VroniPlag-Gründer Martin Heidingsfelder:"Das Doktor-Plagiat ist hoffähig geworden"

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Koch-Mehrin und Chatzimarkakis haben wegen ihm ihren Doktortitel verloren - und Stoibers Tochter, die Namenspatin von VroniPlag. Ist Plattformgründer Martin Heidingsfelder ein SPD-Mann mit politischem Kalkül, ein idealistischer Kämpfer für Anstand und Integrität? Besuch beim umstrittensten Plagiatsjäger der Republik.

Niklas Hofmann

"Irgendwo in einer Ecke des Meeres lebte einmal ein Schwarm kleiner, glücklicher Fische. Sie waren alle rot. Nur einer von ihnen war schwarz. Aber nicht nur in der Farbe unterschied er sich von den anderen Fischen in seinem Schwarm: Er schwamm auch schneller. Sein Name war SWIMMY." So beginnt das gleichnamige, berühmte Bilderbuch des Grafikers Leo Lionni.

Sieht sich als Teil des Ganzen: VroniPlag-Gründer Martin Heidingsfelder. (Foto: dpa)

Martin Heidingsfelder könnte das Buch als Kind gelesen haben, er ist jetzt 46 Jahre alt. Ob er es wirklich getan hat, tut natürlich nichts zur Sache - so würde er wahrscheinlich sagen, und er hätte in diesem Fall auch völlig recht. Dass Dinge nichts zur Sache tun, das hört man oft, wenn man sich dieser Tage mit dem Mann unterhält, den die Öffentlichkeit seit der vergangenen Woche als den Gründer der Plagiatenttarnungs-Website VroniPlag kennt. Es soll nicht mehr so viel von ihm als Person die Rede sein, es soll doch um das Wiki gehen.

"Swimmy" und der lose dahin schwimmende Fischschwarm sind wehrlos, als sie von großen Raubfischen attackiert werden. Alle werden gefressen, nur der kleine schwarze Außenseiter überlebt. Als er auf einen neuen Fischschwarm stößt, überzeugt er alle eng zusammenzurücken und so die Form eines einzigen, großen Fischs anzunehmen. Alle Räuber denen sie nun begegnen, flüchten erschrocken. Was einer alleine nie geschafft hätte, gelingt durch den Zusammenhalt aller. Wie gesagt, ob Martin Heidingsfelder "Swimmy" gelesen hat, tut nichts zur Sache, aber am Ende des Interviews mit ihm, man hat sich eigentlich schon verabschiedet, da fällt ihm noch etwas ein, das er unbedingt loswerden will: "Der Schwarm muss zusammenbleiben. Und dafür ist jeder Fisch wichtig."

Es ist ein windiger Tag, an dem man mit Heidingsfelder in einem Café in der Erlanger Innenstadt verabredet ist. Gleich zweimal wehen Böen dem Kellner die Milchschaumhauben von den Cappuccinos. Bis zur vergangenen Woche hatte VroniPlag, die inzwischen aktivste Seite der Online-Plagiatsucher, die die Stoiber-Tochter Veronica Saß oder die FDP-Politiker Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis um ihre Doktortitel gebracht hat, kein Gesicht. Man wusste zwar, dass die Berliner Plagiatsforscherin Debora Weber-Wulff unter dem Namen WiseWoman mitgearbeitet hatte. Aber "Goalgetter", der Gründer der Plattform, der über Monate die Pressearbeit betrieben hatte, blieb anonym.

Vor einigen Wochen erschien schließlich ein Artikel im Spiegel, für den sich Goalgetter, noch immer anonym, hatte porträtieren und auf dem Golfplatz fotografieren lassen. Das kam bei vielen im VroniPlag nicht gut an. Am vergangenen Donnerstag brachte Spiegel Online dann ein neues Foto und Goalgetters Antwort auf die Frage "Wie heißen Sie?": "Martin Heidingsfelder". Es war kein freiwilliger Gang an die Öffentlichkeit, die Bild-Zeitung hatte ihn ausfindig gemacht.

Und jetzt gab es viele, die der Ansicht waren, es tue einiges zur Sache, wer genau dieser Martin Heidingsfelder ist. Nun, er ist Franke, Diplom-Kaufmann und Inhaber eines kleinen Unternehmens das Online-Befragungen anbietet. Vor allem aber ist er kein Wissenschaftler aus dem Mittelbau, der sich über die Entwertung seines Doktortitels ärgert. Dafür ist er SPD-Mitglied. Vor allem der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis, dem sein Doktortitel im Juli entzogen worden war, ergriff die Chance zur Vorwärtsverteidigung. In Bild warf er Heidingsfelder "parteipolitische und kommerzielle Interessen" vor. Und auch im VroniPlag-Forum des Wikis wurde heftig darüber diskutiert.

Kritik aus den eigenen Reihen

In seinem Profil beim Online-Business-Netzwerk Xing bietet Heidingsfelder inzwischen die "Begutachtung wissenschaftlicher Texte" und "Plagiatsprüfung" als Leistungen an. Nun wäre er damit nicht der einzige professionelle und auch nicht der einzige kommerzielle Plagiatsjäger. Aber dann ist da noch der Umstand, dass Ende Juni beim Deutschen Patent- und Markenamt die Markenrechte für "Vroniplag" und "Guttenplag" auf Martin Heidingsfelders Namen eingetragen wurden. Ohne ihr Wissen, wie andere Administratoren der Seite sagen.

Martin Heidingsfelder glaubt, es werde von außen versucht, VroniPlag zu spalten, die Leute dort gegeneinander aufzubringen und einzelne auszugrenzen: "Ich will, dass das Wiki weitergeht." Es sei eine unglaubliche Leistung, die dort erbracht worden sei. Er liebe das Projekt. Konflikte seien doch normal. Ein paar Wochen vor seinem Outing hatten ihm die anderen Administratoren die privilegierten Zugriffsrechte eines "Bürokrators" entzogen, eine Degradierung haben das manche genannt.

