Süddeutsche Zeitung

Video-Bewerbung:Strahlen für die Stelle

Das Jobcenter München geht einen neuen Weg, um Langzeitarbeitslosen zu einem Job zu verhelfen: Hartz-IV-Empfänger können ein professionell erstelltes, einminütiges Video drehen, um die Chancen bei Arbeitgebern zu erhöhen.

Von Sven Loerzer

Die Scheinwerfer stehen in Position, der abgedunkelte Unterrichtsraum hat sich für einen Tag in ein kleines Studio verwandelt. Die Videokamera ist ausgerichtet auf eine Person, die sich gleich selbst vorstellen soll. Die junge Frau ist ein bisschen aufgeregt, aber ihr Satz kommt fehlerfrei über die Lippen. Doch das reicht noch nicht: "Das war fast etwas zu schnell gesprochen", sagt Volker Schaner, der hinter der Kamera steht. Also tief durchatmen, dann ein neuer Versuch: "Seit über zehn Jahren bin ich als Bürokauffrau und Assistentin der Geschäftsleitung tätig." Schaner ist zufrieden, "super, ganz hervorragend gesprochen", aber die langen Haare, die lagen irgendwie nicht richtig. Ein bisschen erinnert die Szene an Loriots berühmtes Fernsehinterview mit dem Lottogewinner Erwin Lindemann, der seinen Text wegen der immer wieder nötigen Wiederholungen schließlich völlig durcheinander bringt. Doch nach der fünften Wiederholung ist Schaner dann wirklich vollauf zufrieden: "Perfekt."

Die Menschen, die hier im dritten Stock eines Gebäudes an der Schwanthalerstraße ihren kurzen Text vor der Kamera sprechen, sind keine Schauspieler. Es sind Menschen, die dringend einen Job suchen, um nicht weiter von staatlicher Unterstützung leben zu müssen. Schaner produziert einminütige Bewerbungsvideos im Auftrag des Jobcenter München, das damit Hartz-IV-Beziehern den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern will. "Wir stellen immer wieder fest, dass die schriftliche Bewerbung für Menschen aus der Grundsicherung meist nicht der erfolgreiche Weg ist", sagt Jobcenter-Geschäftsführerin Martina Musati. "Deshalb setzen wir auf den persönlichen Eindruck."

Brüche in der der Erwerbsbiografie

Allzu oft landen die Unterlagen von Bewerbern mit Brüchen in der Erwerbsbiografie auf dem Stapel "Absagen". Um das zu verhindern, setzt das Jobcenter auf drei unterschiedliche Strategien: Regelmäßige Stellenbörsen, bei denen gleich vor Ort Gespräche mit den Bewerbern möglich sind, die "assistierte Vermittlung", bei der Integrationsfachkräfte des Jobcenters Bewerber vorauswählen und zur Vorstellung begleiten.

Und seit Herbst erprobt das Jobcenter zudem einen bayernweit einmaligen neuen Weg: Menschen, die Arbeit suchen, können professionelle Bewerbungsvideos von sich erstellen lassen. Die Idee des Jobcenters setzen zwei Bildungsträger gemeinsam um: die Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) und die Deutsche Angestellten-Akademie (DAA). Das Projekt, das im September startete, ist zunächst auf ein Jahr befristet.

Die professionell produzierte Videobewerbung tritt ganz bewusst dem gesellschaftlichen Klischee vom faulen Hartz-IV-Bezieher entgegen. Das Video entsteht im Rahmen eines fünftägigen Workshops. Jeder Langzeitarbeitslose kann mitmachen, die Teilnahme ist freiwillig. Knapp 1000 Menschen haben schon ihre Bereitschaft bekundet. Unabhängig von der Qualifikation, ganz gleich ob Reinigungskraft oder Diplomingenieur, Küchenhilfe oder Architekt, jeder, der eine Vorstellung von seinem Wunschberuf hat, kann dabei sein. Und jeder kann nach dem Dreh entscheiden, ob sein Video öffentlich oder mit Passwort geschützt auf der Plattform www.videobewerbung-muenchen.de steht - oder auch gar nicht.

630 Videos sind schon entstanden, 500 können Arbeitgeber ohne Passwort anschauen. Obwohl die Plattform erst seit Februar beworben wird, haben schon 63 Menschen wieder Arbeit gefunden. Etwas mehr als die Hälfte der Bewerbungen fällt in den kaufmännischen Bereich, doch das Spektrum ist sehr breit: Designer, Pflegekräfte, Kraftfahrer - selbst ein Archäologe ist darunter. Oder die Bewerbung eines Mannes, der in seiner afrikanischen Heimat in der Landwirtschaft arbeitete und nun nach vielen Aushilfsjobs auf eine Tätigkeit in der Tierhaltung hofft. "Die Videos sollen als Türöffner beim Arbeitgeber dienen", sagt Musati.

