Vor dem Bildungsgipfel:Die Bildungsillusion

"Bildung soll in Deutschland höchste Priorität haben", heißt es in den Entwürfen zum Bildungsgipfel. Das klingt schon fast wie Satire. Es wird nur warme Worte geben.

Tanjev Schultz

Die Bildungsrepublik Deutschland ist nur eine schöne Vision. Es gibt stattdessen 16 Kleinrepubliken. Auf dem Bildungsgipfel in Dresden müsste heute die schwarz-rot-goldene Fahne wehen. Stattdessen flattern da 16 Landes-Fähnchen. Bildung hierzulande ist nicht Einheit in Vielfalt, sondern Verwirrung und Einfalt. Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten kommen mit fast leeren Händen. Es wird nur warme Worte geben, so wie man heißen Tee trinkt, wenn man einen frostigen Anstieg hinter sich hat. Dazu werden längst getroffene Beschlüsse noch einmal aufgetischt und vage Versprechen abgegeben.

Bildungsgipfel Erstklässler, ap

Erstklässlerin: Dringlich sind intensive Förderangebote, auch am Nachmittag und in den Ferien.

(Foto: Foto: ap)

Angela Merkel hat in den vergangenen Wochen sehr hohe Erwartungen geweckt, sie hat Schulen und Hochschulen besichtigt und sich höchstpersönlich in die Bildungspolitik eingemischt. Das hat Abwehrreaktionen provoziert, mit denen die Kanzlerin rechnen musste. Für manche Ministerpräsidenten der Union ist der Gipfel eine Gelegenheit, Merkel auflaufen zu lassen. Den Bürgern mag es egal sein, wer für die Schulen zuständig ist. Aber ein Ministerpräsident wie Günther Oettinger lässt sich nicht in seine Machtsphäre hineinregieren, schon gar nicht von einer Kanzlerin, die ihm wegen seiner missglückten Filbinger-Rede die Leviten las, und von einer Bundesbildungsministerin, die einst eine scharfe Konkurrentin war und nicht gerade Oettingers größter Fan ist.

Nun wird es schon als Erfolg verkauft, wenn Bund und Länder vereinbaren, dass sie die Quote der Schulabbrecher halbieren wollen. Dazu muss man wissen, dass die Kultusminister das schon oft versprochen haben. Das Ziel zu nennen, fällt leicht. Schwer ist es, die nötigen finanziellen und pädagogischen Mittel zu finden, um es zu verwirklichen. Über Geld soll in Dresden aber nur sehr allgemein gesprochen werden.

Ein schönes Versprechen

Auf Merkels Drängen hin könnte verabredet werden, die Ausgaben für Bildung auf sieben Prozent und die für Forschung auf drei Prozent am Bruttoinlandsprodukt zu steigern. Das würde bedeuten, mehr als 20 Milliarden Euro zusätzlich in Kindergärten, Schulen und Hochschulen zu investieren. Ein schönes Versprechen, aber eben auch nicht mehr als ein Versprechen. Das Drei-Prozent-Ziel für die Forschung ist längst beschlossen, es ist Teil einer EU-Verabredung, die bis 2010 erfüllt sein soll, und Deutschland wird es aller Voraussicht nach verfehlen.

Wenn Angela Merkel sagt, der Bildungsgipfel sei kein Finanzgipfel, bestärkt sie damit nur den Eindruck, dass die Schulen und Hochschulen der Politik wohl doch nicht so viel wert sind. "Bildung soll in Deutschland höchste Priorität haben", heißt es in den Entwürfen für das Gipfel-Dokument. Das klingt schon fast wie Satire. Hat nicht die Kanzlerin nach dem großen Milliardenpaket für die Banken auch noch teure staatliche Hilfen für die Autoindustrie und für Hausbesitzer ins Gespräch gebracht? Doch geht es um ein bisschen Geld für Schulsozialarbeiter, zeigt Angela Merkel auf die Länderchefs - und diese zeigen zurück auf Merkel. So sieht es also aus, wenn Bildung die "höchste Priorität" genießt.

Auf der nächsten Seite: Warum die Politiker auf dem Gipfle nur um sich selbst kreisen werden.

Die Bildungsillusion

Ein dicker Scheck für die Schulen

Die Länder sind mit ihrer Quertreiberei nicht allein schuld, wenn der Bildungsgipfel enttäuscht (die Kultusminister waren übrigens kooperativer als ihre Ministerpräsidenten). Die Kanzlerin hat ihnen auch zu wenig angeboten. Es reicht nicht, wenn der Bund Geld für das Schulessen bereitstellt. Die größten Anstrengungen müssten sich darauf richten, den hohen Anteil leistungsschwacher Schüler zu reduzieren und Kindern, die aus armen und schwierigen Familien kommen, zu helfen ihre Startnachteile auszugleichen und ihnen einen Aufstieg zu ermöglichen. Das lässt sich natürlich nicht schon dadurch lösen, dass die Politiker den Schulen einen dicken Scheck überreichen. Mit der Hilfe von Experten hätte die Kanzlerin zwei, drei bundesweite Programme entwickeln und den Ministerpräsidenten vorlegen können. Hätten sie auch da nein gesagt, wären sie allein die Bildungsblockierer gewesen.

Dringlich sind intensive Förderangebote, auch am Nachmittag und in den Ferien. Die Länder wollen zwar die Sprachkurse vor der Einschulung verstärken. Viele Kinder benötigen jedoch während ihrer gesamten Schulzeit die Hilfe von Sprachlehrern und Lerntherapeuten. Und immer wieder trifft man Jugendliche, für die sich offenbar nie jemand Zeit genommen hat: Schüler, die niemanden haben, der sich um sie bemüht und sie ernst nimmt; Kinder, die die Schule nur als Unterrichtsvollzugsanstalt erleben. Diese Jugendlichen benötigen geduldige Mentoren, die sie nicht erst dann begleiten, wenn zu Schulproblemen auch noch Ärger mit der Polizei dazukommt.

Die Bildungsrepublik bleibt eine inspirierende Vision. Es ist auch eine alte Vision. In den sechziger Jahren kämpfte der große Liberale Ralf Dahrendorf für ein Bürgerrecht auf Bildung und malte sich aus, wie die Welt aussähe, in der dieses Recht verwirklicht wäre: "Viele Gespräche kreisen um Fragen der Bildung: Bildung als Weg nach oben, Bildung als Vergnügen und liebgewordener Luxus. Wo die Herkunft Kinder schwächt, fängt die Schule diese Schwächen auf." Auf dem Gipfel werden die Gespräche zwar auch um Fragen der Bildung kreisen. Die Politiker kreisen aber nur um sich selbst.

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