Vorlesung als Verkaufsveranstaltung:Erst lehren, dann werben

Der Finanzdienstleister MLP bietet an Hochschulen kostenlose Seminare an. Doch geht es wirklich um Inhalte? Studenten beschweren sich, dass das Unternehmen vor allem seine Produkte verkaufen will.

Kim-Björn Becker

Irgendwann kam der glänzende Ordner auf den Tisch. Lebensversicherungen, Rentenversicherungen, Altersvorsorge, alles sauber aufgelistet und ansprechend aufbereitet. Man könnte doch gemeinsam herausfinden, was für die persönliche Finanzplanung am besten sei, sagte die freundliche Mitarbeiterin - jetzt, wo doch sicher bald das erste Gehalt aufs Konto komme.

RWTH Aachen

Finanzdienstleister MLP hält kostenlose Seminare an Hochschulen - mit Hintergedanken.

(Foto: dpa)

Was sich anhört wie eine Finanzberatung bei einer Bank oder einer Versicherung, soll tatsächlich das Ende eines Rhetorik-Seminars für Studenten der Universität Bremen gewesen sein. Beworben und angeboten wurde es vom "Career Center" der Hochschule - und ausgerichtet von MLP, einem großen deutschen Finanzdienstleister. "In dem Moment fühlte ich mich irgendwie manipuliert", sagt Eduard Klein, einer der Teilnehmer. "Auf keiner Ankündigung ist die Rede davon gewesen, dass es sich um eine Verkaufsveranstaltung handelt", sagt der Doktorand.

Dass Seminare für Studenten von externen Unternehmen oder Agenturen gehalten werden, ist nicht ungewöhnlich. Vielfach greifen die Karrierezentren deutscher Hochschulen auf Expertise von außen zurück, um ihren Studenten ein Seminarprogramm zu bieten. In den meisten Fällen klappt das auch reibungslos. Problematisch wird es nur, wenn die Interessen des Unternehmens mit den Interessen der Hochschule kollidieren.

MLP sitzt in Wiesloch bei Heidelberg, das Unternehmen hat sich seit langem auf Akademiker spezialisiert. Das ist sein Geschäftsmodell, und kostenlose Seminare für Studenten sind ein fester Bestandteil davon. Die Finanzberatung kooperiert nach eigenen Angaben mit etwa 40 Hochschulen in Deutschland, bundesweit bietet MLP auf diese Weise jeden Monat etwa 400 Seminare an. Das Kerngeschäft des Unternehmens ist die Finanzberatung: Fast 2200 selbständig arbeitende Berater vermitteln ihren Kunden Versicherungen und Geldanlagen.

"Man hat schon was gelernt"

Nach eigenen Angaben hat MLP derzeit 192 Geschäftsstellen in Deutschland. Für die Studenten der Universität Bremen ist die Geschäftsstelle "BremenV" zuständig. Eine Selbstpräsentation im Internet zeigt, dass jeder vierte der dort tätigen Finanzberater an der Hochschule Seminare für Studenten hält. Es gibt eine Kooperation zwischen MLP und dem Bremer "Career Center".

"Inhaltlich in Ordnung"

"Das Seminar war inhaltlich in Ordnung, man hat schon etwas gelernt", sagt Doktorand Klein. Unter anderem seien Probevorträge der Teilnehmer zur späteren Auswertung auf Video aufgezeichnet worden. "Allerdings sollte die Auswertung in Einzelgesprächen an einem separaten Termin in der MLP-Geschäftsstelle stattfinden. Davon war vorher keine Rede. Und die Auswertung war dann auch nur kurz, etwa fünf Minuten." Danach sei der besagte Hochglanzordner ins Spiel gekommen. Ähnliches berichtet auch ein Teilnehmer einer "Persönlichkeitsanalyse", die ebenfalls von MLP veranstaltet und abermals über das Karrierezentrum der Bremer Universität angekündigt wurde. "Spätestens bei der Auswertung des Tests war mir klar, dass das Unternehmen vor allem an neue Kontakte kommen wollte."

Nach eigenen Angaben hat die Universität Bremen klare Regeln, wie weit die Unternehmen, die mit dem Karrierezentrum kooperieren, bei Seminaren gehen dürfen: "Eine Verknüpfung mit Werbeaktivitäten darf nicht stattfinden", sagt ein Sprecher der Hochschule. Doch genau das sei geschehen, behaupten die zwei Studenten. Die Universität sagt, sie wisse nichts von möglichen Problemen mit MLP-Seminaren. Dabei warnte die Hochschule ihre Studenten nach einem Bericht der Zeit bereits im Jahr 2006 vor MLP-Beratern, die auf dem Campus Kunden geworben haben sollen. Und die Zeitschrift Finanztest warnte im Jahr 2008 explizit vor den kostenlosen Seminarangeboten von MLP, die vor allem dazu dienten, Studenten als Kunden zu "ködern". Inzwischen beschäftigt sich der Allgemeine Studierendenausschuss der Universität Bremen mit den Vorwürfen.

