Was guten Schulunterricht auszeichnet:Auf die Lehrer kommt es an

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Papiere und Konzepte sind schön, Menschen sind besser. Nach zehn Jahren Bildungsdebatte ist vor allem eines klar: Die Rolle der Lehrer muss wieder gestärkt werden. Denn nur sie können selbst schwächere Schüler zum Erfolg führen - indem sie ermutigen und Leistungen anerkennen, aber den Kindern auch Reibungsfläche bieten.

Michael Felten

Leider melden sich beim Thema Schule meist Außenstehende zu Wort: sparbeflissene Kultusbürokraten, neuschöpfungsfreudige Systemtheoretiker, schultraumatisierte Bildungsjournalisten. Vielleicht führt in diesem Fall die Innenansicht weiter, aus dem Blickwinkel des Praktikers, der um das Erfreuliche, Machbare und Mögliche im Klassenraum weiß.

Ermutigung und konstruktive Kritik: Lehrer haben eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Wissen. (Foto: dpa)

Warum sollten die Lehrer selbst nicht anhörungswürdige Experten für Unterricht sein und die Welt vor manchem pädagogischen Schwarmblödsinn bewahren können? Zu Recht hat der Schulpsychologe Rainer Dollase gefordert, alle in der Lehrerausbildung Tätigen müssten einmal im Jahr einen Monat lang eine schwierige Mittelstufenklasse unterrichten. Das würde uns viele Reformirrtümer ersparen.

Das Schulwesen hat zum Glück seine Leistungsscheu verloren, seit vor ziemlich genau zehn Jahren die ersten Ergebnisse der Pisa-Untersuchung veröffentlicht wurden. Zuvor erschien es schier unmöglich, ein Buch mit dem Titel "Kinder wollen etwas leisten" zu publizieren; das klang zu sehr nach schwarzer Pädagogik. Heute würde niemand mehr bestreiten, dass Heranwachsende nicht primär frei sein, sondern vor allem stark werden wollen.

Ob allerdings ein "Fit für die Wirtschaft" genügt oder kritikfähige Allgemeinbildung nottut, wäre ein eigenes Thema. Ebensolche Verwirrung besteht aber auch in der Frage, wie schulisches Lernen nachhaltiger zu organisieren wäre - unsere Schüler sind ja zunehmend bindungsunsicher und ermäßigungsgewohnt, ob nun aus Prekariatsfamilien stammend oder aus adligen.

Größte Skepsis verdient aus der Sicht des Praktikers die verbreitete Selbstlerneuphorie. Regalmeterweise schwärmen die Fachautoren von eigenverantwortlichem Arbeiten (EVA), Lernen ohne Lehrer (LOL) oder selbstorganisiertem Lernen (SOL); die Kürzel überwinden problemlos die Schranke des kritischen Bewusstseins erziehungsmüder Lehrer.

Schwächere Schüler lernen besser mit Lehrer

Die Folgen sind aber höchst zweifelhaft: Die Zahl der Fotokopien explodiert, auch die der teuren Schulbücher und Freiarbeitsmedien. Die angeblich altbackene Lehrersteuerung verkommt zur Papiersteuerung. Was pfiffigen Schülern kaum schadet und Medienkonzernen wie Dienstleistern entgegenkommt, hat indes einen gewaltigen Pferdefuß für schwächere Schüler.

Texterklärungen sind oft schwerer verständlich als mündlich-gestische, zudem wirken sie unpersönlich und unterkühlt. So erleben viele Kinder unnötige Misserfolge, andere gewöhnen sich an ein tiefgangarmes Driften durch Toner-Wüsten - schöne neue Bildungsungerechtigkeit, quasi durch die Hintertür.

Eigentlich eine reichlich unausgegorene Idee. Wieso sollten Heranwachsende, zumal solche aus bildungsferneren Schichten, von sich aus all diesen Zivilisationskrempel jenseits der eigenen Lebenswelt interessant finden, den wir ihnen im Rahmen einer langen Allgemeinbildung zumuten? Das modische Gesäusel von Autonomie und Angebot mag in Akademikerohren ja verfangen, an den Schülern von heute geht das vorbei.

