Vollbeschäftigung ist möglich:Arbeitgeber, denkt um!

Die Lage am Arbeitsmarkt ist gut, aber noch nicht perfekt.Nicht nur an den Arbeitszeiten muss sich etwas ändern. Was getan werden muss, damit in Deutschland bald alle Bewerber einen Job bekommen.

Thomas Straubhaar

Wer noch vor kurzem behauptet hätte, dass in Deutschland Vollbeschäftigung möglich ist, wäre für verrückt erklärt worden. Aber nun kann das für viele schon zur Utopie gewordene Ziel der Vollbeschäftigung sogar bereits bis zum Jahr 2015 Wirklichkeit werden.

HAMBURGER WIRTSCHAFTSFORSCHER ERWARTEN GUTE KONJUNKTUR

Thomas Straubhaar ist Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) und Professor an der Universität Hamburg.

(Foto: dapd)

Die Zahl der Arbeitslosen hat im Frühjahr 2011 erneut die Schwelle von drei Millionen unterschritten. Fast 41Millionen Menschen sind erwerbstätig - mehr als jemals zuvor im geeinten Deutschland. Dieser Rekord kommt trotz einer Globalisierung zustande, von der Pessimisten immer befürchtet haben, dass sie zu einer Verlagerung der Jobs in Billiglohnländer führe. Und der Erfolg ist möglich, obwohl der Strukturwandel beschleunigt voranschreitet. Der hatte doch viele Skeptiker dazu bewogen, von einem Ende der Arbeit zu reden. Nichts davon ist geschehen.

Ausländische Billigarbeiter haben deutsche Facharbeiter nicht verdrängt, sondern ergänzt. Und Maschinen haben den Menschen nicht ersetzt, sondern leistungsfähiger werden lassen. Deutschland geht nicht die Arbeit aus, sondern die qualifizierten Arbeitskräfte. Nicht mehr Arbeitslosigkeit ist das zentrale Thema, sondern der Fachkräftemangel. So weit, so gut, aber noch nicht gut genug. Denn noch bleibt die Langzeitarbeitslosigkeit zu hoch. Und noch liegt die Arbeitslosenquote nicht bei zwei bis fünf Prozent aller Erwerbsfähigen - dies wäre die Quote für Vollbeschäftigung.

Damit Vollbeschäftigung tatsächlich erreicht wird, ist noch einiges zu tun. Ältere müssen so gut wie Jüngere, Frauen so gut wie Männer und Menschen mit Migrationshintergrund so gut wie Menschen ohne Migrationshintergrund in das Erwerbsleben integriert werden. Gelingt das, dann gelingt auch Vollbeschäftigung. Im Einzelnen bedeutet das, folgende Reformschritte zu gehen:

Erstens gilt es, die Einstellungschancen Älterer zu verbessern. Das hat etwas mit der Notwendigkeit, aber auch den Möglichkeiten des lebenslangen Lernens zu tun. Im Sinne eines "Förderns und Forderns" ist es eine Kernfunktion der Tarifparteien, eine mehrstufige, berufsbegleitende Weiterqualifizierung anzubieten und deren Nachfrage zu verlangen.

Das Alter darf keine Rolle mehr spielen

Die Politik sollte dafür sorgen, dass das Alter kein gesetzlich geschützter und damit privilegierter Sachverhalt mehr darstellt. Beim Kündigungsschutz ist man de jure bereits auf diesem Wege. Nun müsste auch noch die Rechtswirklichkeit diesen Schritt nachvollziehen. So ist beispielsweise die verlängerte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I kontraproduktiv. Sie verringert die Einstellungschancen Älterer.

Stühlerücken am Rheinstrand

Keine Zeit für Sonnenbaden, weil alle in der Arbeit sind? Bis es soweit ist, muss sich noch einiges ändern auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

(Foto: dpa)

Zweitens müssen die Beschäftigungschancen für gering Qualifizierte durch eine Qualifizierungsoffensive weiter verbessert werden. Auch da hat sich in den vergangenen Jahren auch dank vieler "kleinschwelliger" (Weiter-)Bildungsangebote vieles verbessert. Aber immer noch liegt der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bei den Langzeitarbeitslosen bei 54 Prozent.

