Süddeutsche Zeitung

Wissenschaft: Karriere ins Ungewisse:Doktortitel - und dann?

Die Promotion ist geschafft, doch der Weg zur Professur beschwerlich. Nur wenige junge Wissenschaftler ergattern wirklich eine Stelle. Ihnen fehlt die berufliche Perspektive - und Freiraum im Privatleben.

Johann Osel

Ja, natürlich liebe sie ihren Job, aber das Risiko sei ihr zu hoch - das Risiko, "nach jahrelangem Durchschlagen auf befristeten Stellen und einem gewissen Berufsnomadentum" doch mit leeren Händen dazustehen. Dies sagt eine junge Naturwissenschaftlerin, Post-Doktorandin an einer Universität. Sie weiß, dass der Weg zu einer Professur in Deutschland kaum planbar ist. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie "Wissenschaftliche Karrieren" des HIS-Instituts für Hochschulforschung im Auftrag des Bundesbildungsministeriums. Für die Untersuchung, die an diesem Montag erscheint und der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wurden mehr als 1000 Nachwuchsforscher an Hochschulen und außeruniversitären Instituten befragt.

"Wer sich heute in Deutschland für eine wissenschaftliche Karriere entscheidet, wählt häufig einen riskanten und entbehrungsreichen beruflichen Weg", schreiben die Autoren. Projektarbeit und befristete Arbeitsverträge sind die Regel. Dies ist zwar mit dem restlichen Arbeitsmarkt vergleichbar, doch zieht sich die Unsicherheit in der Wissenschaft besonders lange hin. Für eine Forscherkarriere gibt es fast nur die Professur als Ziel - zumal es im deutschen Hochschulsystem wenige andere feste Stellen im Mittelbau gibt.

Wegen der begrenzten Zahl von Lehrstühlen kann nur ein kleiner Teil der Nachwuchswissenschaftler mit einer Professorenstelle rechnen. Viele Forscher können jedoch erst zu einem späten Karrierezeitpunkt erkennen, dass sich ihnen in der Wissenschaft keine zuverlässige Perspektive bietet. Denn bei der Habilitation - die trotz steigender Zahl von Juniorprofessuren noch immer der übliche Weg ist - sind sie oft schon 40 Jahre oder älter. Als "Alles-oder-nichts-Spiel" ist die akademische Laufbahn daher verschrien.

Der Großteil der Befragten ist befristet beschäftigt; in der Regel auf ein bis drei Jahre, doch gibt es auch kürzere Vertragslaufzeiten. Darüber herrscht Unmut: Nur 15 Prozent der Befragten an den Universitäten bewerten die Planbarkeit ihrer Karriere positiv, nur 20 sehen gute Aufstiegschancen. Das liegt auch am Unterschied zwischen Deutschland und vielen Nachbarländern: Einerseits promovieren hierzulande viele Absolventen nach dem Studium - durchschnittlich 14,2 Prozent.

Andererseits gibt es in Deutschland besonders wenige dauerhafte wissenschaftliche Stellen unterhalb der Professur, beispielsweise für Personen, die eher unterrichten statt forschen. Der Akademische Rat im Höheren Dienst ist ein Auslaufmodell, in den Niederlanden, Schweden oder Frankreich sind unbefristete Dozentenstellen ohne Professorentitel dagegen noch üblich. Chancen bieten sich in anderen Ländern zudem durch den "Tenure-Track": befristete Stellen mit Option auf eine feste Anstellung auf Lebenszeit. In Deutschland setzt die Ausschreibung von Tenure-Track-Stellen erst allmählich ein.

Die Studie nennt negative Folgen der unsicheren Verträge auf das Familienleben: Forscherinnen schieben den Kinderwunsch hinaus. Während 22 Prozent der befragten Männer Väter sind, sind nur 15 Prozent der Frauen Mütter. Somit bestätigen sich Befunde früherer Studien - "Frau Dr. Kinderlos" ist mittlerweile schon ein geflügeltes Wort.

Begeistert aber arm

Trotz aller Hürden sieht die Mehrheit der Befragten im Beruf des Wissenschaftlers ein attraktives Ziel. Ausschlaggebend sind die Begeisterung für die fachliche Materie und die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Forschung. "Viele sind bereit, sich die Freiheiten der wissenschaftlichen Tätigkeit durch ein deutlich geringeres Gehalt als in der Wirtschaft zu erkaufen", sagte eine Doktorandin bei der Befragung - wenn da nicht die Befristungen wären.

"Es ist eine gute Nachricht, dass viele Wissenschaftler mit ihrer Arbeit zufrieden sind", bewertet ein Sprecher des Bildungsministeriums die Studie. "Die Ergebnisse zeigen aber auch: Für die Nachwuchswissenschaftler sind klare Berufsperspektiven wichtig. Die Hochschulen müssen sich anstrengen, um auch in Zeiten des Fachkräftemangels für die besten Köpfe attraktiv zu bleiben." Bessere Laufbahn-Bedingungen werten die Autoren als "Herausforderung für die zukünftige Wissenschaftspolitik, aber auch für die Hochschulen".

Erst kürzlich hatte die Bildungsgewerkschaft GEW in ihrem "Templiner Manifest" berechenbare Karrierewege und bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft gefordert. "Hochschulen und Forschungseinrichtungen wollen exzellent sein, von ihren Beschäftigten erwarten sie exzellente Leistungen", sagt GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller. Aber die Gegenleistung bleibe aus. Die Arbeitgeber würden weder faire Beschäftigungsbedingungen bieten, noch eine verlässliche Perspektive.

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SZ vom 29.11.2010/holz
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