Süddeutsche Zeitung

Wissenschaftler von morgen:Schneller als die anderen

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Die Junior-Akademien der Bundesländer bringen leistungsstarke und hochmotivierte Schüler zusammen und helfen ihnen, mit ihrem Talent umzugehen.

Von Miriam Hoffmeyer

Die mehr als einen Meter hohe Maschine aus Edelstahl thront auf einem Tisch. An beiden Seiten zylinderförmige Verdampfer, oben ein Kondensator, hinten ein Schaltschrank, unten eine Box für die Flaschen, die gekühlt werden sollen. Die Vakuumpumpe läuft: Gleich wird sich zum ersten Mal zeigen, ob die Kältemaschine tatsächlich funktioniert. Die Teenager, die sie entworfen und gebaut haben, sind in euphorischer Stimmung - und zugleich höchst konzentriert: Während im Vakuum bei Raumtemperatur Wasser verdampft, der Dampf sich an den Feststoff Zeolith anlagert und der Umgebung Wärme entzogen wird, verschönert ein Team die Animation der gemeinsamen Abschlusspräsentation. Ein Junge schließt einen selbst programmierten Mikrocontroller, der Messwerte in Echtzeit überträgt, an die Maschine an. Flansche und passgenau gesägte Styroporplatten zeugen von Präzisionsarbeit nicht nur im Labor, sondern auch in der Werkstatt. "Heute Morgen war noch nichts richtig dicht", sagt Protokollführerin Saskia Freitag, eine Schülerin aus Heidelberg. "Wir haben alles noch mal auseinandergenommen, gereinigt und wieder zusammengeschraubt, dann hatten wir endlich das Vakuum. Wir sind alle wie wild durchs Labor getanzt!"

Die 13- bis 15-Jährigen, die zwei Wochen ihrer Sommerferien an der Junior-Akademie Adelsheim nahe Heilbronn verbringen, sind außergewöhnlich begabt und leistungsbereit. Jedes Jahr haben alle Gymnasien und Realschulen in Baden-Württemberg bis Mitte Februar die Möglichkeit, eine Schülerin oder einen Schüler aus der achten oder neunten Klasse für die Akademie zu empfehlen. Auf die je 36 Plätze für Jungen und Mädchen kommen in der Regel etwa doppelt so viele Bewerbungen. Der Tagesablauf ist straff durchorganisiert: Die Vormittage und Nachmittage verbringen die Teenager in ihrem Kurs, mittags und abends stehen Sport, Theaterproben, Musizieren, Tanzen und andere Aktivitäten auf dem Programm. Für diesen Abend ist ein kleines Konzert geplant, auch Saskia wird auf ihrer Geige mitspielen. Zum Herumhängen ist absolut keine Zeit. Trotzdem wirken alle Jugendlichen auf dem Gelände gelöst. "Ich hatte in den zwei Wochen nichts anderes vor, und die Akademie klang nach einer tollen Aktion", sagt Saskia vergnügt, während sie das Versuchsprotokoll für den Dichtigkeitstest ausfüllt: "Wir haben ein halbes Millibar verloren, na, ein halbes macht ja nichts." Die Maschine, die viel weniger Energie verbraucht als ein herkömmlicher Kühlschrank, kühlt tadellos.

Jeden Sommer stehen an der Junior-Akademie Adelsheim sechs Kurse aus unterschiedlichen Fachbereichen zur Auswahl, deren Inhalte weit über den Schulstoff hinausgehen. 2019 gab es neben Kursen in Mathematik, Philosophie, Biologie/Pharmazie, Astronomie und Informatik auch den sogenannten Theo-Prax-Kurs, für den sich Saskia entschieden hat. Die Kältemaschine hat die Gruppe im Auftrag des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie (ICT) entwickelt, sie soll nachgebaut und als Demonstrationsobjekt auf Messen eingesetzt werden. Ganz nebenbei haben die Schüler dadurch die in Unternehmen und Organisationen übliche Projektarbeit kennengelernt: Je ein Team beschäftigte sich mit Vakuum- und Adsorptionstechnik, das dritte kümmerte sich um Messtechnik und Präsentation. "Es war toll, wie selbstverständlich und professionell die Teams zusammengearbeitet haben", sagt Kursleiter Matthias Ernst, selbst ehemaliger Junior-Akademie-Teilnehmer, der nun am ICT seine Masterarbeit in Chemieingenieurwesen schreibt. Alle Kurse leiten Zweierteams aus Lehrern, Wissenschaftlern oder Studenten.