MLP weist die Kritik der Studenten aus Bremen zurück. "Finanz- und Karriereberatung werden bei uns strikt getrennt", sagt ein Sprecher. In der Zentrale in Wiesloch kann man die Aufregung deshalb auch nicht verstehen. "Wir möchten mit unseren Angeboten auf unser Unternehmen aufmerksam machen", teilt das Unternehmen mit. "Selbstverständlich ist es das langfristige Ziel, Teilnehmer künftig auch in wirtschaftlichen Fragestellungen zu beraten." Zu einer solchen wirtschaftlichen Beratung komme es aber nur, wenn Seminarteilnehmer "im Rahmen des Feedbackbogens explizit daran Interesse zeigen."

Auch nach dem Rhetorikseminar in Bremen habe die Referentin einen solchen Bogen ausgelegt. "Da ging es aber um einen Termin zur Auswertung der Videoaufnahmen in einem zweiten Seminarteil. Dass es sich um ein Beratungstreffen handelt, wusste ich nicht", sagt Eduard Klein.MLP widerspricht abermals: Ein zweiteiliger Aufbau sei bei den bundesweit angebotenen Rhetorikseminaren nicht vorgesehen. Allerdings räumt das Unternehmen ein, dass es nicht jeden seiner fast 2200 Finanzberater kontrollieren könne. "Sollte im Einzelfall ein Berater davon abweichen, greift die MLP-Zentrale korrigierend ein", heißt es.

Werbung im Nachgespräch

Ist die von Studenten berichtete Seminarpraxis der Bremer MLP-Geschäftsstelle also nur ein Einzelfall? Ein Blick zu anderen Universitäten lässt daran zweifeln: Auch an der Universität Bamberg hat MLP sein Rhetorikseminar angeboten, auch dort sei die Auswertung des Seminars bei einem separaten Einzeltermin erfolgt, berichtet ein Student. "Das Video wurde kurz besprochen, danach wurde die Besprechung aber immer mehr zu einem Verkaufsgespräch", sagt er. So stellen es auch die Studenten in Bremen dar.

Es gibt noch andere Fälle: In einem Internetforum der Universität Duisburg-Essen beispielsweise schreibt ein Student, dass er ein MLP-Seminar zum Thema "Soft Skills" belegt habe. Das Teilnahmezertifikat habe er sich aber in der Geschäftsstelle abholen müssen und sei dort direkt mit der "Philosophie" des Unternehmens vertraut gemacht worden. Und ein weiteres Rhetorik-Seminar veranstaltete MLP 2009 an einem naturwissenschaftlich ausgerichteten Kolleg für Schüler der Oberstufe in Freiburg. "Das Seminar war frei von Werbung, aber man hat angeboten, noch einen kostenlosen Persönlichkeitstest zu machen", sagt der frühere Schüler Matthias Welz. Er machte den Test. "Die eigentliche Werbung begann erst im Nachgespräch", berichtet er. Weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährig gewesen sei, sollte ein Elternteil mitkommen. Für Welz war die Nachbesprechung klar "eine Verkaufsveranstaltung, die als Seminar getarnt wurde."

Widersprüchliche Aussagen

Wie passt das mit der Aussage von MLP zusammen, dass Finanz- und Karriereberatung strikt getrennt würden? Nach Ansicht eines früheren MLP-Beraters, der selbst an Universitäten über 70Seminare für Studenten gehalten hat, ist das schlicht Unsinn. "Natürlich haben die Seminare hauptsächlich den Zweck, neue Kunden zu gewinnen. Es sind vor allem Verkaufsveranstaltungen." Das Prinzip habe gelautet: So viele Seminare und Teilnehmer wie möglich. "Weil jeder Berater selbständig arbeitet und nicht fest angestellt ist, ist er von Provisionen abhängig." Nach Angaben des ehemaligen Finanzberaters lege die MLP-Zentrale in Wiesloch fest, welche Geschäftsstelle bei Studenten welcher Fächer werben dürfe. Eine Kontrolle durch die Zentrale habe aber kaum stattgefunden. "Da konnte jeder machen, was er wollte - solange die Zahlen gut waren."

Konsequenzen könnte MLP nun zunächst in Bremen spüren. "Sollte sich herausstellen, dass es zu einer Verknüpfung von Fortbildungs- und Werbeaktivitäten gekommen ist, wird die Zusammenarbeit beendet", sagt ein Sprecher der Universität. Darüber hinaus kündigte die Leiterin des Bremer "Career Centers" an, das Seminarangebot in Zukunft transparenter zu machen. Denn auf einer Übersichtsseite im Internet wurden die MLP-Seminare bis vor kurzem noch als "Veranstaltungen vom Uni-Team" beworben. "Das ist unseriös", sagt Eduard Klein nach seiner Erfahrung mit MLP. "Dass die Uni da mitspielt, hätte ich nicht gedacht."

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