Ehrenrunde, Sitzenbleiben, Durchfallen - wer solche Begriffe in die schwedische Sprache übersetzen möchte, der tut sich schwer. Denn in dem skandinavischen Land ist es schon seit Jahrzehnten unüblich, ja sogar unerwünscht, dass Schüler eine ganze Klasse wiederholen. Und wenn ältere Schweden sich an ihre Schulzeit erinnern, dann sprechen sie vom Sitzenbleiben etwa mit der gleichen Abscheu, mit in der Deutschland vom Rohrstock erzählt wird. Zwölf Jahre dauert es nach heutigem Lehrplan, um aus einem Erstklässler einen Abiturienten zu machen. Und die überwiegende Mehrheit der schwedischen Schulkinder erfüllt diesen Plan.
Selbstverständlich gibt es auch in Schweden stärkere und schwächere Schüler, und in den Klassenzimmern haben die Lehrer mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie ihre Kollegen in Deutschland. Aber zur Lösung der Probleme haben sie ein anderes Arsenal von Maßnahmen zur Verfügung. Vor allem aber haben Lehrer in Schweden kaum Möglichkeiten, Druck auf ihre Schüler auszuüben. Stattdessen setzt das Schulsystem stark auf die gezielte Förderung der Schwachen.
Das geht in manchen Fällen so weit, dass besonders hilfsbedürftige Schüler Einzelunterricht bei eigens dafür ausgebildeten Pädagogen bekommen. Und für kleinere Probleme gibt es eine Vielzahl von weniger aufwendigen Hilfen: Aufteilung der Klasse in Kleingruppen zum Beispiel, spezielle Unterrichtsstunden für Schüler mit Schwierigkeiten in einem bestimmten Fach. Prinzipiell ist es fast immer möglich, Versäumtes zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Wer zum Beispiel am Ende einen Abschluss hat, der für das ersehnte Medizinstudium nicht ausreicht, kann auf der Erwachsenen-Schule Komvux fehlende Punkte etwa in Englisch, Mathematik oder Physik nacharbeiten.
Nach Auskunft der Schulbehörde in Stockholm ist Sitzenbleiben zwar in Schweden theoretisch noch möglich. Der Schulrektor kann eine Wiederholung des Schuljahres anordnen - "in Absprache mit den Eltern", heißt es im Gesetz. In der Praxis spielt diese Option jedoch so gut wie keine Rolle. Die Schulbehörde verweist auf internationale Untersuchungen, denen zufolge das Sitzenbleiben eine der schlechtesten Methoden ist, um schwächeren Schülern nötiges Wissen zu vermitteln. Es sei schon seit langem Konsens in schwedischen Schulen, dass man auf diese Maßnahme wenn irgend möglich verzichtet.
In jüngster Zeit gibt es allerdings auch in Schweden Stimmen, die nach mehr Ordnung, Disziplin und Leistung in der Schule rufen. Auslöser für die Debatte war unter anderem die Pisa-Studie, bei der Schweden ähnlich wie Deutschland nur mittelmäßige Ergebnisse erzielte. Im Wahlkampf ging vor allem die liberale Forschrittspartei mit der Forderung nach strengeren Schulregeln auf Stimmenfang. Der Parteivorsitzende Jan Björklund hat den Kampf gegen "Flummskolan" - frei übersetzt: "die Wischi-Waschi-Schule" - zu seiner Angelegenheit gemacht. Mittlerweile konnte er als Schulminister einige seiner Forderungen umsetzen. Am umstrittensten war bis jetzt ein im vergangenen Jahr verabschiedetes Gesetz, demzufolge die schwedischen Schüler nun bereits in der sechsten Klasse benotet werden, und nicht wie bisher von der achten an.
In der Debatte wurde auch über das Sitzenbleiben gesprochen. Eine Rückkehr in die Zeiten, als nur die Zensuren über das Weiterkommen eines Schülers bestimmten, fordert aber in Schweden niemand. Die Vorschläge laufen darauf hinaus, dass Rektoren und Eltern dazu ermutigt werden, einfach öfter als bisher Kindern die Möglichkeit zu geben, ein Schuljahr wiederholen zu können.