Leistungsstarke nehmen sich in der Schule oft zurück, denn sie wollen so sein wie ihre Freunde

Da die Akademie auf einem Gelände stattfindet, auf dem neben einem Gymnasium und früheren Internat auch das baden-württembergische Landesschulzentrum für Umwelterziehung angesiedelt ist, können Kursleiter und Schüler technisch aus dem Vollen schöpfen. In der Mittagspause röstet sich ein Grüppchen am Rand des Sportplatzes mal eben ein paar Marshmallows auf einem Solarkocher. Der Astronomiekurs hat reichlich Platz für seine Mondkarten und -globen, Spiegel- und Linsenteleskop sowie selbstgebaute Modelle. Mit einem Sandkasten und einer Metallkugel demonstrieren die Schüler, wie bei der Kraterbildung nach einem Meteoriteneinschlag der typische strahlenförmige Auswurf entsteht. Auch eine Modell-Feststoffrakete mit daran befestigter Kamera haben sie vor ein paar Tagen gestartet. "Leider ist die Rakete in einem Baum gelandet, und wir mussten sie mit der Astsäge retten", erzählt Jessica Czech, die später auf jeden Fall Physik studieren will. An der Tafel stehen trigonometrische Berechnungen, mit denen die Gruppe anhand der Kameraaufnahmen und einer Satellitenkarte die maximale Höhe der Raketenbahn zu ermitteln versuchte. "Das Ergebnis von 700 Metern ist stark übertrieben, denn die Unebenheit des Geländes und die Schräglage der Rakete konnten nicht in die Rechnung einbezogen werden", erklärt Kursleiter Dominik Elsässer, Astroteilchenphysiker an der Universität Dortmund. "Aber genau das ist Wissenschaft: Man trifft eine Bewertung aufgrund von begründeten Annahmen und kennt auch mögliche Fehlerquellen."

Die ersten Junior-Akademien fanden 2003 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland statt, inzwischen bieten zahlreiche westdeutsche Bundesländer solche Ferienkurse für Hochbegabte an. Koordiniert werden sie vom Verein Bildung und Begabung in Bonn, einer Initiative des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Vorbild war die schon 1988 eingerichtete "Deutsche Schüler-Akademie" für Oberstufenschüler. Bundesweit nahmen 2019 circa 830 hochbegabte Jugendliche an den Junior-Akademien teil und etwa tausend an den Programmen der Deutschen Schüler-Akademie. Trotz ihrer kurzen Dauer seien die Kurse eine große Bereicherung für die Teilnehmer, meint die Psychologin und Begabungsforscherin Tanja Baudson: "Die wenigsten Schulen haben spezielle Angebote für besonders begabte Schüler, schon weil es an Ressourcen dafür fehlt. Hochbegabte brauchen aber schwere Aufgaben und die Erfahrung, sich auch mal besonders anstrengen zu müssen." Mindestens ebenso wichtig sei das Erlebnis, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein - gerade in der Pubertät, in der bekanntlich eine "eher leistungsfeindliche Attitüde" zur Abgrenzung von den Erwachsenen diene, erklärt Baudson: "Sehr leistungsstarke Jugendliche geraten dadurch unter Druck, die eigene Leistungsfähigkeit zu verleugnen, denn natürlich wollen sie genauso sein wie ihre Freunde. In den Junior-Akademien sehen sie, dass es Jugendliche gibt, die genauso ticken wie sie selbst. Danach gehen viele mit der eigenen Leistungsstärke entspannter um." Eine Studie der Universität Trier, für die 2017 circa 180 Teilnehmer einer Junior-Akademie befragt wurden, bestätigt das: Die Schüler hatten nach den 16 Akademie-Tagen ein signifikant positiveres Selbstbild und bessere Kontakte zu Gleichaltrigen.

Die Teilnehmer saugen den Stoff eines Schuljahres innerhalb von ungefähr zwei Wochen auf

Viele langjährige Freundschaften seien hier schon entstanden, sagt der Leiter der Junior-Akademie Adelsheim, der Heidelberger Gymnasiallehrer Jörg Richter: "Außergewöhnlich begabte junge Menschen empfinden häufig einen Mangel, auch wenn sie viele Freunde haben. Hier wird niemand komisch angeguckt wegen seiner Interessen - das ist für viele eine einschneidende Erfahrung." So können sich Matheliebhaber im Kurs "Magie? Keine Zauberei" anhand von Kartentricks mit mathematischem Hintergrund ihrer Leidenschaft für vollständige Induktion und Kombinatorik hingeben. Es wird viel gelacht. Der Stoff entspricht etwa dem, den die Kursleiterin Birgit Schillinger sonst innerhalb eines Jahres in ihrem Mathe-Vertiefungskurs in der Oberstufe durchnimmt. "Es ist für mich als Lehrerin ganz toll, so hoch motivierte Schüler zu unterrichten", schwärmt sie. "Das Tempo ist hier ganz anders als in der Schule. Gleichzeitig sind alle wirklich an den Themen interessiert", fasst der Schüler Lennart Holland aus Ochsenhausen seine Zeit an der Junior-Akademie Adelsheim zusammen. "Dadurch ist es ganz entspannt und lustig!"

Nähere Informationen zu Terminen und Konditionen für die jeweiligen Bundesländer finden sich online unter www.deutsche-juniorakademien.de.

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SZ vom 24.01.2020
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