Häufig besteht bei der Beschäftigung von gering Qualifizierten das Problem, dass deren Leistungsfähigkeit nur tiefe Löhne erlaubt. Gegebenenfalls liegen diese nur wenig über oder sogar unterhalb dessen, was gesellschaftlich als sozial akzeptable Einkommensuntergrenze betrachtet wird. Mindestlöhne würden nur in wenigen Fällen tatsächlich zu einer besseren Entlohnung der gering qualifizierten Beschäftigten führen. In weiten Teilen würden sie jedoch die Beschäftigung der gering Qualifizierten verhindern und damit das Problem der Arbeitslosigkeit vergrößern.

Wirkungsvoller und damit klüger ist es, die Löhne von bestimmten Arbeitnehmern durch staatliche Zuschüsse zu ergänzen. Diese müssen so gestaltet sein, dass die Gesamteinkommen nach Steuern und Transfers steigen, wenn der Lohn zunimmt. So haben die Beschäftigten ein Interesse an höheren Löhnen und es ist nicht möglich, dass die Arbeitgeber den Lohn auf Kosten der Allgemeinheit nach unten drücken. Dazu gehört auch, die Belastung des unteren Lohnbereichs mit Abgaben zu verringern.

So führen alleine schon die Sozialabgaben für sozialversicherungspflichtige Einkommen dazu, dass die Nettoeinkommen 40 Prozent unterhalb der Arbeitskosten liegen. Sofern das Einkommen zum Eingangssteuersatz von 14 Prozent besteuert wird, klafft die Schere zwischen Brutto-Arbeitskosten und Nettolöhnen bei über 50 Prozent. Diese Schere gilt es zu schließen. Das kann durch eine Absenkung der lohnabhängigen Sozialversicherungsbeiträge der niedrigen Einkommen und einen Übergang zu einer noch stärkeren Steuerfinanzierung geschehen.

Kinderbetreuung muss besser werden

Drittens bleibt die Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie - beispielsweise durch verbesserte Angebote zur Kinderbetreuung aber auch durch vermehrte Teilzeitstellen - ganz oben auf der arbeitspolitischen Agenda. Vor allem Alleinerziehende müssen im Fokus stehen, weil sie ganz besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. So sind sie durchschnittlich 47 Wochen ohne Beschäftigung, während der Durchschnitt aller Arbeitslosen bei 33 Wochen liegt.

Ungenutztes Potential

Auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist mit 41 Prozent unter den arbeitslosen Alleinerziehenden besonders ausgeprägt - im Vergleich zu einem Anteil von 33 Prozent unter allen Arbeitslosen. Gleichzeitig sind die alleinerziehenden Arbeitslosen im Schnitt besser qualifiziert als die Langzeitarbeitslosen insgesamt. Hier liegt also ein weiteres ungenutztes Potenzial gegen den drohenden Fachkräftemangel.

Viertens wird es Vollbeschäftigung nachhaltig nur dann geben, wenn das (Aus-)Bildungssystem ständig weiterentwickelt und den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt angepasst wird. Das ist keine Einmal-, sondern eine Daueraufgabe. Und es geht um beide: die Langzeitarbeitslosen wie die Fachkräfte. Denn qualifizierte und gering qualifizierte Arbeit ergänzen sich.

Durch steigende Beschäftigung und steigendes Einkommen von qualifizierten Arbeitskräften entsteht zusätzliche Nachfrage nach einfachen Konsumgütern aber auch nach haushaltsnahen Dienstleistungen, wie Reinigung, Pflege, Gartenarbeiten und Instandhaltungsarbeiten. Diese Arbeiten können auch von geringer Qualifizierten angeboten werden. Deshalb sollte eine Politik der Vollbeschäftigung nicht nur einseitig, sondern mehrseitig sein. Sie soll die Schwachen stärken, ohne zu vernachlässigen, dass sie dafür der Starken und deren Stärken bedarf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: