Wissen zur Digitalisierung:Masse oder Klasse?

Vom Ein-Tages-Kurs über Zertifikats-Lehrgänge bis hin zum Master-Studium: Zum Trendthema Digitalisierung gibt es eine Fülle von Fortbildungen. Dabei ist es schwer, die Qualität einzuschätzen, weil Standards bislang fehlen.

Von Benjamin Haerdle

Künstliche Intelligenz (KI), Robotik, Cyber Security, Industrie 4.0 - es sind viele Schlagworte, die sich unter dem Sammelbegriff der Digitalisierung einreihen. Und die Verheißung quer durch alle Branchen ist groß: Nach Angaben der dieses Jahres veröffentlichten Studie "Weiterbildung 4.0 - Solidarische Lösungen für das lebenslange Lernen im digitalen Zeitalter" des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) werden durch den digitalen Wandel bis zum Jahr 2025 bis zu 1,5 Millionen neue Jobs entstehen. Allerdings könnten fast genauso viele Jobs wegfallen. "Der deutsche Arbeitsmarkt steht vor erheblichen Umwälzungen, Hunderttausende Beschäftigte müssen sich beruflich neu orientieren", prognostiziert IAB-Arbeitsmarktforscher Thomas Kruppe. Auch Mitarbeiter, deren Jobs erhalten blieben, seien zum Teil mit grundlegenden Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz konfrontiert.

Dieser Wandel wirkt sich auf die berufliche Weiterbildung aus: Auf dem Gebiet der Digitalisierung ist die Vielfalt der Angebote mittlerweile riesig: Sie reicht von eintägigen Kursen über mehrtägige Lehrgänge und Seminare mit Zertifikatsabschluss bis hin zum Masterstudium, allesamt offeriert von privatwirtschaftlichen Weiterbildungsanbietern, gemeinnützigen Einrichtungen oder von Hochschulen. Wie groß die thematische Bandbreite ist, zeigt exemplarisch ein Blick auf die Seiten der Bitkom Akademie, der Weiterbildungseinrichtung des Branchenverbands Bitkom für Informationstechnik, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Die Inhalte reichen von Blockchain und Industrial Security über IT-Sicherheit und Digitales Marketing bis hin zu Fortbildungen im Agilen Management. Der Begriff steht für einen Führungsstil, der weniger auf Hierarchien denn auf Teamarbeit setzt. Damit verbunden ist das Ziel, dass Unternehmen flexibler und schneller auf Veränderungen im Markt reagieren können.

Ein-Tages-Kurs zur KI oder Studium? Es kommt darauf an, wie tief man einsteigen will

Einer der Akteure auf dem deutschen Weiterbildungsmarkt ist die Industrie- und Handelskammer (IHK) Coburg. Sie bietet den fünftägigen Zertifikatslehrgang Zukunftsmanager Digitalisierung an. "Kein Unternehmen, egal welcher Branche oder Größe, kann sich dem Einfluss der Digitalisierung entziehen", sagt Doris Köhler, Leiterin des Bereichs Weiterbildung bei der IHK Coburg. Mit dem Zertifikat versuche man, dieses Thema möglichst konkret für Unternehmen aufzubereiten. So vermittle man den Teilnehmern nicht nur aktuelle Trends und Technologien der Digitalisierung, sondern auch Möglichkeiten der digitalen Kommunikation und Führung.

"Automatisierung setzt nicht an einem Punkt in der Produktion ein, sondern beeinflusst die gesamte Prozesskette in Unternehmen, egal ob in der Produktion oder in der Verwaltung", betont Köhler. Dies beginne bei eher simplen Dingen wie dem Aufbau eines E-Mail-Verteilers oder der Frage, welche Mitarbeiter bei firmeninternen Mails in Kopie zu setzen sind, und gehe hin zu schwierigeren Themen: etwa, wie Handwerker bei Vorortterminen Messdaten in die Prozesskette des Betriebs bringen können.

