Zeitarbeiter in der Krise:"Immerhin besser als Hartz IV"

Zeitarbeiter sind in der Krise als erste von Kündigungen betroffen. Sie bemühen sich jetzt umso mehr um eine Festanstellung - so wie Rita Härtl, die schon seit fünf Jahren von einem Job zum nächsten wechselt.

F. Nagel

Jeden Sonntag hat sie ihren Auftritt. Dann klettert Rita Härtl auf die Sitzbank hinter der Orgel in der Pfarrkirche St. Stephan in München und spielt den tschechischen oder slowakischen Gottesdienst. So sehr sie ihr sonntägliches Hobby liebt, in Härtls Leben gibt die Arbeit den Ton an. "Ich habe immer gearbeitet", sagt die 58 Jahre alte Bürokauffrau, "mein ganzes Leben lang". Nur wenige Jahre trat sie etwas kürzer, "als meine Tochter klein war". Doch dann stockte sie ihre Stundenzahl im Amtlichen Bayerischen Reisebüro wieder auf Vollzeit auf. "Ich war 23 Jahre dabei", sagt sie, "und konnte mir nicht vorstellen, dass dieses Büro einmal schließen würde."

Zeitarbeiter in der Krise: Werbeplakat der Zeitarbeitsbranche: Zu den wirtschaftlichen Problemen der Branche kommt die persönliche Enttäuschung der Leiharbeiter.

Werbeplakat der Zeitarbeitsbranche: Zu den wirtschaftlichen Problemen der Branche kommt die persönliche Enttäuschung der Leiharbeiter.

(Foto: Foto: dpa)

Doch so kam es - im Jahr 1997. Einige Mitarbeiter wurden zwar von einer anderen Firma übernommen. "Für meine Kollegen und mich gab es dort aber keine Arbeit mehr", sagt Härtl. Man habe den Bürotag förmlich abgesessen. Ende 1998 kam der Aufhebungsvertrag, "der sah wenigstens eine Abfindung für mich vor", sagt sie.

Nur noch Absagen

Härtl heuerte bei einem anderen Reisebüro an, bis 2001 die Buchhaltung dort geschlossen wurde. Sie wechselte zu einer IT-Firma, die Pleite kam 2004. "Meine Motivation war am Boden", sagt sie. Nach einigen Monaten Arbeitslosigkeit ging sie wieder auf Jobsuche.

Doch es kamen nur noch Absagen. Damit hatte Härtl nicht gerechnet, trotz ihres Alters. "Ich fühle mich nicht alt, bin fit am Rechner", sagt sie. Im vergangenen Jahr landete sie schließlich beim "Kompetenzcenter 50plus" der Münchner Arbeitsagentur. Dass sie etwas kann, sahen die Berater dort sofort: Computerprogramme rauf und runter, die komplette Finanzbuchhaltung. Man empfahl ihr, sich bei dem Zeitarbeitsunternehmen Treuenfels zu bewerben.

"Das war mein erster Kontakt mit einer Zeitarbeitsfirma", sagt Härtl, "vorher hatte ich diese Branche wegen des ewigen Hin und Her für mich ausgeschlossen." Nach drei Wochen Wartezeit und einer Viertelstunde Vorstellungsgespräch sitzt sie an ihrem neuen Schreibtisch bei der HS Energieanlagen GmbH in Freising. Nach knapp sechs Monaten wird sie fest übernommen. "Jetzt verdiene ich mehr als je zuvor", sagt sie.

Wasser bis zum Hals

Ein Einzelfall, sagen Kritiker der Zeitarbeit. Branchen-Insider widersprechen: Facharbeiter oder Fachkräfte aus Gesundheits- und Pflegeberufen werden immer gesucht. Dennoch stehen die Firmen der Leiharbeitsbranche momentan unter Druck. In den vergangenen Monaten kam es bei vielen Zeitarbeitsunternehmen zu betriebsbedingten Kündigungen.

Großen wie kleinen Leiharbeitsvermittlern stehe das Wasser momentan bis zum Hals, sagt Werner Stolz, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ). Fast 25 Prozent seiner Mitglieder hätten im Februar Kurzarbeit beantragt, "im Dezember waren es noch null". Stolz rechnet vor, wie die Zahl von bundesweit etwa 800.000 Leiharbeitern Mitte 2008 auf "bestimmt 600.000" gefallen sei.

