Wissenschaftliche Aufsätze:Ein bisschen Englisch reicht nicht

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Die deutsche Wissenschaft droht in Unbedeutsamkeit zu versinken - weil die Forscher meinen, sie müssten alle Aufsätze auf Englisch schreiben. Dumm nur, dass sie die Sprache nicht richtig können.

B. Müller

Sokrates galt als der Weiseste der Menschen. Nicht weil er etwas gewusst hätte, sondern weil er wusste, dass er nichts wusste. Während seine Mitbürger sich in der falschen Sicherheit ihrer Meinungen wiegten, führte er ihnen vor Augen, dass diese der Prüfung nicht standhielten, entzog ihnen den Boden unter den Füßen und jagte ihnen damit einen gehörigen Schreck ein.

Britische Fans bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen

Deutsche Wissenschaftler denken, sie sprechen Englisch wie ihre Muttersprache. Der Eindruck täuscht.

(Foto: AFP)

Auf ähnliche Art wie die alten Athener meinen viele deutsche Wissenschaftler, es ließe sich dem Universalitäts-Gebot ihrer Fächer Genüge tun, indem man "Englisch kann". In der Praxis bedeutet dies für sie, dass sie durch Auslandsaufenthalte und Umgang mit native speakers sich eine möglichst automatische Geläufigkeit in der anderen Sprache aneignen, um idealerweise gar nicht mehr nachdenken zu müssen, wie es "richtig" heiße, sondern es einfach zu fühlen. Bedeutet nicht "bread" Brot, "to live" leben und "because" weil? Wo sollte hier, wenn man das weiß, noch eine Schwierigkeit liegen?

Nichts führt indes mehr in die Irre als speziell diese letzte Annahme, dass "weil" und "because" identisch wären, bloß weil das Lexikon es so angibt. Hundertfünfzig Seiten Text und ungezählte Einzelanalysen wendet die Habilitationsschrift des Linguisten Winfried Thielmann auf ("Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich: Hinführen - Verknüpfen - Benennen". Synchron Verlag, Heidelberg 2010), um es unzweifelhaft zu machen: Jeder Deutsche, der "because" so unbefangen verwendet, wie er es von seinem heimischen "weil" gewohnt ist, wird bei einem angelsächsischen Publikum auf das blanke Unverständnis stoßen.

Denn es sind sehr verschiedene Arten von "Gründen", die nach dieser unscheinbaren Vokabel angeführt zu werden pflegen. Deutsche Autoren entfalten an dieser Stelle mit Vorliebe die Logik eines Begriffs, während englische Überzeugungsarbeit leisten und ein Plädoyer halten. Hier macht sich machtvoll die "eristische" Tradition der angelsächsischen Wissenschaft bemerkbar, der Hang, die Dinge durch den formalisierten Streit vor dem Gerichtshof der community zu klären. Heißt es "because", darf man sich darauf gefasst machen, nunmehr die unterstellten Motive des Gegners zu hören.

So reicht schon ein einziges Wörtlein, um die grundlegende Differenz zweier Wissenskulturen vorzuführen, die sich bisher allzuschnell verständigt wähnen und sich wundern, wenn sie sich dann doch missverstanden haben. Nur mit großer Geduld und Zähigkeit lässt sich der Sachverhalt, der zur Ungreifbarkeit tendiert, im Einzelnen beweisen und benennen. Aber es kommen wichtige Einzelbefunde dabei heraus: Englische Einleitungen verfahren in der Themenfokussierung linear, deutsche in blockhaften Sprüngen. Das können deutsche Arbeiten sich leisten, solang sie zu deutschen Lesern sprechen, denn hier kommt ihnen ein starkes nationales "Musterwissen" zu Hilfe, wie eine Einleitung sich zu gliedern habe; so stark ist dieses Wissen in der Tat, dass es keinem mehr auffällt.

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