Süddeutsche Zeitung

Wegbereiter für neue Ideen:Mehr Gefühl, bitte

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MBA-Programme zur Innovation fördern unkonventionelle Arten, sich zu entscheiden. Dafür üben sie sich im Rollenspiel und Improvisationstheater.

Von Rebekka Gottl

Das klingt erst mal frustrierend: "80 bis 90 Prozent der Ideen landen im Papierkorb", sagt Tim Schirmer über seinen Job. Doch umgekehrt bedeuten die Zahlen, dass bis zu 20 Prozent seiner Vorschläge weitergedacht, mit Kollegen geteilt, ausführlich besprochen und schließlich umgesetzt werden. Das sei eine gute Erfolgsquote, denn "letztlich geht es darum, neue Ideen zu entwickeln, um das konventionelle Produktportfolio zu erweitern", sagt der Ingenieur, "also fit zu machen für die Zukunft". Wie viele andere Unternehmen auch, setzt sein Arbeitgeber, die Daimler Truck AG in Gaggenau südlich von Karlsruhe, auf innovative Konzepte. Entwickelt werden sie von sogenannten Business Development Managern wie Tim Schirmer.

Mit Innovationsmanagement und Führungskompetenz kennt sich der 30-Jährige gut aus. Denn er schloss Anfang 2018 einen berufsbegleitenden Master of Business Administration (MBA) ab. Im Studiengang Business Innovation Management der Graduate School Rhein-Neckar in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) eignete er sich nicht nur betriebswirtschaftliches Know-how an, sondern auch Fachwissen in den Bereichen Innovation, Projektmanagement und Unternehmensführung.

Zum Curriculum gehören auch Improtheater, Rollenspiele und Training im Hochseilgarten

"Vor wenigen Jahren noch herrschte die Meinung vor, dass derjenige, der am längsten im Unternehmen ist oder besonders autoritär auftritt, am kompetentesten und besten geeignet ist, um Führungskraft zu sein und als solche auch Innovationen anzustoßen", sagt Stefanie Dörflinger. Die Unternehmensberaterin aus München begleitet mittelständische Unternehmen bei Veränderungen, insbesondere hinsichtlich Kreativität und Kommunikation. Dass eine Person allein jegliche Entscheidungen innerhalb des Unternehmens trifft, sei heutzutage nicht mehr zeitgemäß, sagt sie. "Die Ansprüche an Führungskräfte haben sich gewandelt."

Damit sich das auch in deren Fortbildung widerspiegelt, haben manche MBA-Studiengänge ihren Fokus neu ausgerichtet. Der MBA Kreatives Management der Hochschule Ansbach ist einer davon. "Als wir den Studiengang vor elf Jahren als einen der ersten Kreativ-MBAs ins Leben gerufen haben, wurden wir noch belächelt", sagt Studiengangleiter Jochem Müller. Mittlerweile haben bereits weitere Hochschulen und Business Schools nachgezogen. Ähnlich wie der MBA Business Innovation Management, den Tim Schirmer absolviert hat, verspricht der berufsbegleitende Master in Ansbach inhaltlich fortschrittlich und innovativ zu sein und sich somit von den bestehenden rein logisch-analytischen MBA-Programmen abzuheben. Doch was bedeutet Innovation eigentlich? "Zukunftsgerichtet ist, wer öfter auch mal emotional und intuitiv entscheidet", merkt Müller dazu an. "Gewinnmaximierung allein sollte nicht der Maßstab sein." Besonders die kommenden Jahre seien wichtig, um Technologie und Ökologie unter einen Hut zu bringen, so der Studiengangleiter. Denn was die angehenden Führungskräfte in Kreativ-MBAs auch lernen, ist, individuelle Lösungen im Team zu erarbeiten. "Im Seminarraum sind Dozierende mit vorgefertigten Foliensets eher die Ausnahme", sagt der Absolvent Schirmer. Profitiert habe er besonders von den Vorträgen externer Manager, die von ihren eigenen Erfahrungen berichteten und "Einblicke geben konnten, die man sonst nicht erhält", so der 30-Jährige.