Ein wichtiges Thema in diesem Kontext ist auch die Personalführung - insbesondere für jene Firmen, deren Beschäftigte viel unterwegs sind oder oft von zu Hause aus arbeiten. Während größere Unternehmen ihre Führungskräfte schickten, macht Doris Köhler bei kleineren und mittleren Unternehmen eine eher "abwartende Haltung" aus. "Viele sind noch vorsichtig und verbinden Digitalisierung eher mit Kosten, die auf sie zukommen", sagt sie.

Fast 300 Weiterbildungsangebote, darunter auch zwölf Studiengänge, hatte die Fraunhofer Academy, die Weiterbildungseinrichtung der Fraunhofer-Gesellschaft, im Jahr 2018 im Angebot. "Wir wollen neuestes Wissen aus den verschiedenen Fraunhofer-Instituten im Bereich der Digitalisierung für die Weiterbildung bereitstellen", beschreibt Akademieleiter Roman Götter den Anspruch. Das gelte etwa für die Bereiche Elektromobilität oder das Thema intelligentes Auto, für Automatisierungsprozesse in der industriellen Produktion oder für IT-Themen wie künstliche Intelligenz (KI). Allein auf dem Gebiet der Cyber Security hat die Fraunhofer Academy bundesweit 50 Veranstaltungen im Angebot. Zum neuen Kommunikationsstandard 5G, der noch schnelleres Surfen im Internet ermöglichen soll, hat sie beispielsweise eine eintägige Weiterbildung entwickelt. "Die Firmen und Mitarbeiter aus der Telekommunikationsbranche müssen wissen, wie 5G geschützt werden kann", erklärt Götter.

Insbesondere die Angebote von kleineren Anbietern sollte man genau prüfen

Der Bedarf der Firmen an Digitalexperten scheint groß zu sein, das zeigt eine Umfrage des TÜV-Verbands und des Digitalverbands Bitkom unter 504 Unternehmen aus dem Vorjahr. Demnach sind 78 Prozent der befragten Unternehmensvertreter der Meinung, digitale Kompetenzen seien genauso wichtig wie fachliche und soziale Kompetenzen. Und: Hätten vor zwei Jahren nur 36 Prozent der Unternehmen ihre Angestellten auf dem Gebiet digitaler Kompetenzen weitergebildet, seien es jetzt 63 Prozent. "Digitale Technologien sind essenziell geworden", sagt Vérane Meyer, Bitkom-Referentin Bildungspolitik.

Allerdings ist es für Beschäftigte schwierig, auf dem Gebiet der Digitalisierung in der Weiterbildung den Überblick zu behalten. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Veranstaltungen nicht innerhalb des Unternehmens angeboten werden, sondern wenn sich Beschäftigte aus eigenem Antrieb um Angebote kümmern, weil sie so ihre Karriere befeuern wollen. IAB-Experte Kruppe spricht von einer "intransparenten Anbieterschaft". Sie reiche von privatwirtschaftlich orientierten Unternehmern, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, gewerkschaftlichen Organisationen bis hin zu Trägern aus dem kommunalen Bereich und der Landesebene. "Das ist insbesondere für bildungsferne Menschen kaum zu durchschauen", sagt er. Seiner Einschätzung nach trägt die Intransparenz des Angebots dazu bei, dass die Bildungsschere weiter auseinanderklaffen werde.

Schwer ist nach Kruppes Meinung auch die Qualität der Weiterbildungen einzuschätzen: "Es fehlt an Standards, an denen Interessierte eine qualitativ hochwertige Weiterbildung erkennen", sagt er. Das sieht Sebastian Horndasch genauso. "Gerade bei kleineren ein- bis mehrtägigen Weiterbildungsmaßnahmen kann man sich schon etwas verloren vorkommen", sagt der Pressesprecher des Hochschulforums Digitalisierung. Man könne aber beispielsweise auf bekannte, vertrauenserweckende Einrichtungen setzen oder zum Beispiel bei kleineren Anbietern auf deren Webseiten möglicherweise nachlesen, mit wem diese in der Vergangenheit zusammengearbeitet hätten. "Bei staatlich anerkannten Hochschulen als Weiterbildungsanbietern ist der Vorteil, dass diese zumindest wissenschaftlich und damit inhaltlich fundiert sind", stellt er fest. Ob diese aber auch didaktisch und methodisch fundiert seien, stehe auf einem anderen Blatt.

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