für die Aus- und Weiterbildung zuständig ist. Unabhängige Vermittler als Gewerbetreibende müssten mit den Sachkundekundeprüfungen Mindestqualifikationen vorlegen. Der Regulierungsprozess ist aber noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzgeber will eine Sachkundeprüfung zur Immobiliendarlehensvermittlung einführen - und damit ein weiteres Zertifikat, das von März kommenden Jahres an für Gewerbetreibende verbindlich wird. Derartige öffentlich-rechtliche Zertifikate sieht man beim Finanzvertriebsunternehmen DVAG positiv. "Die Kunden wissen dadurch, dass sie von unseren Mitarbeitern seriös beraten werden", sagt Reiffenrath.

Um das Image der Branche steht es nicht zum Besten. Das liegt auch an den Provisionen

Dass eine bessere Qualifikation allein ausreicht, um die Qualität der Beratung zu verbessern, bezweifelt Sascha Straub. Er leitet seit 2009 den Bereich Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Bayern. "Es geht in den Beratungen des Finanzvertriebs nicht um die für den Kunden beste Empfehlung, sondern darum, Finanzprodukte zu verkaufen", sagt er. Geld werde nur dann verdient, wenn der Kunde zum Abschluss geführt werde - am besten mit Produkten aus dem eigenen Haus oder solchen, bei denen die Provision stimme. Pro Jahr vereinbart Straubs Team bis zu 1000 Rechtsberatungen. "Oft sind das Fälle, in denen sich Verbraucher falsch beraten fühlen und das Gefühl haben, ihnen sei etwas aufgequatscht worden", sagt er. Straub verweist auf den Fall einer 75-jährigen Rentnerin, die einen Fonds mit einer Laufzeit von 20 Jahren abschloss.

Zudem übernehmen Straubs Finanzexperten jährlich ungefähr 2200 Beratungen zur Altersvorsorge, bei denen sie immer wieder Produkte im Portfolio der Verbraucher finden, die nicht in deren Profil passen. Um teure und riskante Produkte vom Markt zu bekommen, sieht Straub nur einen Ausweg: Man müsse wie in Großbritannien Provisionszahlungen für den Verkauf von Finanzprodukten verbieten.

DVAG-Geschäftsstellenleiter André Knies hat derweil die Entscheidung, auf das Gebiet der Vermögensberatung umzusatteln, nicht bereut. "Die Selbständigkeit will ich nicht mehr missen", sagt er. Es mache Spaß, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Auch er weiß, dass es um das Image der Branche in der Öffentlichkeit nicht zum Besten steht. Knies setzte deshalb auf Qualität und hat noch ein Masterstudium mit dem Schwerpunkt Business Management abgeschlossen. Das Studium solle ein Signal nach außen sein: "Ich kann den Job."

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Quelle:
SZ vom 10.03.2016
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