Workshop für Führungskräfte:Brennende Manager-Muskeln

Ein Seminar für gestresste Führungskräfte vermittelt Shaolin-Übungen gegen das Chaos im Kopf - und gibt die Empfehlung: "Je weniger Sie denken, desto glücklicher sind Sie".

Karin Steinberger

Die gute Nachricht ist: Man muss keine zwanzig Jahre mehr in einer Höhle sitzen. Es gibt auch einen schnelleren Weg zur Erleuchtung. Zweieinhalb Tage, mehr passt ohnehin nicht in den Terminplan. Das muss reichen.

Shaolin, AFP

Shaolin-Mönch auf Speerspitzen: Im Seminar "Kraft des Denkens: Die Shaolin-Strategie" der ZfU - International Business School sollen die Führungseliten von Unternehmen lernen, ihr Bewusstsein neu zu programmieren.

(Foto: Foto: AFP)

Denn Zeit ist Geld. Fakt ist, dass dieser Seminarraum mitten in Köln das Gegenteil ist von dem, was man sich unter einer Sadhu-Höhle weit oben im Himalaya vorstellt. Er ist sauber, hell, unpersönlich, aber wenigstens fast frei von Flipcharts.

Vier Frauen und vier Männer sitzen im Halbkreis, Vorstände, Geschäftsführer, Senior Projektmanager. Sie haben es geschafft. Weiter kann man eigentlich nicht kommen. In der Gesellschaft jedenfalls nicht. Aber innerlich geht noch was. Selbsterkenntnis, Weisheit, innere Ruhe.

Die Chefs sitzen im Halbkreis, es ist Tag eins des Seminars "Kraft des Denkens: Die Shaolin-Strategie". Sie warten. Ein paar blättern in den Ordnern des Veranstalters herum, der ZfU - International Business School, die vor ihnen liegen.

Tun, machen, machen, tun

Es gibt Erstaunliches zu sehen. Mönche, die kopfüber am oberen Ende einer meterhohen Stange stehen, als hätte man sie in der Luft festgenagelt. Ein kleines Kind, das einem Elefanten aus einem Buch vorliest. Ein Mönch, der an der Wand entlangläuft wie eine Eidechse - oder wie Keanu Reeves in "Matrix". Schwerelos. Mensch gegen Maschine. Das kennen sie hier alle. Sind doch auch nur Gejagte. Tun, machen, machen, tun. Oft bringt nicht mal mehr der Schlaf Erholung.

Weiter hinten in den Unterlagen kommt eine Seite, auf der ein Dreieck aufgezeichnet ist, in dem steht: Ich bin ein Versager. Das kennen sie wahrscheinlich auch alle. Irgendwie.

Aber jetzt redet erst einmal Ralph J.Wilms. Er sitzt da wie ein Buddha, rund und in sich ruhend. Er lächelt. Der Mann ist in einer Kneipe aufgewachsen, mit 15 hat er Laotse gelesen. Er hat bei einer Investmentbank gearbeitet und in der Psychiatrie. Wilms sagt: "Sie müssen nicht alles glauben, was ich sage."

Mehr braucht es nicht. Er hat sie alle auf seiner Seite. Er ist jetzt der Chef unter den Chefs. "Machen Sie die Augen zu und denken Sie eine Minute lang an nichts", sagt Ralph J. Wilms. Alle machen die Augen zu und versuchen eine Minute lang, an nichts zu denken. Im Raum ist Stille, nur im Hirn ist der Teufel los.

Gedanken-Blabla

Das Nichts, mal ist es da, dann fliegt ein Flugzeug über Köln und man denkt: Wann geht der Flieger? Dann denkt man, dass man jetzt unbedingt an nichts denken muss. Im Raum nebenan quatscht ein anderer Seminarleiter. Was quatscht er, denkt man. Lass das Denken, denkt man. Wie lange dauert eine Minute, denkt man. Denken die anderen auch so viel, obwohl sie nicht denken dürfen, denkt man.

Nach einer Minute zählt man die Gedanken, die man nicht hätte denken sollen. Das Ganze multipliziert man mit 60 und 24. Das ist dann die Anzahl der Gedanken am Tag. Alle rechnen, stöhnen leise, rechnen noch einmal. Wie gibt es so was. "40000 bis 60000 Gedanken denkt man pro Tag", sagt Wilms. Gemurmel im Raum.

