Weniger Arbeit:Ein ganz anderes Leben

Wie drei Karrieristen den Absprung geschafft haben. Was der Auslöser dafür war - und wie sie heute leben.

"Ich vermisse nichts"

Ex-Pressechefin Angie Sebrich mit Partner.

Ex-Pressechefin Angie Sebrich mit Partner.

(Foto: Foto: oh)

Angie Sebrich, 40, war Pressechefin des Musiksenders MTV. Seit Februar 2001 sind sie und ihr Mann Jugendherbergseltern auf dem Sudelfeld.

"Ich bin tatsächlich dem Ruf meiner inneren Stimme gefolgt. Ich hatte einen spannenden Job, mein Freund und jetziger Mann war Messebauer. Im Urlaub haben wir ein Pärchen kennen gelernt, Mitarbeiter der Jugendherberge Lindau. Sie erzählten uns, dass die Jugendherberge Sudelfeld verwaist war und meinten, wir wären die Richtigen dafür. Da machte nichts Klick. Zurück in München begann der Alltagsstress wieder. Vielleicht sind wir deswegen eines Nachmittags ins Sudelfeld gefahren, nur um mal zu schauen. Es war niemand da - bis auf einen schwarzen Kater. Es war ruhig und idyllisch. Und das hat etwas in uns ausgelöst.

Wir haben uns erkundigt, was man so als Herbergseltern macht, genau die Fürs und Widers überlegt und uns schließlich beworben. Entscheidend war, dass es ein gemeinsames Projekt ist, alleine hätte ich es nicht gewagt. Ich hatte mit Mike den Mann meines Lebens gefunden und wollte mehr Zeit für ihn haben. Die Gründe waren damals die gleichen wie heute: Back to the roots, etwas runter vom Gas, die Verbindung zwischen Herz, Kopf und Händen wiederherstellen.

Das Produkt meiner Arbeit sehe ich hier viel direkter, etwa wenn man eine Schulklasse glücklich macht, weil man ihnen die Karaokemaschine aufstellt. Das wird mir immer wichtiger. Die ersten zwei Jahre waren hart, inzwischen läuft es prima. Und um keinen Bergkoller zu bekommen, fahren wir regelmäßig runter vom Berg, ob zur Oma nach Garmisch, zum Shoppen nach Rosenheim oder zu Freunden nach München. Ich vermisse nichts. Im Gegenteil: Mir ist bewusst geworden, was wirklich zählt im Leben."

Ein ganz anderes Leben

"Ich habe mehr Zeit für die Familie"

Ex-Firmenchef Oliver Sinner.

Ex-Firmenchef Oliver Sinner.

(Foto: Foto: ddp)

Oliver Sinner, 38, war früher Firmenchef (SinnerSchrader) und Darling der Start-Up-Branche, seit 2004 führt er ein kleines Hotel in Grömitz an der Ostsee.

"Ich habe von Anfang an gesagt, dass für mich die Familie im Vordergrund steht und dass ich irgendwann aussteigen will. Nur der Zeitpunkt war offen. Der zeichnete sich erst ab, als meine Tochter geboren wurde. Mir war klar, dass mein Geld für die nächsten 50 Jahre reicht und die Geschäfte nicht mehr so gut und nicht mehr so in meine Richtung liefen.

Wir hatten uns zum reinen Software-IT-Dienstleister entwickelt, da habe ich mich als Marketing-Mensch nicht mehr recht wiedergefunden. Und es gab großen Stress mit der Gewerkschaft, die einen Betriebsrat durchsetzen wollte. Der Aufsichtsrat hat mir dann eine zweijährige Auszeit nicht bewilligt. Da bin ich gegangen.

Wieder ein so großes Unternehmen zu gründen, wäre nie in Frage gekommen. Meine Eitelkeit hätte einen ähnlichen Erfolg verlangt, und dem wollte ich mich nicht aussetzen. Ich hab' dann zwei Jahre für die Familie investiert und nebenbei ein wenig mit Immobilien angefangen. Durch Zufall bin ich 2004 auf ein kleines Hotel in meinem Geburtsort Grömitz gestoßen. Das haben wir renoviert, heute haben wir elf Zimmer und zwei Angestellte.

Ich selbst arbeite dort vier bis fünf Stunden pro Tag. Die übrige Zeit: Segeln und Familie. Der geschäftliche Erfolg ist zwar wieder größer geworden, ich habe ein Steakhaus eröffnet, plane einen Hochseilgarten. Aber ich baue nur noch Dinge im überschaubaren Rahmen auf. Klein, aber fein. Mir fehlt es schon, im Mittelpunkt zu stehen. Ich freu' mich immer, wenn die Medien anfragen. Und ich halte bis heute Anteile an SinnerSchrader und den Kontakt zu den Mitarbeitern. Aber vermisst habe ich mein früheres Leben keinen einzigen Tag."

Ein ganz anderes Leben

Ex-Managerin: Marie-Line Petrequin.

Ex-Managerin: Marie-Line Petrequin.

(Foto: Foto: oh)

"Jetzt fühle ich mich frei"

Marie-Line Petrequin, 48, war früher Managerin beim Fernsehsender Pro Sieben. Nun arbeitet sie als Coach.

"Früher war ich bei Pro Sieben für Familienunterhaltungs-Sendungen verantwortlich. Es war interessant, ich war häufig unterwegs und konnte viel gestalten. Nach acht Jahren hatte ich aber das Gefühl, in der Routine gefangen zu sein. Obwohl der Job Tolles geboten hat, konnte ich mich nicht mehr dafür begeistern. Irgendwann hatte ich die Vorstellung, auf meinem Sterbebett zu liegen und festzustellen, viel zu wenig von dem gemacht zu haben, was ich wirklich hätte tun wollen. Ich habe mich gefragt: Ist das, was ich tue, wirklich der Sinn meines Lebens? Das war der Zeitpunkt, an dem ich etwas ändern musste.

Ich habe beim Fernsehen aufgehört und bin nach Hamburg gezogen, um dort zunächst bei einer kleinen Produktionsfirma zu arbeiten. Das war es aber auch nicht. Das Thema Persönlichkeitsentwicklung hatte mich schon seit längerem interessiert. Also habe ich nach einem Seminar einen Vertrag zur dreijährigen Ausbildung zum Trainer und Coach angefordert. Die Methode hat mich überzeugt: Ich habe sie umfassend und tiefgreifend in der Wirkung erlebt. Diese drei Jahre, die ich zusammen mit vielen Führungskräften absolviert habe, haben mein Leben total verändert.

Ich begleite nun mit großer Freude Führungskräfte und mache auch vieles andere mehr. Vor allem fühle ich mich frei. Heute wache ich auf und freue mich auf den Tag - vor zehn Jahren habe ich nur die Hälfte meiner Kapazität genutzt und war trotzdem viel gestresster. Heute weiß ich: Wir treffen zu wenige Lebensentscheidungen bewusst mit dem Kopf und aus dem Bauch heraus und nutzen zu wenig unser Potenzial."

(SZ vom 20.10.2006)

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