Wissenschaftliche Plagiate:Wenn Professoren kopieren

Nicht nur Hausarbeiten von Studenten, auch Werke von Professoren werden beanstandet.

Hermann Horstkotte

Das war zuviel für einen aufstrebenden Mitarbeiter des Darmstädter Rechtsprofessors Axel Wirth: Lehrveranstaltungen abhalten, endlich mit der eigenen Doktorarbeit fertig werden und noch an einem Kommentar des Chefs zum Bürgerlichen Gesetzbuch mitschreiben. Unter Zeitdruck geriet dieser Kommentar stellenweise zu einer Kopie aus dem "Palandt", einem nicht angegebenen Standardwerk. Der Verlag nahm die Neuerscheinung von 2006 aus dem Handel. Und nun hat auch die Uni Darmstadt ihre Untersuchungen wegen "wissenschaftlichen Fehlverhaltens" beendet. Der amtierende Rektor "rügte" den Professor und seinen Schreibgehilfen, wie Uni-Sprecher Jörg Feuck auf Nachfrage bestätigt. Die Rüge bleibt unterhalb der disziplinarrechtlichen Schwelle.

Wissenschaftliche Plagiate: Wenn Professoren kopieren

Zitat in Anführungszeichen oder Pauschalhinweis: Die Zitiernormen unterscheiden sich nach Fächern.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Die Beanstandung hinter verschlossenen Türen bezieht sich beim Lehrstuhlinhaber auf einen "organisatorischen" Fehler, so Feuck: Der Professor ist angeblich auf Vorarbeiten und Textentwürfe seines Schülers hereingefallen, der abgeschrieben statt selbständig kommentiert habe. Der Dienstvertrag des Zuarbeiters läuft im Herbst aus und wird nicht verlängert. Auch seine Doktorarbeit kann er bei Wirth nicht mehr abschließen.

Genau genommen stehen Wirth und sein Schreibgehilfe als Autorenpaar für 27 von mehr als hundert Kommentarseiten gerade. Die meisten Beanstandungen finden sich laut Verlag aber in den von Wirth allein verantworteten Abschnitten. Macht nichts: Dass der Professor die fehlerhafte Schüler-Arbeit unter eigenem Namen verwendete, ist laut Staatsanwaltschaft Darmstadt kein Betrug. Trotz der Strafanzeige eines Lesers lehnte sie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab. Begründung: "Es ist allgemeiner Usus, dass Professoren Mitarbeiter beauftragen, für sie Artikel zu schreiben und selbst Kommentarpassagen zu entwerfen, die dann in ihrem Namen veröffentlicht werden."

Der Abschreiber und sein Chef sind mit einer Schramme davon gekommen. Je nach Umfang der Textkopien kann es auch anders ausgehen. Einem Berufsschullehrer kostete seine plagiierte Doktorarbeit an der Uni Tübingen außer dem Titel 2006 einen gerichtlichen Strafbefehl von neunzig Tagessätzen, also drei Monatsgehälter. Der Pädagoge ist nun vorbestraft. "Wir haben die Urheberrechtsverletzung im öffentlichen Interesse verfolgt", stellt der Stuttgarter Pressestaatsanwalt Walter Vollmer fest, also ohne dass jemand persönlich auf geistigen Diebstahl geklagt hätte. Auch dienstrechtlich blieb die Sache nicht folgenlos. Der zuständige Regierungspräsident spricht von einer "angemessenen Maßnahme" gegen den Lehrer, das ist mindestens eine Ermahnung. Zudem muss der Abschreiber auf seine Lehrbefugnis im Fach Religion verzichten, weil die Kirche ihn nicht mehr als Vorbild für die Schüler sehen will.

Wenn Professoren kopieren

Eine Urheberrechtsverletzung ist kein Kavaliersdelikt, wenngleich unterschiedlich anstoßerregend. Nicht jede Textanlehnung ohne Quellenverweis gilt als Plagiat. Selbst eine wortwörtliche Übernahme muss für sich betrachtet im Original als eine individuelle geistige Schöpfung, als eine Art eigenes Werk im Werk erscheinen, wie etwa das Oberlandesgericht Hamburg feststellt (5 U 144/03). In so einem Fall muss der Dieb Schadenersatz leisten.

Freilich sind Urheberrecht und Plagiat nicht das einzige Kriterium für die richtige oder unzulässige Benutzung fremder Texte. Abgesehen von diesem juristischen Warentest gelten an Unis bestimmte Zitiergewohnheiten. Sie gehören zu grundlegenden Maßstäben wissenschaftlichen Arbeitens, stellte jüngst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof klar und erkannte einen aus dunklen Quellen gespeisten "Dr. jur." ab.

Wer hat recht?

Die Zitiernormen sind unter den Fächerkulturen aber verschieden, zumal zwischen Geisteswissenschaftlern, die Bücher aus Büchern schreiben, und Naturwissenschaftlern, die von Experimenten berichten. Während Germanisten oder Philosophen im "gelehrten Apparat" (gern) jedes Zitat in Anführungsstrichen, mit Autorennamen, Titel und Seitenzahl kennzeichnen, kann beispielsweise in einer atomwissenschaftlichen Abhandlung für einen längeren Abschnitt mit wörtlichen Übernahmen oder angelehnten Formulierungen ein Pauschalhinweis auf den Erstautor genügen. Das gilt zumal, so der Heidelberger Physikprofessor H.-Jürgen Kluge, für Überblicksdarstellungen.

Wie strittig gute wissenschaftliche Praxis im Einzelfall werden kann, zeigt gegenwärtig eine Auseinandersetzung in der Berliner Humboldt-Universität um die neue "Methodenlehre" des Rechtsprofessors Hans-Peter Schwintowski. In dem Buch sind nicht alle wörtlichen Übernahmen als Zitate gekennzeichnet, die Quellen aber mit einem Pauschalhinweis an jedem Kapitelende angegeben. Die Kommission zur Überprüfung wissenschaftlichen Fehlverhaltens an der HU hat den Autor vom Plagiatsverdacht freigesprochen.

Hingegen kritisiert Uni-Präsident Christoph Markschies: " Ein solcher Umgang mit den Methoden einer Disziplin und dem geistigen Eigentum anderer ist an einer Universität schlechterdings nicht akzeptabel." Demgegenüber unterscheidet Schwintowski in einer öffentlichen Erklärung von diesem Wochenende zwischen unterschiedlichen "Anforderungen an die Zitiertechnik" in wissenschaftlichen Qualifikationsschriften von "Studien- oder Magisterarbeiten" bis zur Dissertation und Habilitationsschrift einerseits und in "populärwissenschaftlichen" Büchern wie seiner "Methodenlehre" für Anfänger andererseits. Durch diese Unterscheidung ändere sich für die HU-Leitung "nichts, aber auch gar nichts", so Markschies zur SZ. Er will das umstrittene Buch jetzt erneut und zur Gänze nach angeblichen Zitierfehlern absuchen lassen und dann möglicherweise (dienst-)rechtlich reagieren.

Nicht überall gelingt die Problemlösung so geräuschlos wie in Darmstadt.

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