Süddeutsche Zeitung

Zeitarbeit: 2,71 Euro Lohn:"Das ist Sklaverei"

Die Gewerkschaft Verdi erstattet Strafanzeige gegen eine Wuppertaler Zeitarbeitsfirma: Diese bietet ihren Mitarbeitern einen Stundenlohn von 2,71 Euro brutto - für Betroffene eine moderne Form der Sklaverei.

Julia Bönisch

Abdelmajid Hadjeri ist 58 - eigentlich ein Alter, in dem er noch gut arbeiten könnte, findet der gelernte Maschinenbautechniker. Doch nach einem Arbeitsunfall musste er vor einiger Zeit Frührente beantragen.

Aber nur spazieren gehen, fernsehen, ausschlafen, das ist nichts für den gebürtigen Tunesier, der seit mehr als 20 Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Als er deshalb die Stellenanzeige der Gens Personalmanagement GmbH in der Zeitung entdeckte, bewarb er sich sofort. Ein "Frührentner als Personenbeförderer" wurde gesucht. Genau das richtige für Hadjeri, der sich zu seiner Rente 400 Euro hinzuverdienen darf - ein willkommenes Zubrot. Am 13. Oktober fuhr Herr Hadjeri zum Vorstellungsgespräch.

In dem Job hätte er mit seinem Privatwagen andere Leiharbeiter im Schichtbetrieb zu ihren Arbeitseinsätzen fahren sollen. "Das hätte mir gefallen", sagt Hadjeri. "Doch als ich gehört habe, was ich verdienen soll, bin ich fast vom Stuhl gefallen."

2,71 Euro - kein Witz

2,71 Euro brutto wollte ihm die Zeitarbeitsfirma zahlen - plus 23 Cent brutto pro Kilometer, den er in seinem eigenen Auto zurücklegt. "Da muss man ja sein eigenes Geld von zu Hause mitbringen, um diesen Job zu machen - bei den Spritpreisen. Ich habe den Herrn von der Firma Gens gefragt, ob er sich einen Scherz mit mir erlaubt", erzählt Abdelmajid Hadjeri. Doch er habe nur geantwortet, das sei kein Witz. "Das ist doch Sklaverei."

Nach einer kurzen Diskussion, in der der Verantwortliche der Zeitarbeitsfirma laut Hadjeri bestätigte, dass dort bereits Leute für so wenig Geld arbeiten, packte der Frührentner seine Sachen zusammen und verließ grußlos den Raum. "Ich war so aufgebracht, dass ich gar nicht erst nach Hause fuhr. Ich habe mich direkt auf den Weg zu Verdi gemacht."

Kündigung im Krankheitsfall

Dort bestätigte er dem Verdi-Geschäftsführer Dietmar Bell die Vorkommnisse in einer eidesstattlichen Versicherung, die sueddeutsche.de vorliegt. Verdi erstattete daraufhin Strafanzeige. Die Firma Gens gibt sich äußerst wortkarg, ihr Geschäftsführer Frank Wienbrauck weigert sich, eine Stellungnahme zu dem Fall abzugeben. Doch bei Verdi kennt man das Unternehmen bereits als schwarzes Schaf.

Denn laut Gewerkschaft ist dies nicht die einzige Beschwerde, die bei Verdi eingegangen ist. So sei einer Arbeiterin im Dreischichtbetrieb ein monatliches Bruttogehalt von 774 Euro gezahlt worden. Außerdem sei Beschäftigten im Krankheitsfall gekündigt worden, obwohl sie ärztliche Bescheinigungen vorgelegt hätten. "Doch ein Stundenlohn von 2,71 Euro setzt dem ganzen die Krone auf", sagt Gewerkschafter Bell.

Auf der nächsten Seite: Welche Strafen der Gesetzgeber bei Lohnwucher vorsieht - und was die Arbeitsagentur gegen die Zeitarbeitsfirma unternehmen könnte.

Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren

Laut Gesetz liegt Lohnwucher dann vor, wenn die Vergütung in auffälligem Missverhältnis zur Arbeitsleistung steht. Zudem muss die Vergütungsvereinbarung unter Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, eines Mangels an Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche zustande gekommen sein.

Lohnwucher wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe betraft, in schweren Fällen kann sie bis zu zehn Jahre betragen. Dabei wenden die Gerichte in der Regel eine Faustformel an: Sobald der Lohn weniger als zwei Drittel des ortsüblichen Tarif beträgt, liegt Lohnwucher vor.

Wo bleiben Würde und Respekt?

Die Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben mit den Zeitarbeitsfirmen einen Stundenlohn von 7,80 Euro vereinbart. Doch der wird immer wieder unterschritten. Die "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit" etwa, hinter der Verdi Arbeitgeberstrukturen vermutet, hat sich auf einen Stundenlohn von 7,20 Euro geeinigt, Haustarife liegen zum Teil nur bei 5,20 Euro.

"Doch selbst wenn man diesen mickrigen Betrag zugrunde legt, sind 2,71 Euro eine Frechheit", sagt Dietmar Bell von Verdi. "Das ist Ausbeutung und hat mit Würde und Respekt nichts zu tun." Bell hofft, dass der Fall zu einer erneuten Debatte über Mindestlöhne führt. "Wir brauchen in unserer Gesellschaft eine grundsätzliche Debatte darüber, was angemessene Bezahlung bedeutet."

Das wäre auch ganz in Abdelmajid Hadjeris Sinn. "Es geht mir nicht um mich", sagt der 58-Jährige. "Doch wenn dort tatsächlich Menschen für so einen Hungerlohn schuften, muss das ganz schnell gestoppt werden." Deshalb hat er bereits die Wuppertaler Arbeitsagentur informiert: Sie soll dem Unternehmen die behördliche Erlaubnis zur Überlassung von Arbeitnehmern entziehen. Dann müsste Gens Personalmanagement schließen. "Das wäre das Beste, was allen Arbeitssuchenden in Wuppertal passieren könnte."

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