Dass das Angebot so gut funktioniert, dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass die Videobewerbung einen authentischen Eindruck liefert: professionell erstellt, aber nicht geschönt, kurz und knapp, um sich ein erstes Bild machen zu können, ob der Bewerber zum Team passt. Weil aber die Arbeitslosen nicht gewohnt seien, vor der Kamera zu stehen, sei ein Coaching-Angebot vorgeschaltet, erklärt DAA-Leiter Armin Metzger. Die Teilnehmer lernen dabei, eine "Kernbotschaft" für sich zu formulieren, die nicht länger als eine Minute sein darf.

Für den Arbeitgeber ergebe das nicht nur wegen der Kürze Vorteile, sagt Michael de Graat, Leiter des Arbeitgeberservice beim Jobcenter. Der erste Eindruck zählt viel. Ein Unternehmer zeigte sich höchst erfreut, dass er einen Lagerarbeiter vorher anschauen kann, bevor er ihn zu einem Vorstellungsgespräch einlädt. Der Arbeitgeberservice sucht aber auch gezielt ausgeschriebene Stellen und kann Unternehmen mit einem Zugang zum passwortgeschützten Bewerbervideo versorgen, sofern der Bewerber dies erlaubt. Gerade für Hartz-IV-Bezieher biete die Videobewerbung eine gute Möglichkeit sich aus der großen Bewerberzahl herauszuheben.

Klarheit über die eigenen Ziele

Nicht nur das Video habe einen Wert, sondern auch die Vorbereitung zum Dreh, betont bfz-Leiter Carsten Buchenau. Die Teilnehmer lernen, wie sie sich richtig präsentieren. Das stärkt auch das Selbstvertrauen. Und am Anfang beschäftigen sie sich zwei Tage mit der Frage, was sie überhaupt sagen wollen. Der positive Nebeneffekt: Es verschafft Klarheit über die eigenen Ziele und die eigenen Stärken, am Ende steht eine aussagekräftige Botschaft. Das nützt später auch beim Bewerbungsgespräch. Am dritten Tag folgen die Probe-Drehs, um die Scheu abzubauen und auf Fehler beim Auftritt hinzuweisen.

Dann kommt der Drehtag: In einem Unterrichtsraum baut die Berliner Filmproduktion Fufoo-Film das Studio auf, schräg gegenüber ist die "Maske" eingerichtet. Dort kümmern sich Maskenbildner, die sonst für Theater und Film Schauspieler stylen, um die Arbeitslosen. Anuschka Fischerkoesen, seit 30 Jahren im Geschäft, hat schon am Vortag den Teilnehmern eine Stilberatung gegeben und Fragen beantwortet. Für alle Fälle hält bfz-Projektleiterin Sandra Pfeifle noch Sakkos, Hemden, Blusen und Krawatten bereit. Eine Dreiviertelstunde braucht Fischerkoesen bei den Frauen zum Stylen, bei den Männern reiche eine Viertelstunde, sagt sie.

Nebenan bearbeitet derweil der Cutter am Notebook die gedrehten Videos. Alle Teilnehmer präsentieren sich vor neutralem Hintergrund: Die Person soll wirken, nichts von ihr ablenken, links im Bild werden Zusatzinformationen zum Bewerber eingeblendet. Am fünften und letzten Tag im Projekt lernen die Teilnehmer in einem Online-Workshop, wie sie sich und ihr Video am besten vermarkten können.

Zum Abschied ein Lächeln

Darauf freut sich schon Arieta Duriqi, 33, die sich gerade dem Ende ihrer Video-Aufzeichnung nähert. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern spricht sieben Sprachen, sie hat für Fluggesellschaften gearbeitet. Doch seit Mai vergangenen Jahres ist sie arbeitslos, ihr Problem sind vor allem die Arbeitszeiten. Denn sie will ihre Kinder nach der Mittagsbetreuung nicht mehrere Stunden unbeaufsichtigt lassen. Mit dem Video hofft sie auf eine neue Stelle: "Der erste Eindruck zählt, das ist eine gute Chance. Visuelles zählt." Bevor Schaner den letzten Teil der Bewerbung aufzeichnet, rät er Duriqi, sich "mit einem strahlenden Lächeln zu verabschieden". Es braucht fünf Anläufe, bis Schaner zufrieden ist. "Ich freue mich, von Ihnen zu hören", verabschiedet sich Arieta Duriqi und lächelt gewinnend. "Auf Wiedersehen und Danke für Ihre kostbare Zeit."

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Quelle:
SZ vom 03.06.2013
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