Wissen aus Fernsehserien:Dr. House, Liebling der Medizinstudenten

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Amerikanische Arztserien sind fachlich so gut und realistisch, dass sie inzwischen der Ausbildung an deutschen Universitäten dienen. Besonders der Misanthrop Dr. House ist zum Liebling der Lehre mutiert.

Felicitas Witte

Dr. Gregory House ist nicht nur ein streitbarer Typ, sondern auch Vorbild für viele Medizinstudenten. (Foto: N/A)

Arzt: "Wie geht's denn so?" Patient: "Ich habe Krebs!" Arzt: "Sie liegen auf 'ner onkologischen Station. Krebs haben da alle. Wenn Sie Mitleid wollen, sollten Sie auf die 'Eigentlich-fehlt-mir-nichts-Station' umziehen." Von so einem Kotzbrocken von Arzt möchte man eigentlich keine Minute behandelt werden. Doch Dr. Gregory House, der schnoddrige Mediziner aus der amerikanischen Fernsehserie, fasziniert seit Jahren Millionen Zuschauer. "Medizinserien sind beliebter denn je", sagt Elena Strauman, Kommunikationsexpertin der Universität Charleston in den USA. "Die Zuschauer bekommen Einblick in eine Welt, die gleichzeitig aufregend und beängstigend ist."

Strauman und ihre Kollegin Bethany Goodier haben kürzlich untersucht, wie sehr sich Arztserien in den vergangenen Jahrzehnten änderten: "Die heutigen Serien idealisieren Mediziner nicht mehr so extrem wie früher", sagt Goodier. "Es gibt eine gesunde Portion Realismus". Die Grundfrage ist die gleiche: Wie schaffen es Ärzte, Halbtote wieder gesund zu machen oder eine Diagnose zu stellen, auf die die Kollegen nicht im Traum gekommen wären? Eine besondere Rolle spielt Dr. House. "Der Typ schluckt zu viele Tabletten und stößt Kollegen und Patienten vor den Kopf", sagt Straumann. "Trotzdem bleibt er ein Held, weil er die Probleme löst."

Was die Ärzte machen, sieht echt aus - zumindest für Laien. "Amerikanische Arztserien sind wirklich prima gemacht. Ich sehe so gut wie nie medizinische Fehler", sagt Peter Tschudi, Allgemeinmediziner aus Zürich, der als Berater einer Schweizer Arztserie arbeitete. "Die amerikanischen Produzenten haben ein zehnmal so großes Budget wie die europäischen. Kein Wunder, dass die Serien perfekt sind."

Doch kann man den medizinischen Fakten glauben? Systematisch untersucht hat das noch niemand. Aber es gibt einzelne Studien: So zeigten britische Ärzte, dass es ihren Serienkollegen ähnlich häufig gelang wie in der Realität, einen Menschen wiederzubeleben: nämlich in 46 von 100 Fällen. Überraschenderweise waren die Serienpatienten mit durchschnittlich 36 Jahren aber nur halb so alt wie echte Patienten mit 65 bis 75 Jahren.

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Die Serien beeinflussen auch durchaus ihre jüngeren Fans: Manche möchten nun auf jeden Fall Medizin studieren, andere erst recht nicht. Einige werden Hypochonder, andere machen am liebsten einen großen Bogen um jeden Arzt. Letzteres zeigte der deutsche Chirurg Kai Witzel an einer Studie mit 162 Patienten: Diejenigen, die häufig Arztserien schauten, hatten viel mehr Angst vor der geplanten Operation. "Man darf nicht alles glauben, was die Serien zeigen", sagt Allgemeinmediziner Tschudi. Und dennoch: ",Dr. House' fasziniert Ärzte, man kann aus den Fällen wirklich etwas lernen."

So gut sind die Serien, dass sie für die Ausbildung von Medizinstudenten genutzt werden, etwa am Uniklinikum Marburg. Jürgen Schäfer, Internist und bekennender "Dr. House"-Fan, zeigt in seinen Seminaren kurze, aber ereignisreiche Ausschnitte einer Folge und diskutiert nach jedem Clip Inhalte und Vorgehen mit seinen Studenten. "Bei ,Dr. House' kommen im Vergleich zu anderen Serien seltene Krankheiten vor", sagt Schäfer. "Die kann man oft nur schwer vermitteln. Im Seminar lernen die Studenten nicht nur das Fachliche, sondern auch die komplizierten Überlegungen zur richtigen Diagnose."

Die Darsteller in "Dr. House" scheinen Probleme, Komplikationen oder Nebenwirkungen magisch anzuziehen. So erkrankt in einer Folge ein übergewichtiges zehnjähriges Mädchen an einer Hormonkrankheit, weil es einen gutartigen, hormonproduzierenden Tumor im Hirn hat. Zu allem Übel bekommt sie einen Herzinfarkt mit Herzstillstand, und Teile ihrer Haut sterben ab. "In Wirklichkeit treten so viele Probleme nur alle paar Jahre auf", sagt Schäfer. "Doch anhand einer Episode konnte ich die Themen Wiederbelebung, Ursachen für Herzinfarkt, Übergewicht und das Absterben der Haut besprechen."

Ob die Studenten dadurch bessere Ärzte werden, wisse er nicht. Sie lernten aber, kritisch und analytisch zu denken und vermeintliche Diagnosen zu hinterfragen. So beharrt Houses Kollege darauf, der Herzinfarkt sei durch das Übergewicht zustande gekommen - die häufigste Ursache. House findet aber heraus, dass es an Appetitzüglern lag. "Anfangs hatte ich Sorge, dass Studenten sich den Griesgram als Vorbild nehmen", erzählt Schäfer. Eine Evaluation der Universität Gießen zeigt jedoch, dass die Studenten sehr gut zwischen fachlicher Brillanz und menschlicher Ignoranz unterscheiden können.

Ein schlechtes Vorbild kann man nutzen, dachte sich auch Martin Schnell von der Fakultät für Kulturreflexion an der Uni Witten/Herdecke und startete vor zwei Jahren ebenfalls eine Seminarreihe mit "Dr. House". "Die Studenten können damit reale Situationen aus dem Alltag diskutieren", sagt Schnell. "Was passiert medizinisch, wie reden die Ärzte mit den Patienten, welche ethischen Probleme tauchen auf, und wie geht man damit um?" Zum Beispiel als House eine Untersuchung ablehnt, weil das Ergebnis nichts an der Therapie geändert hätte, obwohl der Patient die Untersuchung wünscht. "Immer mehr Patienten wollen ihre Behandlung mitbestimmen und Untersuchungen haben, von denen sie irgendwo gehört haben", erklärt Schnell. "Im Seminar bereiten wir die Studenten auf solche Fragen vor."

Weil die heutige Studentengeneration allmählich aus "Dr. House" herauswachse, hat Schnell ein neues Projekt gestartet, bei dem er junge Leute filmt, die mit Sterbenden Gespräche führen. Später wird in Seminaren darüber diskutiert. Auch Jürgen Schäfer macht sich Gedanken, wie es weitergeht, wenn am 4. Dezember die letzte Folge ausgestrahlt wird. Er plant, eine Produktion zu starten, in der er kniffelige Fälle aus Klinik und Praxen darstellen will. Und er bedauert es, dass es in Deutschland keine guten Arztserien gibt: "Das könnte viel nützen, auch wenn es nur solch simple Dinge wären wie ,schnell den Notarzt rufen, wenn es in der Brust schmerzt'."

© SZ vom 01.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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