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Mir scheint, wir haben den Erwachsenen als Lockvogel ins Fremde und Schwierige vergessen - vielleicht eine Nachwehe der Antipädagogik. Wir brauchen eine Renaissance der Lehrerpersönlichkeit. Die Lehrerin, der Lehrer ist der Begleiter auf dem Lernweg, Brückenbauer in neue Wissenswelten, Antreiber in den Mühen des Lernens und nicht zuletzt Bändiger der Unlustanwandlungen.

Michael Felten, 60, arbeitet als Gymnasiallehrer und pädagogischer Publizist in Köln. Im Januar erscheint sein Buch "Schluss mit dem Bildungsgerede!" (Foto: Michael Euler-Ott)

"Der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe zum Lehrer", das wusste Erasmus von Rotterdam schon vor 500 Jahren (er meinte natürlich die nicht-erotische Liebe). Der Neurobiologe Joachim Bauer formuliert das so: "Die stärkste Motivationsdroge für junge Menschen ist der andere Mensch!" Man braucht zum Lernen ein lebendiges Gegenüber, das zeigt, anregt, ermuntert, sich für Neigungen und Probleme interessiert, etwas erwartet und einfordert und auch Widerstand aushält.

Insofern darf dieser Lehrer kein Zauderer sein. Er muss den Lernprozess einer heterogenen Gruppe klar und differenziert steuern, Führungsfreude zeigen, ein verlässlicher Halt bei Lernproblemen sein. Und wenn Schüler einmal ausbüxen wollen, weil das Verstehen schwer, das Fach langweilig, der Nachbar doof oder eben der Lehrer blöd ist?

Dann erinnere man sich des Diktums von Royston Maldoom in "Rhythm is ist!": "Man kann so tun, als wäre Disziplin unwichtig im Leben, aber das wäre unfair, den Jugendlichen gegenüber. Man muss sie die Erfahrung machen lassen, dass sich durch harte Arbeit etwas erreichen lässt. Warum muss es denn immer lustig sein? Das Ernsthafte ist es, was Spaß macht!"

Allerdings sind nur solche Leitwölfe erfolgreich, die bei Lernproblemen mehr draufhaben, als dem Schüler auf die Füße zu treten. Schüler brauchen ein Dauerklima der Ermutigung, und das ist weit mehr als vordergründige Freundlichkeit oder das Lob im Erfolgsfall. Wirkliches Coaching umfasst eine weite Palette von Kontakt, Zutrauen, Echo, Fürsorge, Anerkennung, Wertschätzung, aber auch von Anspruch, Herausforderung und konstruktiver Kritik.

Lehrer müssen ermutigen

Der gute Lehrer vermag sich vorzustellen, wie sich Nichtwissen anfühlt - und kann gerade deshalb vermitteln, wie man durchhält. Mit der modernen Kognitionsforschung vertritt er eine dynamische Sicht von Intelligenz. Es kommt weniger darauf an, was einer mitbringt, sondern was er daraus macht.

Und aus "Sargnägeln" im Leben eines Lehrers können berufliche Krönungen werden, sobald er sich auf die Perspektive einlässt, dass hinter Begriffsstutzigkeit, Faulheit und Störfreude oftmals biographisch geronnene Entmutigung steckt, getarnt durch cleveres Ersatzverhalten. Die individualpsychologischen Fallgeschichten von Freuds frühem Kollegen Alfred Adler bieten jede Menge Anregungen für solche erstaunliche Bildungswenden, inklusive hilfreicher Elternarbeit.

Ich selbst bin immer noch gerne Lehrer, auch nach 30 Jahren Unterricht vorwiegend in den "schwierigen" Jahrgängen, in einem keineswegs bildungsnahen Einzugsgebiet. Was mich stets aufs Neue begeistert, sind die Kinder, in ihrer Neugier, mit ihren individuellen Schwierigkeiten, mit der ganzen Palette pubertärer Betriebsgeräusche.

Und anscheinend war ich leidlich immun dagegen, mir diese Faszination durch bildungspolitische Infektionskrankheiten nehmen zu lassen. Auch an solcher Resistenz interessiert? Es hilft: selbstbewusst zu sein, zugewandt, zutrauend und zumutend - sowie skeptisch gegenüber elfenbeinernem Bildungsgerede.

© SZ vom 21.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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