Work-Life-Balance:Heute mach ich blau!

Lesezeit: 3 Min.

Überstunden, Druck vom Chef, nervige Kollegen? Es geht auch anders, sagt Markus Albers. Er hat ein Plädoyer gegen die Anwesenheitspflicht im Büro geschrieben.

Julia Bönisch

Markus Albers ist Politologe und Journalist. Er lebt als freier Autor in Berlin. Im Campus-Verlag ist gerade sein Buch "Morgen komm ich später rein. Für mehr Freiheit in der Festanstellung" erschienen. Darin wettert er gegen abgesessene Kernarbeitszeit und exzessive Überstunden und tritt für eine flexible und mobile Arbeitsauffassung ein.

Autor Markus Albers: "Wir alle kennen Drückeberger, die zwar zehn Stunden im Büro sind, aber trotzdem nichts wegschaffen." (Foto: Foto: Max Miller)

sueddeutsche.de: Herr Albers, Sie rufen nach dem Scheitern der New Economy nun die Easy Economy aus, in der Festangestellte zu "Freiangestellten" werden. Was steckt hinter diesen Schlagworten?

Markus Albers: Der Anklang an die New Economy ist ganz bewusst gewählt. Ich bin wie so viele andere in dieser Zeit sozialisiert worden. Damals hieß es, wir würden alle zu digitalen Nomaden werden, die nicht mehr auf ihr Büro angewiesen seien, sondern dank Internet von überall aus arbeiten könnten. Das klang toll - ist aber leider nie eingetreten. Auch ich bin jeden Tag weiterhin brav zur Arbeit gegangen und saß zehn Stunden an meinem Schreibtisch. Irgendwann habe ich mich aber gefragt: Was ist denn jetzt mit dieser vielversprechenden Vision? Wir können doch alle Geschäftsprozesse digitalisieren und brauchen das Büro nicht mehr.

sueddeutsche.de: Also eine Wiederbelebung von Telearbeit und Home Office? Wenn es damals schon nicht funktioniert hat, warum sollte das ausgerechnet heute klappen?

Albers: Weil in vielen Großunternehmen mittlerweile ein Umdenken eingesetzt hat. Nehmen Sie die amerikanische Kaufhauskette Best Buy: Dort haben die Manager nach einer Mitarbeiterbefragung in ihrer riesigen Verwaltungsabteilung herausgefunden, dass die Angestellten extrem unzufrieden sind und sich mehr Flexibilität wünschen. Daraufhin hat man die komplette Organisation umgestellt, heute arbeiten die Mitarbeiter ganz anders. Sie müssen nicht mehr ins Büro, können von zu Hause aus arbeiten und sind zeitlich komplett unabhängiger. Auch Meetings sind nur noch optional.

sueddeutsche.de: Und das funktioniert?

Albers: Hervorragend sogar. Die bessere Work-Life-Balance sorgt dafür, dass die Mitarbeiter viel motivierter sind. Außerdem arbeiten sie zu Hause viel intensiver, weil sie weniger von Mails, dem Telefon oder Kollegen gestört werden.

sueddeutsche.de: Nutzen Mitarbeiter diese Freiheit nicht aus?

Albers: Und sind faul? So denken Chefs auch - doch das Gegenteil ist der Fall. Zu Hause arbeitet man vielleicht weniger - aber nur deshalb, weil man konzentrierter ist. Der Wert einer Arbeit bemisst sich nicht daran, wie lange jemand dafür im Büro gesessen hat. Nur das Ergebnis ist wichtig. Wir alle kennen doch Drückeberger, die zwar zehn Stunden im Büro sind, aber trotzdem nichts wegschaffen - weil sie den ganzen Tag damit beschäftigt sind zu erzählen, wie viel sie zu tun haben. Solche Menschen werden bei der neuen Art zu arbeiten sofort enttarnt. Außerdem haben auch die Firmen Vorteile.

sueddeutsche.de: Welche?

Albers: Wie gesagt, die Mitarbeiter sind motivierter und produktiver. Außerdem ist dieses Entgegenkommen für Unternehmen ein wichtiges Recruitingargument. Talente zu binden wird in Zeiten des Fachkräftemangels immer wichtiger. Und die Firmen sparen viel Energie- und Immobilienkosten.

sueddeutsche.de: Das klingt nach willkommenen Sparmaßnahmen für Unternehmen - aber haben Mitarbeiter wirklich Vorteile? Manchmal ist es doch angenehm, ins Büro zu gehen: In Teamarbeit kommt man etwa auf bessere Ideen.

Albers: Das stimmt. Das Büro wird deshalb nicht komplett überflüssig, sondern bekommt eine andere Bedeutung: Es wird zum Treffpunkt und Kommunikationsort, an dem man gemeinsam über Ideen brütet, Arbeit aufteilt. Ist das erledigt, muss man aber nicht in die Zweierzelle mit Schreibtisch zurück, um die Aufgaben zu erledigen. Das kann man auch von zu Hause aus tun. Dort kann man sich die Freiheit nehmen, seine Kinder selber von der Schule abzuholen oder nachmittags Sport zu machen. Dafür arbeitet man vielleicht abends länger oder mal an einem regnerischen Sonntagnachmittag.

sueddeutsche.de: In welchen Berufen kann man sich diese Freiheit nehmen? Funktioniert das nicht bloß für eine kleine Elite?

Albers: Piloten, Lehrer oder etwa Automechaniker müssen natürlich auch in Zukunft an ihren Arbeitsplatz. Aber alle anderen, die morgens einen Computer anmachen und den ganzen Tag auf ihren Bildschirm starren, können sich zu solchen Freiangestellten machen. Immerhin arbeiten in Deutschland schon 50 Prozent aller Angestellten als solche Wissensarbeiter.

sueddeutsche.de: Ist das wirklich erstrebenswert? Wenn ein Angestellter von zu Hause aus arbeitet, verschwimmt die Grenze zwischen Beruf und Privatem immer mehr. Der Druck, auch abends um 22 Uhr noch mal seine E-Mails checken zu müssen oder am Wochenende ein Projekt fertigzustellen, nimmt zu.

Albers: Richtig, aber das ist der Preis für mehr Flexibilität. Da muss man als Angestellter lernen, Grenzen zu ziehen. Viele Firmen erwarten von ihren Mitarbeitern heute schon, dass sie auch in ihrer Freizeit zur Verfügung stehen, also sollten wir das Beste daraus machen.

sueddeutsche.de: Und wie überzeuge ich meinen Chef davon, dass ich künftig zwei oder drei Tage von zu Hause aus arbeite?

Albers: Zählen Sie ihm die Pluspunkte für sein Unternehmen auf. Und erklären Sie ihm, dass er auch was davon hat: Wenn er mehr Flexibilität zulässt, muss er selbst auch nicht mehr zehn Stunden am Tag im Büro anwesend sein.

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