Work-Life-Balance:Rund um die Uhr im Job

Durch den technologischen Fortschritt sind Mitarbeiter stets und überall erreichbar. Psychologen warnen: Damit sind viele überfordert.

Sibylle Haas und Thorsten Riedl

Sieht so die Zukunft des Arbeitens aus? Ralph Haupter, zuständig für das Tagesgeschäft bei Microsoft in Deutschland, sitzt mit Kopfhörer samt Mikrofon vor einem Bildschirm mit integrierter Videokamera. Haupter spricht auf dem Messestand des Softwarekonzerns während der Cebit, das Video samt Ton wird mehr schlecht als recht in eine Pressekonferenz mit Hunderten von Journalisten übertragen. "Wie geht neues Arbeiten?", war einer der Schwerpunkte von Microsoft zur Computermesse, erklärt der Software-Manager. "Und natürlich in diesem Jahr besonders: Welche Kosteneffekte kann es haben?"

Work-Life-Balance: Rund um die Uhr im Job - und immer erreichbar: Erholungsphasen werden dadurch seltener.

Rund um die Uhr im Job - und immer erreichbar: Erholungsphasen werden dadurch seltener.

(Foto: Foto: ddp)

In der Wirtschaftsflaute preisen Firmen aus der Informationstechnik (IT) ihre neuen Produkte als Möglichkeiten für Geschäftskunden auf, noch mehr Geld zu sparen. Das Auslagern von ganzen Bereichen in der IT beispielsweise boomt gerade, weil Firmen so Liquidität bekommen bei geringeren Ausgaben.

In ständiger Rufbereitschaft

Bald lassen sich nicht nur Bereiche outsourcen, bald können die Mitarbeiter ganz nach Hause geschickt werden: Heimarbeit ist in der IT-Industrie schon weiter verbreitet als in anderen Branchen. Sun etwa hat einen eigenen Computer entwickelt für seine Mitarbeiter. Mit dem Rechner und einer Codekarte können sich die Angestellten von jedem Ort der Welt in das Netz des US-Konzerns einwählen. Dann stehen ihnen alle Programme bereit, die sie auch sonst an ihrem Arbeitsplatz im Büro vorfinden würden. Kontakt halten die Sun-Mitarbeiter über Telefon- oder Videokonferenzen und Internet. "Digitale Nomaden können überall arbeiten", sagt auch Achim Berg, Chef von Microsoft Deutschland.

Die Beschäftigten gewinnen dadurch mehr Freiraum und können eigenverantwortlicher arbeiten, doch die neuen Arbeitsmittel sind auch gefährlich. "Durch die Technologien wird eine ständige Erreichbarkeit suggeriert. Viele Mitarbeiter trauen sich gar nicht mehr, das Handy am Wochenende auszuschalten", sagt Arbeitspsychologe Thomas Rigotti, der sich an der Universität Leipzig mit dem Themen "Arbeit, Gesundheit und Stress" beschäftigt. "Die ständige Rufbereitschaft führt dazu, dass die Leute nicht mehr abschalten und sich nicht richtig erholen können. Doch Erholung ist wichtig, damit Menschen kreativ und offen bleiben", warnt der Psychologe.

Machtlose Betriebsräte

Auch Juristen sehen Risiken. "Wenn die Arbeitnehmer ständig erreichbar sind und ihren Schreibtisch quasi überall spontan aufschlagen können, dann führt das oft dazu, dass sie sich selbst überfordern", sagt Boris Karthaus, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Hummel und Kaleck in Berlin. Betriebsräte seien da oft machtlos. In einigen Unternehmen gebe es deshalb auf Drängen der Arbeitnehmervertreter Betriebsvereinbarungen, nach denen jemand abgemahnt werden müsse, wenn er in seiner Freizeit mit dem firmeneigenen Laptop dienstlich arbeite.

Hartnäckig halte sich auch die Annahme, dass, wer ein Dienst-Handy besitzt, auch außerhalb der Arbeitszeit, also am Abend oder am Wochenende erreichbar sein muss. "Das ist Quatsch", sagt Karthaus. "Der Arbeitgeber kann auch beim Dienst-Handy keine Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit anordnen", betont der Jurist.

Auf der nächsten Seite: Warum Videokonferenzen echte Konferenzen nicht ersetzen können und wie Heimarbeit soziale Kontakte zerstört.

Rund um die Uhr im Job

Die Kaffeepause fehlt

Für die Heimarbeit wird das schnelle Internet einen Schub bringen, das Bundesregierung und Telefongesellschaften für einen Großteil der Bevölkerung bis 2014 und für alle ab 2018 schaffen wollen. Mit Geschwindigkeiten von 50 Megabit pro Sekunde sind die Netzzugänge dann im Schnitt bis zu 20-mal schneller als heutige Anschlüsse. Auf diese Weise können Videokonferenzen in höchster Auflösung vom heimischen Wohnzimmer aus übertragen werden.

Doch Videokonferenzen können echte Konferenzen nicht ersetzen, sagt Arbeitspsychologe Rigotti. "Der größte Teil des sozialen Miteinanders geschieht in der Kaffeepause oder in der Kantine", betont er. Heimarbeitsplätze führten daher schnell zum Verlust von sozialen Kontakten. Arbeitsrechtler Karthaus weist darauf hin, dass der Laptop ein Bildschirmarbeitsplatz im Sinne der entsprechenden Verordnung sein kann, wenn er regelmäßig an einem Heimarbeitsplatz eingesetzt wird. Hier müsse der Arbeitgeber in regelmäßigen Abständen eine Überprüfung des Sehvermögens anbieten.

Ein Klick zur Kontaktaufnahme

Die Schnelligkeit der Technik kann auch psychische Folgen haben: "Weil Computer viele Dinge gleichzeitig erledigen können, meinen wir, dass Menschen dazu auch in der Lage sind. Das ist aber ein Trugschluss", warnt Arbeitspsychologe Rigotti. Diese Einschätzung führe zu einer immer größeren Arbeitsdichte, die aber nicht jeder psychisch bewältigen könne. Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) hat vor kurzem ein erschreckendes Umfrageergebnis veröffentlicht: Zwei Millionen Beschäftigte in Deutschland haben schon einmal versucht, mit Psychopharmaka ihre berufliche Leistung zu verbessern. Die Ursachen für das Doping am Arbeitsplatz liegen laut DAK gerade in der Wirtschaftskrise im Leistungs- und Wettbewerbsdruck am Arbeitsplatz.

Und wer kontrolliert schließlich die Mitarbeiter, wenn der Chef beim Rundgang im Bürogebäude nur noch leere Zimmer vorfindet? Unified Communications nennt sich ein weiterer Trend in der IT, zu deutsch: vereinheitlichte Kommunikation. Statt Festnetzapparat, Handy, Videokonferenzsystem, Internet-Kurznachrichtendienst, E-Mail oder noch mehr der unzähligen Kommunikationsformen durchzuprobieren, reicht ein Klick zur Kontaktaufnahme: Der Computer weiß, wo der Beschäftigte sich gerade aufhält und wie er erreichbar ist, so zumindest die Vision, an der die Industrie arbeitet. Erste Produkte in diese Richtung gibt es schon. Doch wer solche Systeme nutzen will, braucht die Zustimmung des Betriebsrats, so Arbeitsrechtler Karthaus. Denn es handle sich um technische Einrichtungen, die dazu geeignet seien, das Verhalten und die Leistung der Mitarbeiter zu überwachen.

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