Xing-Chef Thomas Vollmoeller:"Ein Adressbuch ist tot, Sie müssen es zum Leben erwecken"

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"Gerade in Deutschland ist Arbeit eine ziemlich ernste Sache": Xing-Chef Thomas Vollmoeller (Foto: Xing AG)

Jeder fünfte Arbeitnehmer ist beim Business-Netzwerk Xing angemeldet. CEO Thomas Vollmoeller spricht darüber, welche Fehler man im Profil machen kann und was ihn am Freitagmittag nervös macht.

Interview von Sarah Schmidt

Erinnert sich noch jemand an Studi-VZ? Eher nein - schon vor Jahren musste sich das deutsche Pendant zu Facebook der Übermacht der US-Konkurrenz geschlagen geben. Ganz anders sieht es beim digitalen Business-Networking aus. Hier liegt der deutsche Anbieter Xing deutlich vor dem globalen US-Portal Linkedin. Gerade wurde der zehnmillionste Nutzer gefeiert. Jeder fünfte Berufstätige im deutschsprachigen Raum hat ein Profil bei dem Business-Netzwerk. Seit August 2012 ist Thomas Vollmoeller Chef der Hamburger Aktiengesellschaft.

Süddeutsche Zeitung: Was ist so speziell am deutschen Markt, dass sich hier ein eigenes Karrierenetzwerk durchsetzen konnte?

Thomas Vollmoeller: Nicht nur in Deutschland, überall gilt: Die Menschen sind lokal, die Jobs sind lokal und das Thema Sprache spielt eine große Rolle. Arbeitsmärkte sind daher vor allem national, nicht global.

Noch jedenfalls.

Das bleibt auch so. Wenn Sie sich anschauen, wie sich in verschiedenen Ländern die Marktführer bei den Jobportalen entwickelt haben, wird das deutlich. Selbst US-Unternehmen wie Microsoft und Amazon nutzen Xing, wenn sie deutsche Vertriebsleute finden wollen.

Andererseits ist es doch der Witz eines Netzwerkes, dass ich mich mit möglichst vielen Leuten vernetzen kann. Wenn ich aber einem asiatischen Geschäftspartner etwas von Xing erzähle, versteht der gar nicht, wovon ich rede.

Jedes Business-Netzwerk ist eine Art persönliches Adressbuch. Und keine Frage, 400 Millionen internationale Profile in der Datenbank zu haben, ist hübsch. Doch ein Adressbuch ist zunächst etwas Kaltes, Totes. Zum Leben erwecken Sie das mit Ihren persönlichen Bekannten, mit aktiven Communities, mit Austausch. Und das kann Xing in Deutschland tiefgehender anbieten als jeder andere.

Inwiefern?

Ein Xing-Profil ist eine Art digitale Visitenkarte, um gefunden zu werden. Doch dann geht es darum, sich auszutauschen, Gruppen beizutreten, auf Events zu gehen, einen neuen Job oder neue Mitarbeiter zu finden. Nicht zuletzt geht es auch darum, sich zu informieren. Wir haben mittlerweile Journalisten eingestellt, jeden Morgen schicken wir fünf Millionen Newsletter raus mit dem Wichtigsten, was in Deutschland gelesen wird. Und zwar für etwa 30 Branchen. Das ist für unsere Kunden relevant. Ich will eigentlich nicht über den Wettbewerber reden, aber das Motto "one size fits all" ist sehr amerikanisch gedacht und funktioniert hier nicht.

Trotzdem haben Sie auch ein Profil bei Linkedin.

Ja. Wir nennen solche Leute wie mich, die mehr als ein Netzwerk nutzen, Double-Homers. Von denen gibt es natürlich welche. Wir messen, ob deren Aktivität bei uns auf der Plattform nachlässt. Das tut sie nicht, im Gegenteil. Was mich angeht - ich bin auch nicht ganz repräsentativ. Denn wir wissen: Etwa 80 Prozent unserer Nutzer haben praktisch keine internationalen Kontakte. Für den Controller in einer Versicherung, den Webdesigner in München, den Salesmann von der Schraubenfirma spielt Internationalität kaum eine Rolle.

