Wissenschaftler in den Medien:Zwischen Medienstar und Dünnbrettbohrer

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Schuldenkrise, Atomkatastrophe, Plagiate - Wissenschaftler sind in Funk und Fernsehen so gefragt wie nie. Viele Forscher wollen ihr Wissen öffentlich weitergeben. Doch damit können sie ihren Ruf gefährden.

Beatrice Dernbach

Halb zieht es sie, halb sinken sie hin. Was ist es, das Wissenschaftler in die Medien treibt, wo mancher wie einst Goethes Angler, vom "feuchten Weib" seiner Sinne beraubt, in den Fluten versinkt? Johann Wolfgang von Goethe wusste bereits, wie er öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, um an fette Pfründe zu gelangen. Waren es in seinem Fall unter anderem Auftragsgedichte für die Herzogin, so müssen moderne Dichter und Denker in der Mediengesellschaft schon andere Instrumente einsetzen.

Die Journalisten ziehen an den Forschern, denn es gibt derzeit so viele Fragen an sie wie selten zuvor: zu Atomkatastrophen, zu Rezepten gegen die Schuldenkrise oder - wie jüngst im Fall Annette Schavan - zur Einschätzung von Plagiatsvorwürfen. Hinzu kommt der Rechtfertigungsdruck. Die Wissenschaftler haben zu legitimieren, wofür sie viele Millionen Euro ausgeben, und sie haben dies möglichst öffentlich zu tun.

Schon Ende der 1990er Jahre hat die Kampagne "Public Understanding of Sciences" den Bürgern das Recht zugewiesen, zu erfahren und zu verstehen, was Wissenschaft treibt. Genügte im 19. Jahrhundert die Idee eines Alexander von Humboldt, öffentlich und für jedermann Vorträge zu halten, so müssen moderne Forscher vor Kameras und Mikrofonen präsent sein und in 1:30 Minuten erklären können, was eine Atomkernschmelze ist.

Manche Forscher sinken da gerne hin. 130 bis 160 Aktivitäten pro Jahr für Hörfunk- und Fernsehsendungen, in Form von Interviews und selbst geschriebenen Texten für Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine gehören für den Kriminologen und Juristen Christian Pfeiffer selbstverständlich zum Alltag des Instituts-Direktors. So wie Pfeiffer haben auch der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel, der Münchner Historiker Michael Wolffsohn und andere häufig in den Medien anzutreffende Wissenschaftler die wichtigsten journalistischen Regeln verinnerlicht: zuspitzen, vielleicht auch provozieren, auf jeden Fall kurz und knackig komplexe Phänomene erklären. Wenn das auch noch unterhaltsam ist, wird jemand wie der Forensiker Mark Benecke schnell zum "Medienstar" gekürt.

Ist das von Vorteil für die akademische Laufbahn? Der Politikwissenschaftler Peter Lösche hat persönlich erfahren, dass die Wissenschaftsszene auf häufige Medienauftritte zurückhaltend bis ablehnend reagiert. Als "Dünnbrettbohrer" ist er bisweilen bezeichnet worden. Auch der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg erinnert sich an Bemerkungen wie: "Da ist ja der Weischenberg, bekannt aus Funk, Fernsehen und Kasperltheater."

Warum also zieht es Wissenschaftler in die Massenmedien? Des Geldes wegen? Wohl kaum, denn eine Aufwandsentschädigung von ein paar hundert Euro macht niemanden reich. Des Lobes und der Ehre willen? Das ist noch immer zweischneidig, denn Erfolg bei Journalisten bedeutet noch lange nicht Reputationsgewinn in den eigenen Reihen. Aus Gesprächen und Studien heraus sind zwei zentrale Motive der Forscher erkennbar: Sie fühlen sich gegenüber der Öffentlichkeit verpflichtet, die ein Recht auf Erkenntnis, Orientierung und Problemlösungen habe; es ist aber auch der innere Antrieb, für das, was einen selbst fasziniert, auch andere zu begeistern.

Seine Grenzen findet der Drang ins Rampenlicht, wenn Aufwand und Ertrag in krassem Widerspruch stehen. Wenn halbe Tage dafür verloren gehen, um Kamera, Licht und Mikrofon aufzubauen und am Ende ein 30-Sekunden-Ausschnitt aus dem langen Interview gesendet wird. Oder wenn Journalisten zum vereinbarten Termin kommen und als Erstes hilflos fragen: "Erklären Sie doch bitte erst einmal, was Sie so machen!" Da fühlt sich ein Wissenschaftler nicht ernst genommen.

Und schlimmer noch: Ihm fehlt diese Zeit, um zu forschen. Auch deshalb empfehlen viele der älteren, akademisch wie medial erfahrenen Wissenschaftler: Der Nachwuchs sollte erst einmal die Saat im akademischen Feld aussäen, um später die Früchte ernten und diese Ernte auch öffentlich präsentieren zu können; und dies in bewusst selektierten, seriösen Programmen.

Aber auch das ist nicht immer befriedigend: Rudolf Hickel und Michael Wolffsohn, die mit ihren Thesen provozieren und polarisieren, haben unerfreuliche Wirkungen der Medienpräsenz erfahren. Beleidigungen in der Öffentlichkeit bis hin zu Gewaltdrohungen sind seltene, aber eindrückliche Erlebnisse, die kein gutes Licht auf das Pflichtbewusstsein mancher Bürger werfen. Denn sie haben nicht nur das Recht darauf, vom Wissenschaftler zu erfahren, was der mit 'ihrem Geld' treibt, sondern auch die Pflicht, ihn mit Respekt zu behandeln und sich mit seinen Erkenntnissen sachlich auseinanderzusetzen.

Der Wissenschaftler von heute (und die Wissenschaftlerin natürlich auch) ist idealerweise ein Multitalent: Er muss erfolgreich forschen zu spannenden Themen, die medial attraktiv und gut umzusetzen sind. Er muss seine Erkenntnisse möglichst verständlich und unterhaltsam darbieten. Er sollte ein dickes Fell mitbringen und die Unterhalterqualitäten eines Moderators. Dabei hat er einen großen Vorteil: Mit den Studenten sitzt ihm bereits ein Publikum gegenüber, an dessen Reaktionen er viel lernen kann.

© SZ vom 14.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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