Zeitarbeit in Pflegeberufen:Einsatzkräfte im OP

Leiharbeiter aus freien Stücken: In Pflegeberufen finden Zeitarbeiter bessere Bedingungen vor als in anderen Branchen. Vorausgesetzt, sie sind gut ausgebildet.

Martina Janning

David Bauschke ist ein Arbeiter zweiter Klasse - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Denn Bauschke ist in der Zeitarbeit tätig, und die hat ein schlechtes Image: Lohndumping, miese Arbeitsbedingungen, austauschbare Hilfskräfte, so lautet die gängige Meinung. Trotzdem heuerte Bauschke vor vier Jahren als Zeitarbeiter an. "Durch die Zeitarbeit bin ich flexibler, das passt besser zu meinem Familienleben. Weil ich immer Frühdienst mache, kann ich die Nachmittage mit meiner kleinen Tochter verbringen", sagt der 31 Jahre alte Berliner, der als Operationstechnischer Assistent arbeitet.

Anders als seine festangestellten Kollegen im Krankenhaus muss Bauschke keinen Schichtdienst machen und hat an den Wochenenden und Feiertagen immer frei. Das hat Bauschke sich bei der Zeitarbeitsfirma, bei der er unter Vertrag steht, so ausgebeten: "Ich bekomme mehr Geld als ein Operationstechnischer Assistent, der im Krankenhaus angestellt ist. Mein Urlaubsanspruch ist zwar geringer, aber ich kann für Überstunden Freizeitausgleich nehmen. Das können fest angestellte Kollegen oft nicht." Er fühle sich nicht als Arbeiter zweiter Klasse. "Zurzeit bin ich rundum glücklich", sagt er.

Bauschke gehört zu der Gruppe gut ausgebildeter Pflegekräfte mit Erfahrung, die Krankenhäuser, Altenheime und mobile Pflegedienste dringend suchen. Deshalb können solche Zeitarbeiter oft auswählen, wo und zu welchen Bedingungen sie sich verdingen. "Der Mangel an Pflegefachkräften macht uns erpressbar", sagt Angelo Wehrli, Geschäftsführer von AFG Personal Medical Services in Hamburg, einer auf die Gesundheitsbranche spezialisierten Zeitarbeitsfirma. Gut ausgebildete und erfahrene Pflegekräfte könnten Konditionen mitbestimmen. "Wenn Mitarbeiter bei uns kündigen wollen, weil sie woanders mehr Geld bekommen, versuchen wir mitzuziehen, um sie zu halten. In der Regel bezahlen wir jedoch so viel, wie eine fest angestellte Pflegekraft im Durchschnitt verdient."

Dass Zeitarbeiter in der Pflege Bedingungen stellen können, ist ein enormer Unterschied zur Industrie und anderen Dienstleistungsbranchen. Denn während die "oft auf Zeitarbeitnehmer ohne spezielle Qualifikation zurückgreifen, spielt die richtige Ausbildung im Pflegebereich eine große Rolle", resümieren Christoph Bräutigam und seine Kollegen in einer Studie für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Sie haben Jobanzeigen ausgewertet und festgestellt: 87 Prozent der Ausschreibungen richten sich an Fachpersonal in der Pflege.

Den existierenden Engpass bei Pflegekräften schreiben die Experten dem strikten Sparkurs der Kliniken zu. Allein die Allgemeinkrankenhäuser hätten zwischen 1996 und 2006 etwa 46.000 Pflege-Vollzeitstellen gestrichen. Außerdem hapere es bei der Ausbildung von Pflegekräften. Das führe dazu, dass schon einzelne krankheitsbedingte Ausfälle die Personalplaner in Bedrängnis brächten. "Oft bleibt ihnen nur, auf Beschäftigte anderer Stationen zurückzugreifen, und wenn auch das nicht möglich ist, sind Leiharbeitskräfte die letzte Möglichkeit", berichten die Studienautoren. In einigen Einrichtungen gehe der Bedarf sogar über kurzfristige Notfalleinsätze hinaus: "Manchmal werden Leiharbeitnehmer eingesetzt, damit das Stammpersonal überhaupt dazu kommt, Urlaub zu nehmen oder Überstunden abzubauen."