Xing gibt es ja schon relativ lange und offenbar haben Sie es geschafft, mit einem seriösen Image eine ganze Reihe von den Leuten abzuholen, die sich erst mal an das Internet und die digitalen Möglichkeiten gewöhnen mussten. Was ist mit den jungen Leuten, die mit Angeboten wie Facebook, Instagram und Snapchat aufwachsen? Ist denen Xing nicht viel zu bieder?

Ich habe selbst zwei Töchter, die große Snapchat-Fans sind und die mir übrigens verboten haben, mich anzumelden. Da geht es um Lifestyle, ums Privatleben - da wollen sie unter sich sein. Das Thema Job ist anders. Gerade in Deutschland ist Arbeit eine ziemlich ernste Sache. Sobald es ums Geldverdienen geht, setzt man auch auf einen ernsthaften, seriösen Anbieter. Ein Student, der den ersten Job sucht, kommt von alleine zu uns.

Wurde mit der Digitalisierung das Netzwerken beliebiger und oberflächlicher?

Klar sind meine Töchter heute häufiger in Kontakt mit ihren Mitschülern, als ich das früher war. Das kann auch mal ganz schön oberflächlich sein. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nicht die Tiefe jedes einzelnen Gesprächs ist entscheidend, auch nicht der Kommunikationskanal, sondern die echte Bindung an den Gesprächspartner. Und die Basis ist und bleibt der persönliche Kontakt. Das hat sich nicht geändert. Deshalb sind nach wie vor die persönlichen Treffen die intensiveren. Die digitalen Möglichkeiten sind insofern auch kein Ersatz sondern eine Ergänzung zum persönlichen Kontakt. Sie helfen, mit anderen Menschen in Verbindung zu bleiben.

Einerseits hat das Internet das Networking demokratisiert: Früher bekam man nur Kontakt zu Leuten, wenn man in der richtigen Familie oder zumindest an der richtigen Uni war. Heute kann jeder jedem eine Nachricht schreiben. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass die digitalen Netzwerke nur die früheren Verhältnisse widerspiegeln.

Sie machen aus einem kontaktscheuen Menschen nicht dadurch einen umgänglichen Kontakter, dass Sie das Internet zur Verfügung stellen. Aber es zählt nicht mehr die richtige Familie oder die Uni, sondern das, was jemand zu bieten hat. Xing trägt dazu bei, das "Vitamin B" zu demokratisieren. Zudem ist es einfacher geworden, die passenden Personen zu finden und mit ihnen in Verbindung zu treten. Das funktioniert heute auf Knopfdruck. Die Arbeitswelt ist transparenter und durchlässiger geworden. Das sieht vielleicht nicht jeder so, aber ich finde es toll, dass die Arbeitswelt kein geschlossenes System mehr ist. Dass jeder Zugang zu Informationen, Jobs und Kontakten hat.

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Die Kehrseite ist der Datenschutz. Wird Ihnen manchmal unheimlich, wenn Sie daran denken, dass die kompletten Lebensläufe und Kontaktdaten von zehn Millionen Menschen auf Ihren Servern lagern?

Nein, unheimlich ist mir nicht, aber natürlich haben wir eine Verantwortung. Wir kümmern uns gut um die Daten, unsere Server stehen in Deutschland und unterliegen deutschem Datenschutz. Ganz allgemein gilt: Viele der Informationen, die Menschen bei uns hinterlegen, sollen von anderen Personen gefunden und gelesen werden. Das ist bei Xing etwas anderes als zum Beispiel bei privaten Whatsapp-Chats.

Wurde mit Portalen wie Xing die Verkaufe bei der Jobsuche noch wichtiger? Die Stationen im Lebenslauf, Auslandsaufenthalt, ein nettes Foto, ein spannendes Hobby?