Als im Februar auf der Seite GuttenPlag die Promotion des Verteidigungsministers auseinandergenommen wurde, erzählt Martin Heidingsfelder, habe er erst nur ein paar Tage lang neugierig zugeschaut. Dann sei ihm selbst eine Fundstelle untergekommen. Eigentlich hatte er zu diesem Zeitpunkt ein dringendes berufliches Projekt auf dem Schreibtisch liegen. "Nach drei Tagen habe ich meinem Auftraggeber gesagt, ich habe keine Zeit. Das war mein erstes Opfer, ich habe den Auftrag sausen lassen."

Als Koch-Mehrin ins Spiel kommt, geht es los

Am Rande seiner Guttenberg-Recherchen tauchten dann Hinweise auf die Doktorarbeit von Veronica Saß, geborene Stoiber auf. Sie ist die Tochter früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Unter den anderen GuttenPlagianern aber fehlt es an Interesse. Saß ist keine Politikerin, sie hat kein Amt und kein Mandat. Schließlich beschließt Heidingsfelder ein eigenes Wiki einzurichten, dass sich zunächst nur Saß' Promotion widmet - VroniPlag. Das Projekt dümpelt eine Weile vor sich hin. "Es waren am Anfang ganz wenige Leute", erinnert sich Heidingsfelder, weit weniger als die zwanzig Aktiven, die später zusammenkamen: "Wir hatten ja nur einen Fall." Auch ein zweiter, der des baden-württembergischen CDU-Landtagsabgeordneten Matthias Pröfrock, ändert daran nichts - obwohl beide Male der Plagiatsnachweis gelingt und es zur Aberkennung der Doktorwürde führte. Erst als Silvana Koch-Mehrin ins Spiel kommt, hebt VroniPlag so richtig ab.

Für die Wissenschaft ist jedes Plagiat gleich schlimm, ganz so ist es bei Heidingsfelder sicher nicht. Wenn er von Koch-Mehrin, Chatzimarkakis und auch Pröfrock spricht, merkt man, wie es ihn geradezu persönlich wurmt, dass sie allesamt zwar ihre Doktortitel verloren, aber ihre Mandate nicht abgeben mussten. Daran, meint er, sei Angela Merkel Schuld, die Karl-Theodor zu Guttenberg damit verteidigt hatte, dass sie ihn nicht als wissenschaftlichen Assistenten berufen habe. "Da ist das Doktorats-Plagiat hoffähig geworden. Ich sage extra ,hoffähig', weil es eine herablassende Haltung gegenüber den Wählern ist."

Persönliche Meinung? Unwichtig

Mit seiner Parteimitgliedschaft habe all das jedoch nichts zu tun. Die Hinweise auf FDP-Politiker seien aus dem Schwarm gekommen. Ihm gehe es darum, "dass Anstand und Integrität ein wesentlicher Bestandteil des friedlichen Zusammenlebens in unserer Demokratie sind. Das ist ein ganz hoher Wert, und den treten diese Leute mit Füßen". Das sei aber seine persönliche Meinung, nicht die des Wikis: "VroniPlag ist eine sehr dokumentarisch, wissenschaftlich, sauber analytisch arbeitende Gruppe, die in politischen Kategorien sehr gering denkt", im Grunde sogar apolitisch sei.

Apolitisch ist er selbst nicht, und so sieht er auch die Plagiatsfragen nicht. "Wenn Sie sich jetzt hier umschauen, und da sitzt ein unbekannter Doktor", sagt er und zeigt auf die anderen Cafébesucher, "und Sie meinen, okay, ich habe da jetzt so um die 20 Seiten geprüft, die nicht in Ordnung sind, dann würden Sie es vielleicht der Uni melden", das müsse dann aber nicht in den Medien abgehandelt werden. Bei Politikern dagegen, da brauche man diesen öffentlichen Druck. Was aber rechtfertigt dann die Beschäftigung mit der Namensgeberin von VroniPlag, die eben keine Mandatsträgerin war, die sich nicht selbst in die Öffentlichkeit begeben hatte, das hat ihn auch der Politblogger Michael Spreng gefragt. Heidingsfelder sagt dazu nur: "Ich denke über den Fall nach, ich möchte ihn aber öffentlich nicht diskutieren."

Vor allem beschäftigt ihn die Zukunft des Wikis. Es gibt ein Schaubild, das er ausgerechnet in der unter Plagiatsverdacht stehenden Doktorarbeit des FDP-Bundestagsabgeordneten Bijan Djir-Sarai entdeckt hat. In der Arbeit geht es um PVC. Auf dem Schaubild sei dargestellt, wie sich die gesellschaftliche Diskussion über den Werkstoff entwickelt habe. "Da entdecken Sie plötzlich Analogien, wie müsste das eigentlich mit diesen ganzen Plagiaten laufen, ist das ein ähnlicher Prozess? In welcher Phase befinden wir uns? Sind wir jetzt in der Latenzphase? Sind wir in der Emergenzphase? Und wenn Sie darüber nachdenken, dann denken Sie auch darüber nach, wie müsste sich ein Wiki jetzt entwickeln, was müsste geschehen, damit die Diskussion in der Gesellschaft weitergeht." Und wie lautet die Antwort? "Da sollen die sich im Wiki mal den Kopf drüber zerbrechen und auf die Seite schauen. Ich habe schon drüber nachgedacht, aber ich bin ja nicht die Mehrheit." Aber er hat doch sicher eine eigene Meinung? "Klar, aber die zählt nicht."

© SZ vom 11.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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