"Wenn ich heute einen fundiert ausgebildeten Zahlenmenschen mit Sprachkenntnissen vermitteln möchte, ist der sofort weg", sagt Doris Mailänder, Geschäftsführerin der Firma Treuenfels, die bundesweit sechs Standorte hat. Doch auch sie habe in den vergangenen Monaten "ihr Potential bündeln müssen", sagt Mailänder. Nicht mehr alle Geschäftsstellen vermitteln Zeitarbeiter.

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Jeder Job macht Hoffnung, Teil II

Ein Abschwung - viel tiefer als sonst

Ganz klar, dass Zeitarbeiter in der Krise als erste betroffen sind. Schließlich wurde die Leiharbeit erfunden, um bei konjunkturellen Schwankungen flexibel reagieren zu können und die Stammbelegschaften der Unternehmen zu schützen. "Gerade realisiert sich einfach ein Branchenrisiko für uns", gibt IGZ-Chef Stolz unumwunden zu, "aber die Ausschläge sind derzeit absolut extrem." Abschwünge hat es früher auch gegeben, doch jetzt gehe es viel tiefer.

"Das sind keine normalen Zeiten", sagt auch Ingrid Hofmann. Sie ist Geschäftsführerin von Hofmann Personal Leasing und Vizepräsidentin des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA). Etwa 10.000 Beschäftigte hat die Firma im Portfolio. "Wir sehen die Krise schon lange kommen", sagt Hofmann. Bis November habe man alle frei werdenden Mitarbeiter anderweitig einsetzen können. Jetzt schaffe man das nicht mehr. Erstmals seit sieben Jahren muss Hofmann wieder entlassen. Dabei gebe es gleichzeitig 855 offene Stellen, vor allem im kaufmännischen und technischen Bereich.

Ständig andere Leute und Projekte

Zu den wirtschaftlichen Problemen der Branche kommt die persönliche Enttäuschung der Leiharbeiter. Fast alle wollen in eine feste Anstellung wechseln - doch das wird immer schwieriger. Der Jurist Erich Utz, der in München einen offenen Stammtisch für Leiharbeiter organisiert, hat beobachtet, dass sich das größte Problem der Zeitarbeit erst nach einer Weile bemerkbar macht. Sich ständig auf andere Leute und Projekte einzulassen, verliere irgendwann jeden Reiz. "Immer neue Kollegen, immer neue soziale Regeln", sagt Utz, "das macht viele Menschen auf Dauer fertig."

Michaela Bierbauer (Name geändert) geht es so. Die 49-Jährige ist derzeit beim Automobilkonzern BMW als Teamassistentin eingesetzt. "Eigentlich kann ich mich nicht beklagen, die Arbeit ist okay, die Kollegen sind nett - aber das ganze Drumherum ist einfach super anstrengend." Bierbauer weiß, dass BMW sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht übernehmen wird. Und sie weiß auch, dass sie mit der Zeitarbeitsstelle nicht langfristig rechnen darf. Alles kann sich ständig ändern. "Man kann im Grunde nichts planen - keinen Urlaub, nichts."

Keinerlei Sonderleistungen

Gerade mal sechs Monate ist sie bei dem Autobauer, davor hatte sie ein halbes Jahr lang wechselnde Jobs, nachdem sie zuvor auch schon einmal bei BMW gewesen war. Die Bürokauffrau will sich nicht beschweren: "Meine Stelle ist immer noch besser als Hartz IV." Dennoch ärgert sie sich über die vergleichsweise schlechte Bezahlung. "300 Euro weniger als mein früheres Arbeitslosengeld."

Ungerecht findet sie auch, dass Menschen wie sie keinerlei Sonderleistungen erhalten und mit 25 Urlaubstagen im Jahr auskommen müssen. "Die Einsatzfirma signalisiert auch noch, dass Leiharbeiter während ihres Einsatzes wohl keinen Urlaub bräuchten", sagt Bierbauer. Am liebsten hätte sie ein eigenes Sachgebiet. Doch das erscheint ihr derzeit selbst unrealistisch. Wenigstens aus dem Zeitarbeitsschema herauskommen - das wäre schön, sagt sie. Denn die unterschiedlichen Einsatzorte, die bisweilen sehr langen Fahrzeiten, der ständige Kampf um seine Rechte - "das nimmt mir schon ein Stück Lebensqualität".

Personalvermittlerin Ingrid Hofmann gibt sich hoffnungsvoll. "Jede Krise geht vorbei", sagt sie. "Unsere Branche ist nun mal ein Frühwarnsystem - in beide Richtungen."

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