Führungskräfte konnten sich früher erheblich stärker auf die konstanten Gesetzmäßigkeiten des Marktes verlassen, sagt Stefanie Dörflinger. Durch die Digitalisierung sind jedoch neue Geschäftsmodelle entstanden, die Kundschaft verlangt nach individuellen Produkten und Lösungen, von Unternehmen wird zunehmend Flexibilität erwartet. "Dieser Komplexität kann man nur mit der nötigen Kreativität begegnen", meint die Unternehmensberaterin. Innovative Ideen entstünden meist dann, wenn Vertrauen untereinander herrsche und die Mitarbeiter in den Entscheidungsprozess eingebunden würden.

Neben klassischen Fächern wie Marketing und Controlling stehen Schlagworte wie Entrepreneurship, Produktdesign und Future Business auf dem Lehrplan. In Rollenspielen verbessern die Studierenden ihre Kommunikationsfähigkeit, im Improvisationstheater ihre Kreativität und im Hochseilgarten die Teamkompetenz. Arbeitsalltag und Studium sollen sich verbinden, Ideen aus dem betrieblichen Umfeld mit den Kommilitonen diskutiert werden. So hat Tim Schirmer während einer sechswöchigen Projektarbeit verschiedene Managementmethoden ausprobiert, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Damit auch künftig individuelle, berufsbezogene Projekte erarbeitet und in Klassenzimmeratmosphäre präsentiert werden können, soll die Studiengruppe laut Müller möglichst klein bleiben. In Ansbach wie in Ludwigshafen - in beiden Kreativ-MBAs liegt die Teilnehmerzahl bei acht bis zehn Personen. Die meisten sind Anfang 30, arbeiten in der Lebensmittel- oder Automobilbranche oder in öffentlichen Einrichtungen.

Die Absolventen helfen Unternehmern dabei, alte Zöpfe abzuschneiden

Um im Unternehmen aufzusteigen, dafür war der MBA schon vor Jahren hilfreich, wobei früher bei den geforderten Kompetenzen Kreativität sowie der Umgang mit Mitarbeitern eher eine Nebenrolle spielten. Für Unternehmensberaterin Dörflinger sind die neu entstandenen Management-Studiengänge daher ein Schritt in die richtige Richtung. "Der Veränderungsgedanke muss bestenfalls von den Führungskräften ausgehen oder ohne Wenn und Aber von ihnen mitgetragen werden", sagt sie. Kooperation, offene Kommunikation und die Fähigkeit, auf Mitarbeiter einzugehen, sind hierbei, aber auch in anderen Situationen gefragt. "Immer mehr als unverrückbar geltende Bastionen der Arbeitswelt werden ins Wanken gebracht und von Unternehmen auf den Kopf gestellt", so Dörflinger. Dazu gehöre auch, vermeintliche "Tabu-Themen wie Psychospielchen auf der Arbeit oder Lowperforming von Mitarbeitern" anzusprechen.

"Trotz der veränderten Zielsetzung ist der MBA nach wie vor ein Karrierebeschleuniger", sagt Jochem Müller von der Hochschule Ansbach. Und nicht nur das. Der Fokus auf Innovationsmanagement und Marketing für neue Produkte im MBA-Studiengang ist laut Schirmer eine "zentrale Voraussetzung für ein nachhaltiges Unternehmenswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit besonders von kleinen und mittleren Unternehmen." Daher sei es wichtig, dass sowohl Großkonzerne als auch kleine Unternehmen gezielt in die Weiterbildung von Mitarbeitern investierten. Der Ingenieur selbst hat den berufsbegleitenden MBA zur Hälfte von seinem Arbeitgeber finanziert bekommen.

Nach dem Abschluss sollte man jedoch weder eine direkte Gehaltssteigerung noch eine Beförderung erwarten, so Schirmer. "Der MBA kann aber den Weg dorthin ebnen." Als Business Development Manager ist er nunmehr nicht nur für die Optimierung bestehender und die Entwicklung innovativer Produkte verantwortlich, sondern er forscht, wobei die Verknüpfung von Theorie und Praxis eine große Rolle spielt: Im Rahmen einer Promotion geht Schirmer der Frage nach, welche konkreten Eigenschaften eine Fachkraft mitbringen muss, um in einer leitenden Position Innovationen bestmöglich zu fördern. Damit kann er auch seine eigenen Führungsqualitäten auf das nächste Level heben.

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Quelle:
SZ vom 12.02.2021
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