Süddeutsche Zeitung

Weltweiter Vergleich:Eine vielfältige Landschaft

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Ob mehr Studenten an öffentlichen oder privaten Hochschulen studieren, das hängt oft stark von der Tradition des Landes ab. In Osteuropa etwa ist der Anteil an privaten Institutionen relativ hoch.

Von Christine Demmer

Mit etwas mehr als sieben Prozent aller Studierenden in Deutschland haben die privaten Hochschulen den Charakter von Bildungsstätten für eine Minderheit - oder für eine Elite, je nach Sichtweise. Deutlich wird das bei näherer Betrachtung der Verteilung der Studierenden auf die Hochschullandschaft in anderen Ländern Europas. Und erst recht, wenn man den Blick über den eigenen Kontinent hinaus ausweitet.

Dann sieht man nämlich, dass Deutschland am unteren Rand des Spektrums liegt. Und zwar nicht nur europaweit, sondern weltweit. Brandneu sind die Zahlen nicht, die Daniel E. Levy, Politikprofessor an der State University of New York für das von ihm gegründete "Program for Research on Private Higher Education", kurz Prophe, zusammengetragen hat. Sie stammen aus dem Jahr 2009 und sind trotzdem die aktuellsten, die derzeit zu finden sind. Selbst wenn sich der eine oder andere Wert zwischenzeitlich verändert hat, so dürften die Umrisse des Gesamtbildes doch gleich bleiben und manche Überraschung liefern.

Zum Beispiel, dass die Hochschullandschaft in Lettland das komplette Gegenteil Deutschlands darstellt. In dem kleinen Land mit nur gut zwei Millionen Einwohnern waren zum Ende des vergangenen Jahrzehnts 94,6 Prozent aller Studierenden an einer privaten Hochschule immatrikuliert. Gerade mal 6783 junge Letten besuchten eine öffentliche Hochschule, aber 118 577 Studierende eine private. Auf Platz zwei in Europa folgt das Nachbarland Estland mit 84,2 Prozent Privatstudierenden, dicht gefolgt von Zypern, wo knapp drei Viertel der Studenten eine Hochschule in privater Trägerschaft besuchten.

Im Mittelfeld mit einem Anteil zwischen 15 und 45 Prozent an der privaten Hochschulbildung liegen Rumänien, Polen, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Slowenien. "In Osteuropa gab es vor der Öffnung nach Westen zu wenig Studienplätze", erklärt Anna Glass. "Sofort nach der Auflösung des Warschauer Paktes füllten private Investoren die Lücke." Die Hochschulberaterin Glass ist Amerikanerin, arbeitet in Paris und schreibt derzeit an ihrer Doktorarbeit über private Hochschulbildung. "Für Europa ist das noch ein ziemlich neues Thema", sagt sie. Selbst in England, wo die Klassengrenze dem Vernehmen nach zwischen Public und Private Schools verläuft. "Heute mag es auf den Inseln die eine oder andere Privathochschule geben", sagt Glass, "aber noch 2009 hat Daniel Levy keine einzige gefunden." Der Grund: Das britische Hochschulsystem ist fast ebenso flächendeckend ausgebaut wie das deutsche. Darüber hinaus kooperieren auch die öffentlichen Hochschulen seit Ende der Neunzigerjahre zunehmend mit der Privatwirtschaft, bringen ständig neue, attraktive und von der Wirtschaft geförderte Studiengänge auf den Markt und bemühen sich so mit Erfolg, die aufkommende Konkurrenz auf Abstand zu halten. Glass sagt: "An nicht wenigen öffentlichen Hochschulen in England gibt es spezielle Studiengänge, die nur mit privaten Mitteln eingerichtet werden konnten und für deren Besuch man bezahlen muss."

Deutschlands unmittelbare Nachbarn Frankreich und die Benelux-Staaten liefern kein einheitliches Bild. Während in Belgien schon vor sechs Jahren mehr als jeder zweite Student gegen Gebühr an einer privaten Einrichtung auf seinen Bachelor, Master oder die Promotion hinarbeitete, sind die Privathochschulen in den Niederlanden an einer Hand abzuzählen. In Frankreich studiert ein knappes Viertel privat. In Luxemburg gibt es nur die private European University for Economics & Management (Eufom), daneben unterhalten dort einige wenige private Hochschulen nach ausländischem Recht eine Betriebsstätte. Die Verteilung privat zu öffentlich liegt in Spanien und Italien etwas oberhalb des deutschen Niveaus. In Portugal, wo privatwirtschaftlich getragene Hochschulen früher als anderswo in Westeuropa eingerichtet wurden, liegt der Anteil der Studierenden bei 30 Prozent.

Der demografische Wandel macht sich auch an den Hochschulen bemerkbar

Michael Gaebel, Leiter der Abteilung Higher Education Policy bei der European University Association (EUA), das ist die Brüsseler Vertretung der Rektorenkonferenzen in 47 Ländern, also der öffentlichen Hochschulen, sieht gleichwohl Anzeichen für einen Rückgang bei den Privaten. Schuld daran hätten der demografische Wandel, der die Studierendenzahlen sinken lasse, und die Finanzkrise 2008. Es fehle an Renditeaussichten. Auch werden die öffentlichen Hochschulen längst nicht mehr ausschließlich von der öffentlichen Hand finanziert. "Bis vor einigen Jahren wurden die meisten öffentlichen Hochschulen in Europa zu wenigstens 70 bis 80 Prozent staatlich finanziert", sagt Gaebel. "In England spielen Studiengebühren mittlerweile ein wichtigere Rolle für die Finanzierung, und auch in anderen Systemen wird eine Erhöhung der privaten Finanzierungsanteile angestrebt oder doch zumindest erwogen."

In den USA besucht weniger als ein Drittel aller Studierenden eine private Hochschule. Zur Explosion der privaten Hochschulbildung kam es hingegen in den vergangenen Jahrzehnten in den Entwicklungs- und Schwellenländern. "Jeder zweite Studierende in Lateinamerika besucht eine private Hochschule", sagt Professor Daniel Levy, "in Asien ist es mehr als jeder Dritte." Seit dem Jahr 2000 holt auch der Mittlere Osten auf. Und selbst in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara studiert etwa jeder Sechste auf eigene Kosten an einer privaten Hochschule. Der Anteil der privat Studierenden beträgt im Durchschnitt 15 Prozent - mehr als doppelt so viel wie in Deutschland.

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SZ vom 12.03.2016
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