Sie schwatzen uns voll, die Gedanken, blablabla. Sie blockieren Energie, aktivieren Endorphine und sind meist total redundant. Immer das Gleiche. Und doch sagt jeder Gedanke: Denk mich. "Je weniger Sie denken, desto glücklicher sind Sie", sagt Wilms. Na toll, denkt man sich.

Es geht darum, Abstand zu bekommen zu den eigenen Gedanken, Sensibilität zu entwickeln für den Raum zwischen den Gedanken. Wenn so ein Gedanke kommt und einen mitnehmen will, muss man ihm widerstehen. Letztlich geht es darum, über den Körper den Geist zu beruhigen. Na dann. Es ist Zeit, "mit beiden Händen den Himmel zu stützen".

Großartiger, beruhigender Singsang

Aber erst redet Shi Yan Bao. Er sitzt da im orangenen Gewand der Shaolin-Mönche, schmal und in sich ruhend. Er lächelt. Er ist in China aufgewachsen, hat mit neun Jahren beschlossen, Mönch im nahegelegenen Shaolin-Kloster zu werden, dort hat er 30 Jahre gelebt und trainiert und die Stille kultiviert. Dann hat er in Berlin das Shaolin-Kulturzentrum aufgebaut. Er gilt als einer der besten Kung-Fu-Meister der Welt.

Shi Yan Bao spricht in einer Sprache, die irgendwo dazwischenliegt, zwischen Chinesisch und Deutsch. Es ist ein großartiger, beruhigender Singsang, man versteht nur einzelne Worte - und begreift irgendwie doch alles: Kampf, Heilung, Meditation, das Meer des Qi. Logisch.

Dann steht Shi Yan Bao auf und fängt an, mit beiden Händen den Himmel zu stützen. Alle stehen jetzt auf und stützen den Himmel, indem sie beide Hände über dem Kopf verschränken und nach oben drücken. Sie haben weiche Schuhe an und weiche Kleider und versuchen zu machen, was Shi Yan Bao macht.

Manchmal wird ein bisschen gekichert. Weil einer verkehrt herum steht, oder weil das, was Shi Yan Bao vormacht und was bei ihm so lächerlich einfach aussieht, in Vorstands-Oberschenkeln und Geschäftsführer-Oberarmen furchtbar schmerzt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Gedanken wie Pop-ups sind, die immer im ungünstigsten Moment aufploppen.

Identität durch Arbeit?

Seit vier Jahren leiten Ralph J.Wilms und Shi Jin Bao zusammen Seminare. Sie sind aufeinander eingespielt. Letztlich geht es bei ihnen darum, zwei Welten zusammenzubringen. Wilms erzählt von der Befreiung des Geistes in der Übung der Stille. Shi Jin Bao befreit den Geist durch die Übung der Stille. So holen sie die Leute runter. Erstaunlich schnell. Ganz ohne Höhle. Trotz Seminarraumatmosphäre.

So viel gleich vorweg: Ein Mitarbeiter verlässt nie eine Firma, er verlässt immer den Vorgesetzten. Und als Vorgesetzter hat man direkten Einfluss auf das Immunsystem der Mitarbeiter. Zustimmendes Gemurmel. Wilms sagt, dass man hier lernen wird, in fünf Minuten aus einem Zustand der Wut in einen Zustand zu kommen, in dem man eine E-Mail schreiben kann, die nicht wie eine Briefbombe einschlägt. Noch zustimmenderes Gemurmel.

Delete - delete

Und dann stellt Wilms ein paar Fragen in den Raum: Wie kann man ein System herunterfahren, das auf Konkurrenz aufgebaut ist? Wie viel freien Willen haben wir? Was ist dran an einem System, das uns schon in der Schule Instinkt und Impuls austreibt? Kann man seine Identität nur auf Arbeit aufbauen? Warum fehlt das vernetzte Denken? Wie entkomme ich meinen Glaubenssätzen, den Beliefs: Ich bin nicht gut genug. Wer es immer wieder denkt, glaubt es irgendwann.