Ich glaube nicht, dass Xing der Treiber ist. Ich glaube, dass die Welt da draußen der Treiber ist. Das Thema klassischer Lebenslauf ist wichtig. Aber dazu kommen Dinge wie Persönlichkeit und Motivation. Der Markt fordert buntere, flexiblere Lebensläufe. Stromlinienförmige CVs bringen meist auch nur stromlinienförmige Ergebnisse. Auch wir schauen uns bei Bewerbern genau an: Was ist das für ein Mensch? Passt der zu uns, zu unserer Kultur? Bringt er eine neue, ungewöhnliche Perspektive mit?

Wie viele Xing-Kontakte muss ein Bewerber haben?

Das ist für uns nicht entscheidend. Aber viele Kontakte machen es leichter, gefunden zu werden. Das gilt übrigens genauso umgekehrt. Wer viele Kontakte hat, bekommt leichter etwas heraus über das Unternehmen, bei dem er sich bewerben will. Gibt es jemanden im eigenen Netzwerk, der dort arbeitet, der jemanden kennt? So bekommt man authentische Informationen. Das Thema Authentizität spielt auch eine große Rolle für Personalabteilungen, von denen ja viele Bonusprogramme entwickelt haben, für Mitarbeiter, die neue Leute werben. Die tun das aber meist mit Excel-Listen und handgestrickten Verfahren. Wir sehen hier eine große Chance für die Etablierung einer digitalen Lösung. Darum haben wir auch gerade das Schweizer Mitarbeiterempfehlungsprogramm Eqipia übernommen.

Was kann ich noch machen, um mein Business-Netzwerk möglichst effektiv zu nutzen?

Der aktuelle und vollständig ausgefüllte Lebenslauf ist die Pflicht. Die Kür ist eine noch vollständigere Selbstdarstellung. Füllen Sie dazu zum Beispiel die Wants und Haves möglichst detailliert aus. Also die Felder, welche Art Job und Infos Sie suchen und welche Qualifizierung und Kompetenz Sie mitbringen, was sie motiviert und ausmacht. So steigt die Chance, dass potenzielle Arbeitgeber, Personaler oder Geschäftspartner Sie auch finden. Ein Algorithmus ist immer nur so schlau wie die Worte, die man eingibt.

Was ist der größte Fehler beim Xing-Profil?

Es nicht zu pflegen! Lieber kein Profil als ein nicht gepflegtes. Es gibt Leute, die legen das einmal an und schauen nie wieder rein. Das macht dann schon einen seltsamen Eindruck - zum Beispiel bei einer Bewerbung -, wenn da völlig veraltete Daten oder ganz andere Arbeitgeber drinstehen.

Wie muss ich es mir denn vorstellen, bei Xing zu arbeiten? Wie bei einem deutschen Mittelständler oder wie bei Google in Klein?

Der klassische Mittelständler sind wir jedenfalls nicht. Wir haben flache Hierarchien, mein Arbeitsplatz ist so groß wie der meiner Assistentin, ich sitze mittendrin, es gibt nur ein Pappschildchen, auf dem CEO steht, das war's. Wir haben in den meisten Abteilungen Vertrauensarbeitszeit, Home Office und Auszeiten sind Standard. Wir versuchen, sehr demokratisch zu arbeiten. Zum Beispiel gibt es einmal pro Woche eine Mitarbeiterbefragung.

Einmal in der Woche?

Wir haben eine App, in der kann man anonym bis zum Donnerstagabend voten: Wie waren wir diese Woche gegenüber unserem Kunden und wie als Arbeitgeber? Am Freitagmittag um zwölf Uhr stelle ich mich dann hin und nehme zu den wichtigsten Punkten der Mitarbeiter Stellung. Grad habe ich schon mal reingeschielt, diesmal wird es eher schwierig - zwei Fragen sind nicht so einfach zu beantworten. Aber so ist das: Die Mitarbeiter erwarten Antworten und Lösungen zu ihren Problemen. Dazu ist das Tool super, denn endlich wird gemeinsam diskutiert, was sonst nur in der Kaffeeküche zu hören ist.

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