Eine gute Ausbildung ist Voraussetzung

Deshalb beäugen Pflegeteams Zeitarbeiter nicht per se kritisch. "Die meisten Kollegen freuen sich, wenn wir kommen. Ohne uns hätten sie noch mehr Arbeit", sagt Bauschke. Das Verhältnis zwischen Stammpersonal und Zeitarbeitern sei eher kollegial. Auch das ist offenbar eine Besonderheit in der Pflege. Denn eine Untersuchung der IG Metall deckte kürzlich auf, dass Festangestellte ihre zeitarbeitenden Kollegen oftmals unter Druck setzen und ausnutzen. So sagten die Leiharbeiter eines Betriebs, dass sie für den Schichtführer der Stammbelegschaft Botengänge machten, Runden ausgäben und samstags beim Umzug helfen müssten. Eine ausländische Zeitarbeiterin aus einer anderen Firma berichtete: "Männer zahlen eher, um sich Vorteile zu verschaffen, bei Frauen läuft das häufig anders, wenn der Vorarbeiter ein Mann ist."

Momentan ist Zeitarbeit in der Pflege noch kein Massenphänomen. In allen Gesundheitsberufen gibt es geschätzt 19.000 Zeitarbeiter, einen großen Teil davon in Pflegetätigkeiten. Das ist zwar wenig gemessen an den insgesamt 1,3 Millionen Pflegekräften. Doch laut der Hans-Böckler-Stiftung ist der Anteil der Zeitarbeiter in der Pflege seit 2004 überproportional auf das Fünffache gestiegen. "Die Nachfrage von Kliniken nach Zeitarbeitskräften hat definitiv zugenommen", bestätigt Jens Göricke, Geschäftsführer der Zeitarbeitsfirma Home of Jobs Berlin Medical.

Am besten könne er derzeit Operationstechnische Assistenten und Intensivpflegekräfte vermitteln. Doch der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal setzt den Entleihbetrieben genauso zu wie den Krankenhäusern und Pflegeheimen. Knallharte Konkurrenz bestimmt den Markt. Im vergangenen Jahr habe er fast die Hälfte seiner Pflegefachkräfte verloren, weil sie von Unternehmen übernommen worden seien, berichtet Göricke.

Jedoch gibt es auch Krankenschwestern und Pfleger, die ihren Job kündigen, um als Zeitarbeiter tätig zu sein. "20 Prozent unserer Pflegekräfte kommen aus einer Festanstellung", sagt AFG-Geschäftsführer Wehrli. Nach seinen Beobachtungen gibt es vier Typen von Pflegekräften, die sich für Zeitarbeit entscheiden: Berufsanfänger, die kein Übernahmeangebot bekommen haben, erfahrene Krankenschwestern und -pfleger, die im Beruf kürzer treten möchten, zu Pflegehelfern umgeschulte Arbeitslose und Pflegekräfte, die verschiedene Arbeitsbereiche kennenlernen und sich neu orientieren wollen.

Zur letzten Gruppe gehört Tina Bleeck. Die 25 Jahre alte Hamburgerin wusste nach ihrer Ausbildung zur examinierten Krankenschwester nicht, welche Richtung sie einschlagen soll. "Durch die Zeitarbeit komme ich viel herum und kann in verschiedenen Bereiche reinschnuppern", erklärt Bleeck. Parallel zum Job macht sie auf Kosten der Zeitarbeitsfirma eine zweijährige Fortbildung zur Fachkrankenschwester für Intensivpflege und Anästhesie. "Anfangs störten mich an der Zeitarbeit die vielen Wechsel. Mal zwei Tage hier, mal zwei Tage dort. Doch das ist weniger geworden", sagt Bleeck. Ihren Dienstplan erhält die Krankenschwester jetzt immer einen Monat im Voraus.

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