Es ist eigentlich ganz einfach. Der Körper ist die Festplatte. Und die Beliefs sind die Pop-ups, die immer dann aufploppen, wenn man sie am wenigsten brauchen kann. Und Ralph J.Wilms und Shi Yan Bao sind Softwareingenieure für innere Prozesse. Sie wollen das Bewusstsein neu programmieren, sie wollen die negativen Beliefs für immer aus dem System löschen. Delete - delete.

Jetzt löscht erst einmal Shi Jin Bao. Im Mönchsgewand steht er da und versucht den Kursteilnehmern die acht Schätze beizubringen, eine spezielle Unterform des Qi Gong: "Mit beiden Händen den Himmel stützen" - "Den Bogen nach beiden Seiten spannen und auf den Adler zielen" - "Milz und Magen stärken, indem man die Arme einzeln hochhebt" - "Nach hinten schauen und fünf Krankheiten und sieben Leiden vertreiben". Dann gibt es Abendessen, spät und deftig. Milz und Magen zum Trotz.

Die wichtigsten Werkzeuge für Führungskräfte

Früh am nächsten Morgen geht es weiter. Es gibt heißes Wasser mit Honig. Und dann: "Mit dem Kopf nicken, mit dem Steiß wedeln und das Feuer aus dem Herzen vertreiben" - "Hüfte und Nieren stärken, indem man die Füße fasst". Manche fassen erst mal nur die Hüfte, weil die Füße ein bisschen zu weit weg sind. Immer noch Gekicher, aber es wird weniger.

Natürlich kann man sich darüber leicht lustig machen. Mit dem Steiß wedeln. Was soll das? Andererseits kamen sie bei Untersuchungen der Harvard Business School zu dem Ergebnis, dass Meditation und Intuition die beiden wichtigsten Werkzeuge für Führungskräfte im 21.Jahrhundert sind.

Der kaiserliche General Yueh Fei wusste das schon 1120 nach Christus. Er brachte seinen Soldaten die acht Schätze bei - Ba Duan Jin Qi Gong. Weil so ein Krieg Stress pur ist. Und weil es über Sieg und Niederlage entscheiden kann, ob sich Soldaten zwischen den Kämpfen erholen können oder nicht. So viel Entspannung wie möglich, so viel Anspannung wie nötig.

Und ist das nicht auch Krieg, was in den Büros stattfindet? Der tägliche Kampf gegen die Konkurrenz, die eigenen Ansprüche und die rasende Zeit. Wir alle sind Arbeitssoldaten, gestresst, ausgelaugt und fertig. Wo sind die Pausen, die Selbstreinigungsphasen?

Ein paar Chefs schauen jetzt hinaus ins mickrige, eingeklemmte Stadtgrün vor dem Fenster. Dann wedeln sie mit dem Steiß. Falschrum steht keiner mehr.

Mit Ruhe und Gelassenheit

Kurz darauf liegen sie auf dem Boden. Bankvorstände, Firmenchefs, strumpfsockig, die Augen geschlossen. Wilms spricht ruhig hinein in die aus dem Computer plätschernden Mönchsgesänge. Nicht nur Qi Gong sollen die Führungskräfte nutzen, auch andere Methoden.

Die Herz-Kohärenztechnik, mit der man Angst, Depression und Wut kontrollieren kann. Die Sedona-Methode, die Kunst des Loslassens. Oder Tapping, eine Klopftechnik zur Auflösung negativer Glaubenssätze. Wilms macht es vor, dann klopfen sich alle gegenseitig auf die Knie, machen tiefe Atemzüge. Warten.

Schon klar, dass man jetzt nicht zurück in die Firma geht und ein paar Kollegen auf die Knie klopft. Alle hier sind und bleiben Teil einer gehetzten Jagdgesellschaft, noch fühlt sich keiner vom Universum getragen. Aber es wäre ja schon gut, mit Ruhe und Gelassenheit durch die Welt zu gehen - ohne unterzugehen.

Also macht Shi Yan Bao mit Ruhe und Gelassenheit die letzten zwei Übungen der acht Brokate: "Die Fäuste ballen, mit den Augen funkeln und die Qi-Kräfte mehren" - "Den Rücken sieben mal fallen lassen und 100 Krankheiten vertreiben".

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