Süddeutsche Zeitung

Vorgezogene Schulferien:Auf Schwänzer-Jagd

Aus dem Ferienflieger heraus verhaftet - kein abwegiges Szenario: Familien, die vor Schulende in Urlaub fahren, riskieren Bußgelder.

O. Przybilla und A. Ramelsberger

Die Vorstellung ist ein wenig furchterregend: Uniformierte Polizisten zerren Eltern und ihre Kinder von der Gangway am Flughafen, kurz bevor sie in ihren Ferienflieger steigen können. Unten wartet schon der Direktor der Schule, aus der sich die Kinder vorzeitig in den Urlaub verabschiedet haben. Und anschließend droht auch noch der Bußgeldbescheid für die verhinderten Urlauber.

Es sind solche Angstphantasien, die Eltern beschleichen, wenn sie ihre Kinder schon kurz vor Beginn der Ferien aus der Schule nehmen und den Urlaub um ein paar Tage früher beginnen lassen.

Ganz abwegig sind diese Phantasien nicht. Gerade erst hat die Nürnberger Polizei wieder zehn Schwänzer, die sich vorzeitig in die Ferien aufmachen wollten, an die Schulen der Stadt gemeldet. Schon im vergangenen Herbst, kurz nach Ende der bayerischen Schulferien, hatte die Polizei in Franken 100 Familien überprüft, die mit ihren Kindern erst nach Schulbeginn wieder in Nürnberg gelandet waren. Gegen 19 von ihnen hat das Nürnberger Rechtsamt Bußgelder zwischen 300 und 900 Euro verhängt - genauso viel wie die Familien durch die günstigen Flüge gespart hatten.

Jagd auf erholungsuchende Eltern

So legt es das Ordnungswidrigkeitengesetz fest, denn aus dem Fehlverhalten darf "kein wirtschaftlicher Vorteil" entstehen. Hat eine Familie 600 Euro für den zwei Tage in die Nachsaison verlagerten Rückflug aus dem Feriendomizil gespart, so wird das Bußgeld auf mindestens diesen Betrag festgelegt. "Wir vergleichen schlicht die unterschiedlichen Ticketpreise", erklärt Walter Lindl, Leiter des Nürnberger Rechtsamtes.

Die Polizei musste sich damals in Nürnberg kritisieren lassen, sie mache statt auf Verbrecher Jagd auf erholungsuchende Eltern. Gerade jetzt, da bereits in allen anderen Bundesländern die Schulferien begonnen haben und nur noch die Bayern lustlos durch die letzten Schultage taumeln, beschleicht viele Eltern das Gefühl, sie könnten auch gleich mit dem Nachwuchs in Urlaub fahren - dann müssten die Kinder wenigstens nicht im Ferienstau schwitzen.

Tunis oder Paris?

Doch als der Radiosender Bayern 3 am Dienstag seine Hörer dazu befragte, bekam er ganz erstaunliche Antworten: "Wir sind oft versucht, es zu tun", sagte eine Mutter, "aber unser Gewissen hindert uns. Dann müssten wir ja die Kinder zum Lügen zwingen. Ich kann die Kinder doch nicht zur Ehrlichkeit erziehen und dann selbst bestimmen, wann Lügen in Ordnung ist." Andere haben nicht so viele Skrupel: Unter den in Nürnberg gefassten Schwänzer-Eltern soll vergangenes Jahr auch eine Lehrerfamilie gewesen sein.

Die Polizei selbst sagt, sie mache nicht gezielt Jagd auf die Eltern. Das sei "ein Abfallprodukt" der Personenkontrollen, beteuert eine Polizeisprecherin. Eigentlich überfordert die Schwänzerfahndung die Polizei. Auf den Flughäfen wimmelt es vor Familien, in allen anderen Bundesländern sind längst Ferien.

Sinnvoll sind Schwänzkontrollen deswegen eigentlich nur in Bayern und nur am Ende der Sommerferien - wenn alle anderen Schüler längst wieder in der Schule sitzen. Und selbst da gibt es ein Problem: Kontrolliert wird nämlich nur bei Reisen zu Zielen außerhalb Europas. Wer sich also in Paris verspätet hat, wird nicht gefilzt. Wer aber zu spät aus Tunis zurückkehrt, schon. Und solcherart Diskriminierung will sich nun wirklich keiner nachsagen lassen.

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SZ vom 30.7.2008/bön
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