Süddeutsche Zeitung

Work-Life-Balance:"Mittwoch um 21 Uhr hätte ich noch ein Zeitfenster"

Party oder Job - was kommt an erster Stelle? Wie man Freunde, Familienplanung und Job unter einen Hut bekommt.

Lisa Seelig

"Mittwoch nach 21 Uhr hätte ich wohl noch ein Zeitfenster offen" - einer dieser schauderhaften Sätze, die einen willkommen heißen in einer Welt, in der die Verabredung zum Feierabendbier zum Termin-Geschacher gerät. Gerade Jobanfänger überbieten sich gerne darin, wer das Büro als Letzter verlässt oder die meisten Wochenenden durcharbeitet. Sie stürzen sich mit Euphorie in ihre Ausbildung oder in den ersten Job, hungrig nach Erfolg. Aber sind das nicht auch genau die Jahre, in denen man sich, endlich weg von zu Hause, austoben will?

Die Altersgruppe der Unter-30-Jährigen ist die einzige, die im Job kompromisslos vorwärts drängt - allen anderen Altersgruppen sind Freunde, Familie, Spaß und Muße wichtiger. Das hat eine Studie des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft im vergangenen Jahr ergeben. Dieser Hunger, dieses kompromisslose Streben bringt einen beruflich weiter. Aber zum Leben gehört mehr: Freizeit, Freunde und für die große Mehrheit auch eine eigene Familie.

Ausnahme Weihnachtsfeier

Deutsche Unternehmen erkennen zunehmend, dass die Harmonie zwischen Privatleben und Job auch für sie Vorteile hat: Die Mitarbeiter sind produktiver, zufriedener und motivierter, sie fehlen seltener und fühlen sich mit ihrer Firma stärker verbunden. Das hat zum Beispiel das Forschungszentrum für familienbewusste Personalpolitik in einer repräsentativen Erhebung in tausend Unternehmen herausgefunden.

Harmonie zwischen Privatleben und Arbeit - dabei denken die meisten Chefs vor allem an die Vereinbarkeit von Karriere und Familienplanung, auf dem Gebiet ist in den letzten Jahren ganz schön viel passiert. Das Kunststück, die Karriere immer im Blick zu haben und trotzdem ordentlich zu feiern und die Freunde nicht zu vernachlässigen, muss man allerdings selbst auf die Reihe kriegen.

Außer einer Weihnachtsfeier, auf der die Belegschaft die Chance nutzt, sich hemmungslos auf Firmenkosten zu betrinken und nach der man sich verschämt ins Büro schleicht, tun Arbeitgeber in der Regel wenig, um das Sozialleben ihrer Mitarbeiter spannend zu machen. Modelle wie Teilzeitarbeit oder Sabbaticals, mit denen mehr Zeit fürs Private bleibt, sind nicht wirklich interessant, wenn man gerade erst loslegt.

Auf der nächsten Seite: Warum Blaumachen leider nur selten eine Option ist - und wie man sich fühlt, wenn man um vier Uhr morgens ins Bett getorkelt ist und um neun wieder am Schreibtisch sitzt.

Nur in Notfällen absagen

Was man braucht ist, leider, Disziplin. Ausgehen bis frühmorgens sollte man tatsächlich auf Freitag und Samstag beschränken - wer einmal um vier Uhr morgens ins Bett getorkelt ist und um neun wieder am Schreibtisch saß, weiß warum. Blaumachen ist, gerade für Berufsanfänger, keine Option. Verabredungen mit Freunden sollten immer genau so wichtig genommen werden wie berufliche Verpflichtungen. Also wirklich nur in Notfällen absagen und gut planen - oft zeichnet sich ab, an welchen Tagen es in der kommenden Woche stressig wird und wann man damit rechnen kann, früh aus dem Büro zu kommen.

Steht die Gründung einer eigenen Familie an, kann man auf die Unterstützung des Arbeitgebers und des Staates bauen. Die Bundesregierung fördert Projekte, die sich für die bessere Vereinbarkeit von Job und Familie einsetzen. Die Bertelsmann-Stiftung beispielsweise bildet demnächst in einem Pilotprojekt Mitarbeiter von mittelständischen Unternehmen zu "Work-Life-Koordinatoren" aus. "Im 21. Jahrhundert kann eine betrieblich garantierte Work-Life-Balance zum wichtigsten Arbeitsplatzfaktor und Anreiz für berufliche Mobilität werden", sagt der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski.

Teilzeit, Jobsharing, Telearbeit

Ganz konkret werden junge Familien von der Bundesregierung durch die gesetzlichen Regelungen zu Elterngeld und Elternzeit unterstützt - was man daraus macht, dafür ist man aber selbst verantwortlich. "Gerade in kleinen Firmen kann man nicht erwarten, dass der Chef von selbst Lösungen wie Jobsharing oder Telearbeit vorschlägt", sagt Gerlinde Grass. Sie berät im Auftrag des brandenburgischen Arbeitsministeriums Unternehmen und werdende Eltern. "Man sollte sich unbedingt erst mal selbst klar werden, wie man die nächsten drei Jahre, also die maximale Dauer der Elternzeit, gestalten will." Und dann möglichst bald ein Gespräch mit dem Chef suchen, falls der es nicht selber vorschlägt. Zuvor sollte man sich informiert und eigene Vorschläge parat haben, wie man die Rückkehr in den Job gerne gestalten würde. "In dem Gespräch kann man gezielt fragen, wie es mit Modellen wie Teilzeitarbeit, Jobsharing oder Telearbeit, also Arbeiten von zu Hause aus, aussieht."

Wer signalisiert, dass er während der Elternzeit an Weiterbildungen interessiert ist oder Urlaubsvertretungen übernehmen könnte, verliert nicht den Anschluss. "Man sollte darauf achten, dass der rote Karrierefaden nicht verlorengeht", sagt Frauke Greven, deren Kölner Agentur Firmen zur Work-Life-Balance berät. Gerade bei jungen Arbeitnehmern sei es wichtig, dass sie nach der Rückkehr aus der Elternzeit nicht bei Null anfangen, sondern in Kooperation mit der Firma dafür sorgen, da anknüpfen zu können, wo sie aufgehört haben.

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