Süddeutsche Zeitung

Weiterbildung:"Die Beschäftigten, die es am nötigsten hätten, profitieren zu wenig"

Gerade diejenigen, deren Jobs durch die Digitalisierung besonders bedroht sind, nehmen kaum an Weiterbildungen teil - auch weil die Firmen sie nicht lassen, sagt Ökonomin Ute Leber.

Interview von Miriam Hoffmeyer

Jeder vierte Beschäftigte in Deutschland übt Tätigkeiten aus, die künftig von Robotern und Computern übernommen werden könnten. Neues zu lernen wäre für diese Gruppe besonders wichtig. Doch in einer Studie hat die Ökonomin Ute Leber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) festgestellt: Gerade die, deren Jobs am meisten gefährdet sind, nehmen seltener an Weiterbildungen teil als andere Beschäftigte.

SZ: Welche Berufe sind durch die Digitalisierung besonders bedroht?

Ute Leber: Das hängt davon ab, wie groß der Anteil an Routinetätigkeiten ist, denn die lassen sich am ehesten durch moderne Technologien ersetzen. In der industriellen Produktion gibt es besonders viele standardisierte, sich wiederholende Tätigkeiten, die oft von ungelernten Helfern erledigt werden. Aber die Gefahr der Automatisierung besteht auch in manchen Dienstleistungsbranchen und für Aufgaben auf höherem Anforderungsniveau. So können zum Beispiel Kreditanträge oder Steuererklärungen vollautomatisch geprüft werden. Derartige Tätigkeiten werden sich ändern oder sogar wegfallen - deshalb ist Weiterbildung so wichtig.

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Die Ausgaben dafür steigen ja auch. Deutsche Firmen geben pro Jahr mehr als elf Millionen Euro für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter aus.

Aber gerade die Beschäftigten, die es am nötigsten hätten, profitieren davon zu wenig. Wir haben Daten des Nationalen Bildungspanels analysiert und festgestellt: Innerhalb eines Jahres haben sich 41 Prozent der Beschäftigten weitergebildet, die großteils komplexe, abwechslungsreiche Tätigkeiten ausüben. Bei denen mit einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten waren es nur 27 Prozent. In der Gruppe der Geringqualifizierten ist die Differenz noch größer: Von den Beschäftigten mit dem höchsten Risiko, durch Computer und Roboter ersetzt zu werden, nahmen bloß sieben Prozent an Weiterbildungen teil - gegenüber 37 Prozent der Geringqualifizierten mit weniger Routinejobs. Der Unterschied gilt übrigens auch für Weiterbildungen im IT-Bereich, die als besonders zukunftsträchtig gelten.

Liegt das an den Unternehmen?

Die betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten spielen eine wichtige Rolle. Denn von den Betrieben hängt es wesentlich ab, welche Angebote es gibt, ob die Kosten übernommen und ob die Mitarbeiter für die Teilnahme an Kursen freigestellt werden. Offenbar versprechen sich viele Arbeitgeber weniger Vorteile davon, Mitarbeiter weiterzubilden, die vor allem Routinetätigkeiten erledigen.

Das ist eigentlich zu erwarten, oder?

Aber auch etwas kurzsichtig! Auf lange Sicht können Unternehmen davon profitieren, wenn sie Mitarbeiter zukunftsfähig machen. Auch wenn wir derzeit durch Corona in einer Ausnahmesituation sind, wird sich an bestimmten Entwicklungen nicht grundsätzlich etwas ändern: In einigen Branchen und Regionen sind die Fachkräfteengpässe heute schon so groß, dass neues Personal schwer zu bekommen ist. Durch Weiterbildung können Unternehmen erfahrene Beschäftigte halten. Hierdurch verringern sich auch die Kosten einer Personalsuche und das Risiko einer etwaigen Fehlbesetzung.

Haben Beschäftigte mit vielen Routineaufgaben vielleicht auch weniger Lust als andere, etwas Neues zu lernen?

Das kann ebenfalls einen Teil der Differenz erklären. Aus der Forschung ist bekannt, dass Geringqualifizierte oft Lernhemmungen haben, weil sie vielleicht früher schlechte Erfahrungen gemacht haben oder nicht davon ausgehen, dass Weiterbildung einen Nutzen für sie hat.

Schon seit längerer Zeit gibt es öffentliche Förderung für Betriebe, um mehr Weiterbildung für Geringqualifizierte und für ältere Arbeitnehmer zu ermöglichen. Der Erfolg ist überschaubar geblieben. Was könnte man noch tun?

Das neue Qualifizierungschancengesetz hat die Fördermöglichkeiten ausgeweitet. Damit Betriebe und Beschäftigte aber auch davon erfahren und das passende Angebot finden, brauchen sie Beratung. Die Weiterbildungsberatung der Arbeitsagenturen wird dazu gerade ausgebaut.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2020
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