Wissenschaftlicher Nachwuchs:Ausgebeutete Elite

Ein Job an der Universität bedeutet viel Arbeit, schlechte Bezahlung und ständige Unsicherheit. Warum begehrt der wissenschaftliche Nachwuchs nicht auf?

Wenn derzeit Beschäftigte verschiedenster Berufe für höhere Gehälter trommeln, bleibt eine Stimme leise: Die der bundesweit rund 120.000 wissenschaftlichen Mitarbeiter von Hochschulen. Dabei hätten sie allen Grund aufzustehen und sich zu beschweren, sagte der Soziologe Matthias Neis, der die Situation von Nachwuchsforschern untersucht. "Bis zum Erreichen einer Professur ist das Leben eines Wissenschaftlers in Deutschland geprägt von viel Arbeit, schlechter Bezahlung und ständiger Unsicherheit."

Wissenschaftlicher Nachwuchs: Wissenschaftlicher Nachwuchs: Mehr als 75 Prozent der Nachwuchswissenschaftler sind befristet beschäftigt.

Wissenschaftlicher Nachwuchs: Mehr als 75 Prozent der Nachwuchswissenschaftler sind befristet beschäftigt.

(Foto: Foto: ap)

Mehr als 75 Prozent der Nachwuchswissenschaftler sind befristet beschäftigt ­ meistens für ein bis zwei Jahre. Seit Jahren steigt ihre Zahl rasant, die der Stellen aber nur sehr langsam. Besonders betroffen sind die Geistes- und Sozialwissenschaften. "Die Wissenschaftler werden hier meistens für eine halbe Stelle bezahlt und arbeiten de facto 40 bis 60 Stunden in der Woche."

Mit Mitte 40 noch Nachwuchs

Doch die schlechte Bezahlung ist für die hochmotivierten Forscher gar nicht das Problem. Als belastend wird die Unsicherheit empfunden, zeigen Studien über den wissenschaftlichen Nachwuchs, der erst mit der Berufung zum Professor kein Nachwuchs mehr ist. Wissenschaftler in Deutschland sein heißt demnach: Bis Mitte 40 ist unklar, ob man eine der begehrten Professorenstellen ergattern und damit langfristig in der Wissenschaft bleiben kann. Bei der momentanen Anzahl an Lehrstühlen bietet sich die Perspektive nur jedem dritten Forscher.

"Ich habe mir abgewöhnt, langfristig zu denken", sagte eine Betroffene an einer großen deutschen Hochschule, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Seit ihrem Abschluss vor mehr als zehn Jahren hangelt sich die 40 Jahre alte promovierte Sozialwissenschaftlerin von einer befristeten Stelle zur nächsten.

Ihre aktuelle Stelle läuft im Juli aus. Ihr Mann ist ebenfalls Wissenschaftler. Was passiert, wenn langfristig beide keine Professur bekommen? "Wir werden sehen." Möglichst gut lehren, möglichst exzellent forschen, möglichst international veröffentlichen, Organisations- und Verwaltungsaufgaben übernehmen und - quasi nebenher - promovieren oder habilitieren, so sieht der Alltag vieler junger Wissenschaftler aus.

Auf der nächsten Seite: Wie die Mitarbeiter im Mittelbau strategisch ausgenutzt werden.

Hohe Motivation - und große Konkurrenz

Niemand beschwert sich

"Viele der Zusatzaufgaben, die mit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master sowie mit der Exzellenzinitiative auf die Universitäten zugekommen sind, wurden auf den akademischen Mittelbau abgewälzt", erklärt Neis. Der Druck werde permanent erhöht, die Aufgaben ständig ausgeweitet: "Die Mitarbeiter im Mittelbau werden strategisch ausgenutzt. Anders würde bei der momentanen finanziellen Ausstattung das gesamte System zusammenbrechen." Beschweren tut sich dennoch kaum einer, denn die Motivation des wissenschaftlichen Nachwuchses ist hoch, genau wie die Konkurrenz.

Der Wille und die Zeit zum Protest fehlen, sagen viele. Und klar ist auch: Mit der aktuellen Tarifrunde und mehr Gehalt kann das Grundproblem zu weniger Stellen nicht gelöst werden.

Hoher Druck

Soziologe Neis sieht dringend Handlungsbedarf: "Lehre und Forschung haben sich schon verschlechtert und werden noch drastisch schlechter werden, wenn der Druck so hoch bleibt."

Für die direkt Betroffenen, die Studenten, scheint sich das Problem dagegen noch nicht zu stellen ­ wie Demonstranten in Jena jetzt am eigenen Leib erfahren konnten. Während sie versuchten, bei einer Protestveranstaltung etwa zehn Minuten lang die Mensa zu blockieren, verschafften sich hungrige Studenten mit Fäusten Zutritt.

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